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Herografik Rechtspopulismus

Auf einen Blick: Aufstieg des Rechtspopulismus: Erklärungsansätze und Analysen

Die Einflussnahme rechtspopulistischer Gruppen stellt die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Frage. Wie es dazu kam und welche Strategien dagegen helfen können, zeigt unser Forschungsüberblick.

[28.06.2023]

Rechtspopulistische Parteien und rechtsextreme Gruppen haben in den vergangenen Jahren in Deutschland an Einfluss gewonnen. Exponent:innen der radikalen Rechten befeuern antidemokratische und rassistische Ressentiments, verdrehen und missachten Fakten und verbreiten Verschwörungsmythen. Dabei instrumentalisieren sie Krisensituationen wie die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg oder die Herausforderungen, die sich bei der Abwehr einer Klima-Krise ergeben.       

Die Hans-Böckler-Stiftung analysiert diese Phänomene aus verschiedenen Perspektiven und hat Befunde zu zahlreichen wichtigen Fragen gewonnen: Wie verbreitet sind antidemokratische Einstellungen? Was zeichnet eine rechtspopulistische Partei oder Gruppe aus und welches Selbstverständnis haben deren Anhänger:innen? Was bewegt Menschen, einer Partei wie der AfD ihre Stimme zu geben? Welche Rolle spielen soziale und berufliche Integration, gute oder schlechte Arbeitsbedingungen? Und was lässt sich der Ausbreitung antidemokratischer Positionen entgegensetzen?

Rechtspopulistische Welt- und Selbstbilder

Grundlegender Konsens zahlreicher Studien ist, dass antidemokratische Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind, bzw. bei Personen, die sich selbst politisch oder ökonomisch in der Mitte verorten. Mit dem Begriff "anti-demokratisch" sind in Analysen der Hans-Böckler-Stiftung eng verknüpfte rechtspopulistische und menschenfeindliche Einstellungen umfasst, da diese grundlegenden demokratischen Prinzipien der Gleichheit aller Bevölkerungsgruppen widersprechen. Rechtspopulismus stützt sich dabei unter anderem auf eine Anti-Establishment-Haltung, in der eine Gegenüberstellung von „Volk“ und „Elite“ zentral ist und ein exklusiver Volksbegriff vertreten wird.

  • Zitat Bettina Kohlrausch zur Definition von Rechtspopulismus

Die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Bettina Kohlrausch, bezeichnet Rechtspopulismus als ein Gesellschaftsverständnis, in dem das „Volk“ einer angeblich abgehobenen Elite in Politik, Medien und Justiz feindlich gegenübersteht. Im Podcast Systemrelevant erklärt sie, dieses Volksverständnis sei - entgegen häufig bekräftigter Argumente - nicht von rassistischen Gesinnungen zu trennen. 

Während Zuwanderung radikal abgelehnt wird, erfahren demokratische Institutionen fast ebenso starke Verachtung, so Kohlrausch. Daraus ergebe sich ein gefährlich fruchtbarer Nährboden für  Verschwörungsmythen, die während der Corona-Pandemie tiefe Wurzeln geschlagen haben.

Dabei können das von Rechtspopulist:innen konstruierte Gesellschaftsbild und das eigene Selbstverständnis durchaus auseinanderfallen. Andere Untersuchungen erkennen bei den Anhänger:innen rechtspopulistischer Ideologien ein Selbstverständnis, das sich von der Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft abwendet. So ermittelte Philipp Rhein, Wissenschaftler im von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Promotionskolleg „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“, dass sich AfD-Wähler:innen gar nicht, wie so oft behauptet, als heimliche Mehrheit sehen oder als das „Volk schlechthin“.

Sie verstehen sich eher als ausgegrenzte und auserwählte Minderheit. Rhein glaubt, viele von ihnen seien, anders als Konservative, nicht an echter Opposition interessiert, sondern daran, „das System von außen zu torpedieren“:

„Sie wollen nicht einfach Vergangenheit zurück. Es geht darum, die jüngere Geschichte zu revidieren – unter anderem die Emanzipations- und Liberalisierungsgewinne der vergangenen Jahrzehnte. Diese Leute wollen einen Untergang als Bedingung für eine Neuordnung“.

Philipp Rhein, Wissenschaftler im Böckler-Promotionskolleg Rechtspopulismus

Kulturkampf und materielle Sorgen: Ursachen des Rechtspopulismus

In der Forschung gibt es verschiedene Erklärungsansätze für den Aufstieg rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Parteien und Bewegungen. Unterschieden werden kann zum Beispiel zwischen ökonomischen Ansätzen und solchen, die kulturelle Konflikte ins Zentrum rücken.

Ökonomischen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Entstehung rechtspopulistischer Orientierungen als Ergebnis verschärfter Verteilungsauseinandersetzungen verstehen. Die sozioökonomische Polarisierung der vergangenen Jahre habe demnach Verlierergruppen hervorgebracht, die besonders ansprechbar für rechtspopulistische Angebote wurden. So kommen einige empirische Untersuchungen zum Ergebnis, dass die AfD häufiger in sozialen Schichten mit niedrigem Einkommen gewählt wird.

Im WSI-Blog aus dem Herbst 2018 zeigt der Soziologe Thomas Lux, dass im Jahr 2016 der Anteil der AfD-Wähler:innen in den unteren Einkommensschichten (Personen, die weniger als 70 Prozent des mittleren Einkommens erhalten) bei 15 Prozent lag, während dieser Anteil unter Wähler:innen mit mittlerem oder hohem Einkommen (70-150 Prozent bzw. mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens) jeweils 9 Prozent erreichte. Zudem war die AfD unter den größeren deutschen Parteien diejenige, in deren Anhängerschaft sich anteilsmäßig die meisten Menschen mit niedrigen Einkommen befanden.

  • Grafik Wahlverhalten in den unteren Einkommensschichten 2016

Eine andere Studie betont, dass Prozesse der Statusbedrohung eine wichtige Rolle für rechtspopulistische Einstellungen spielen. Es gehe also oft weniger um die reale Erfahrung sozialer Ausgrenzung, sondern eher um die Angst vor (weiteren) Verlusten. Die subjektive Wahrnehmung von Bürger:innen, die anfällig für Rechtspopulismus sind, ist danach geprägt durch persönliche Zurücksetzung: AfD-Wähler:innen und Befragte, die rechtspopulistische Einstellungen teilen, ordnen sich unabhängig von ihrem realen Einkommen in der Gesellschaft eher niedrig ein und erlebten häufiger im Vergleich zu den Eltern einen sozialen Abstieg. Das ergibt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung aus dem Jahr 2017, über die WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch auch im Podcast Systemrelevant spricht. Diese Befunde bestätigen sich auch in einer Untersuchung zum Jahreswechsel 2020/21.

  • Sorgen der AfD-wähler
    Abstiegsängste treiben Menschen zu rechten Parteien.

Dass die Ängste davor, tiefer zu sinken, auch in der Mitte der Gesellschaft bestehen, sei laut der Forscher:innen nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Wachstum der Mittelschicht und das damit verbundene Aufstiegsversprechen für weite Teile der Bevölkerung kaum mehr zugänglich erscheint. Zwar hat sich die wirtschaftliche Stabilität in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre positiv auf die Einkommen und Mentalitäten der Mittelschichtsangehörigen ausgewirkt.

Jedoch gibt es eine unterschiedliche Entwicklung der Angst vor Arbeitslosigkeit und jener vor finanzieller Unsicherheit: Letztere nahm kaum ab. Die Corona-Krise schafft zudem neue Einschnitte. Der WSI-Verteilungsbericht 2021 gibt Aufschluss über die Einkommenssituation und Abstiegsängste der Mittelschicht. 

  • Grafik Zukunftssorgen Mittelschicht

Vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen gewännen Auseinandersetzungen über die Frage, welche Bedeutung regionale und nationale Kontexte für individuelle Wertorientierung, aber auch politische Regulierung, haben sollen, zu einer neuen Konfliktlinie zwischen Kosmopolit:innen und Kommunitarist:innen.

Bettina Kohlrausch und Linus Maximilian Höcker

Ansätze, die den Rechtspopulismus vor allem als Ausdruck einer kulturellen Konfliktlinie sehen, gehen davon aus, dass die gesellschaftliche Modernisierung, z. B. im Bereich der Familien-, der Umwelt- oder der Migrationspolitik, für Auseinandersetzungen sorgt. Bettina Kohlrausch und Linus Maximilian Höcker geben hierzu im Rahmen eines Projekts der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung einen Überblick. 

Ein Beitrag des Magazin Mitbestimmung spricht mit Blick auf die Forschung von einem dreifachen Kontrollverlust, den Betroffen empfänden: persönlich, weil der technische Wandel bedrohlich erscheint. Politisch, weil die Institutionen des Staates als abgehoben empfunden werden. In nationalstaatlicher Hinsicht, weil der Staat die Bevölkerung nicht schützen kann – etwa vor Zuwanderung. Rechtspopulismus kann so auch als Ausdruck einer Repräsentationskrise verstanden werden.

Nachdem im Juni/Juli 2023 die AfD Wahlerfolge im Landkreis Sonneberg in Thüringen und in der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt erzielen konnte, wurde allerorts sich damit beschäftigt, was die Gründe hierfür sind.

Um das ganze Thema besser ordnen zu können und um nicht ausschließlich bei Medienkritik, Schuldfragen oder Klischees über den Osten stehen zu bleiben, wäre es laut Bettina Kohlrausch notwendig, das Problem multikausal zu betrachten: Von der symbolischen Bedeutung der minimalen Mindestlohn-Erhöhung im Juni 2023, der Normalisierung von Positionen der AfD und den Ergebnissen einer Studie über autoritäre Einstellungen und die Zustimmung zur Demokratie, über mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrung oder auch dem Gefühl, dass Demokratie auch in Deutschland in manchen Bereichen nicht optimal umgesetzt sei.

Wie antidemokratische Tendenzen bekämpft werden können, zeigt Bettina Kohlrausch am Ende der Systemrelevant Folge 150 auf, in dem sie die Bedeutung von Erwerbsarbeit und betrieblicher Demokratie hervorhebt.

Rechtspopulismus und Arbeit

Wer eine sichere Beschäftigung mit gutem Einkommen hat, Wertschätzung im Beruf erfährt und die Möglichkeit sieht, die eigene Arbeit mitzugestalten, neigt deutlich seltener zu antidemokratischen Ansichten. Das zeigt eine Studie aus der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung von Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch und Dorothea Voss. Ihre Untersuchung beruht auf einer repräsentativen Befragung von mehr als 4100 Personen in Deutschland zwischen November 2020 und Januar 2021.

  • Gute Arbeit und Bildung stärken Integration in Demokratie

Darin weisen 14 Prozent der Befragten ein „hohes Ausmaß“ an anti-demokratischen Einstellungen auf. Deutliche Unterschiede gibt es zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen. Befragte, die in einem bezahlten Job arbeiten, neigen antidemokratischen Sichtweisen unterdurchschnittlich zu: 10 Prozent tun das in einem hohen, 37 Prozent in mittlerem Ausmaß. Mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Befragten hat für solche Einstellungen wenig bis gar nichts übrig. Dagegen liegen die entsprechenden Werte in der Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen deutlich höher, bei 20 bzw. 45 Prozent – und nur ein gutes Drittel (35 Prozent) hat lediglich eine geringe Neigung zu antidemokratischen Sichtweisen.

Wer nicht entscheiden kann, wie die tägliche Arbeit organisiert wird, wessen Arbeit nicht abwechslungsreich ist, wer keine kollegiale Unterstützung erwarten kann und wer den Lohn als zu niedrig empfindet, stimmt antidemokratischen Einstellungen überdurchschnittlich häufig zu.

Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch und Dorothea Voss

Einen indirekten Schutz vor rechten Einstellungen bieten darüber hinaus starke Mitbestimmungs- und Tarifstrukturen. "Erwerbstätige mit betrieblicher Interessenvertretung oder solche, deren Arbeitsbedingungen durch einen Tarifvertrag geregelt sind, berichten von besseren Arbeitsbedingungen als diejenigen, für die das nicht gilt“, konstatieren die Forscher:innen.

Die Studie zeigt außerdem: Befragte, die Digitalisierungsprozesse an ihrem Arbeitsplatz als negativ erlebt haben, teilen deutlich häufiger antidemokratische Meinungen als Erwerbstätige mit positiven Erfahrungen. Die höchsten antidemokratischen Werte weisen die Befragten auf, an deren Arbeitsplatz noch gar keine Digitalisierung stattgefunden hat. Als möglichen Grund dafür vermuten die Forscher:innen in dieser Gruppe die Sorge, im Arbeitsumfeld digital abgehängt zu werden.

Umso wichtiger ist es, den Wandel der Arbeitswelt sozial zu gestalten und Menschen mitzunehmen, wie Dorothea Voss und Bettina Kohlrausch im Podcast "Systemrelevant betonen".

Rechtspopulismus und Corona

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwerfungen haben einen erheblichen Einfluss auf die Ausbreitung rechtspopulistischer Ideologien. Auch hier spielen der Faktor Arbeit und die finanziellen Verhältnisse in den Haushalten eine Rolle. So zeigt die bereits genannte Studie von Hövermann, Kohlrauch und Voss, dass Befragte, die während der Corona-Pandemie Einkommenseinbußen erlitten haben, anfälliger sind für anti-demokratische Sichtweisen.

Unterstrichen wird dieser Befund von mehreren Auswertungen der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, die seit 2020 die Arbeits- und Lebensbedingungen von Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden in Deutschland im Zeitverlauf untersucht. Hier wird deutlich, wie vor dem Hintergrund der Pandemie eine diffuse Unzufriedenheit mit Politik einen äußerst fruchtbaren Nährboden für Verschwörungsmythen und rechtspopulistische Einstellungen bietet. Die Analysen zeigen außerdem, dass Befragte mit strukturellen Benachteiligungen, kürzlich erfahrenen Kontroll- und Sicherheitsverlusten und Befragte in Ostdeutschland stärkere Zweifel an der Gefährlichkeit des Corona-Virus haben und Verschwörungsmythen häufiger zustimmen. 

  • Verschwörungsmythen und Rechtspopulismus

Insgesamt hat knapp ein Fünftel der Erwerbspersonen in Deutschland im Sommer 2021 in hohem Ausmaß Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie, Zweifeln an der Gefährlichkeit des Virus und sehr grundlegender Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen zugestimmt. Schaut man auf Parteipräferenzen, zeigt sich, dass dieser Anteil unter AfD-Wähler:innen weitaus höher lag: bei 61 Prozent.

Andreas Hövermann, Autor der Studie verweist in unserem Newsletter HANS. auf ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der Politik, das sich in der Corona-Krise besonders stark zeige. Die Distanz zu demokratischen Institutionen ist in Ostdeutschland höher als im Westen. Im Interview warnt er außerdem vor den sozialen Folgen der Corona-Krise und warnt eindringlich vor einer Ausbreitung des Rechtsextremismus. 

  • Andreas Hövermann HANS Verschwörungsmythen
    Andreas Hövermann HANS Verschwörungsmythen

Der Politologe Samuel Salzborn erklärt im Interview mit dem Magazin Mitbestimmung Zusammenhänge zwischen den Corona-Protesten, Verschwörungsmythen und Antisemitismus. Salzborn spricht von einer "antidemokratischen Rebellion" und sieht hinter Vergleichen der Corona-Maßnahmen mit dem Nationalsozialismus mehr als nur Provokation: "Wer diese aggressiven Verschwörungsfantasien vertritt, steckt bereits tief im Sumpf rechtsextremen Denkens", so der Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung.  

Rechtspopulismus und der Ukraine-Krieg

Viele, die schon während der Coronakrise zu Verschwörungsmythen neigten, tun dies nun auch im Hinblick auf den Ukrainekrieg. 17 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland haben eine ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine. 9 Prozent sind offen für Verschwörungserzählungen zum russischen Angriffskrieg. Die Überschneidung zwischen beiden Gruppen ist erheblich. Das macht deutlich: wer offen ist für Verschwörungsdenken, neigt auch stärker zu abwertenden Einstellungen.

Das zeigt eine repräsentative Erwerbspersonenbefragung unter mehr als 6200 Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden von April bis Mai 2022, die das WSI ausgewertet hat. Abgefragt wurde unter anderem die Einstellung zu Aussagen wie „Wir können nicht noch mehr Geflüchtete in Deutschland aufnehmen“ oder „Der Krieg gegen die Ukraine wird genauso künstlich dramatisiert wie die Pandemie“.

Die WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch und der WSI-Wissenschaftler und Autor der Studie "Verschwörungsdenken und die Abwertung Ukraine-Geflüchteter in der sich zuspitzenden Energiekrise" Andreas Hövermann berichten auch in einer Podcast-Folge darüber, wie es um Verschwörungsdenken hinsichtlich des Ukraine-Kriegs und vor dem Hintergrund der Energiekrise steht:

Deutlich überdurchschnittlich verbreitet sind Vorbehalte und Verschwörungsdenken bei Menschen, die in der aktuellen Krise finanzielle Sorgen oder Angst vor Arbeitsplatzverlust haben oder deren Vertrauen in demokratische und öffentliche Institutionen gering ist. Besonders häufig findet man diese Einstellungen im Kreis derjenigen, die in vergangenen Befragungen bereits Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie zuneigten. Unter Anhängerinnen und Anhägern der AfD ist die Zustimmung dreimal so hoch wie unter allen Erwerbspersonen.

  • Unterstützung für Geflüchtete – außer bei der AfD

Gewerkschaften und Rechtspopulismus

Zu fremdenfeindlichen und ressentimentgeladenen Haltungen unter Arbeitnehmer:innen und den Umgang der Gewerkschaft damit hat ein Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen eine umfangreiche Sammlung an Beiträgen zusammengetragen. Die Beiträge erklären rechtspopulistische Orientierungen unter anderem als Ausdruck zunehmender sozialer Spaltungen in der Arbeitswelt, als verdrängte Klassenproblematik, Abwertung von Arbeiter:innen und Ostdeutschen, anhand erodierender Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit und als Merkmal von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

„Vieles deutet darauf hin, dass es nicht die eine Erklärung für die rechtspopulistische Offensive gibt“, schreiben Klaus Dörre, Gudrun Linne und Dieter Sauer im Editorial. Außerdem zeige sich, „dass wir uns hinsichtlich der analytischen Durchdringung des Phänomens und vor allem bei der Suche nach wirksamen Gegenstrategien erst am Anfang befinden“.

  • WSI Rechtspopulismus in der Arbeitswelt

Einen Einblick, wie sich Rechtspopulist:innen in Betrieben Einfluss zu verschaffen suchen, gibt das Magazin Mitbestimmung in einem Bericht über die rechte Liste „Zentrum Automobil“ bei Daimler. Die Taktik: Man geriert sich als Anwältin des Verbrennermotors – garniert mit völkischen Gedanken. Den Beschäftigten hat die Liste jedoch nichts zu bieten. Sie vertrete weniger Arbeitnehmerinteressen als rechtsradikale Netzwerke. Neben Aufklärung ist deswegen gerade in Krisenzeiten die solidarische und erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit das Mittel der Wahl, um den Spaltungsversuchen entgegenzuwirken, wie die IG-Metaller Jose-Miguel Revilla und Antonio Potenza im Beitrag hervorheben.

  • IG Metaller gegen Rechtspopulismus
    Jose-Miguel Revilla (r.) und Antonio Potenza kämpfen für die Zukunft der Beschäftigten im Daimler-Werk Untertürkheim und gegen rechte Betriebsräte mit Ansichten von gestern.

Der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte ist nicht nur für die Gewerkschaften in Deutschland arbeits- und gesellschaftspolitisch folgenreich. Die Studie „Gewerkschaften und Rechtspopulismus“ aus der HBS-Forschungsförderung will deshalb dazu beitragen, den grenzüberschreitenden Informations-Erfahrungs- und Strategieaustausch anzuregen. In drei Fallstudien - zu Österreich, Schweden und den Niederlanden – untersuchen Sylvia Maria Erben und Hans-Jürgen Bieling, wie sich die Strategien und politischen Aktivitäten rechtspopulistischer Parteien und die von den Gewerkschaften selbst identifizierten Gefahren und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften entwickelt haben.

  • Macht uns der Betrieb zu Rechtspopulisten? Dieter Sauer u.a.: Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche. Hamburg, VSA-Verlag 2018. 216 Seiten, 14,80 Euro

Was tun? Handlungsstrategien gegen den Rechtspopulismus

In den Studien und Beiträgen finden sich verschiedene Vorschläge und Ansätze, mit denen man den Problemen antidemokratischer Einstellungen begegnen könnte.

„Eine entscheidende Herausforderung für die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschaftsordnung besteht in den kommenden Jahren darin, die Transformationsprozesse so zu gestalten, dass die Menschen gesellschaftlich integriert bleiben“, schreiben Bettina Kohlrausch, Dorothea Voss und Andreas Hövermann im Fazit ihrer Untersuchung zu antidemokratischen Einstellungen. „Es wird für die Zukunft daher eine zentrale Aufgabe sein, Arbeit so zu gestalten, dass sie ein Instrument gesellschaftlicher Integration bleibt beziehungsweise wieder wird.“ Dabei sei eine angemessene Bezahlung ein wichtiger Faktor, aber längst nicht der einzige.

Es geht um die demokratische Gestaltung des Arbeitsumfeldes, um langfristige Sicherheitsperspektiven und um die Anerkennung von Leistung und Werten, die die Erwerbstätigen mit ihrer Arbeit verbinden.

Bettina Kohlrausch, Dorothea Voss und Andreas Hövermann

  • Anti-demokratische Einstellungen

Die Soziologen Johannes Kiess und Andre Schmidt betonen im Interview mit dem Magazin Mitbestimmung den hohen Wert der gelebten Teilhabe in Unternehmen. In ihrer Studie kommen sie zu dem Ergebnis: "Die Politik muss die Voraussetzung für Teilhabe und Solidarität im Betrieb stärken und mehr für den Schutz von Betriebsratsgründungen und Tarifverträgen tun."

Andreas Hövermann verweist auf die tragende Rolle politischer Institutionen: „Es erscheint zwar als Herkulesaufgabe das verlorengegangene Politik-Vertrauen Schritt für Schritt zurückzugewinnen. Dies müsse jedoch angesichts der aufgeheizten Situation Ziel jeder Regierung sein. In der direkten Kommunikation kann eine Mischung aus deeskalierendem, empathischem und spott-vermeidendem Argumentieren bei gleichzeitiger inhaltlicher klarer Kante erfolgversprechend sein.“

  • Wo Teilhabe und Solidarität gelebt werden, haben rassistische Argumentationsmuster es schwer.

Philipp Rhein glaubt, statt jeden zurückzugewinnen, sei es ratsamer, die AfD politisch zu bekämpfen und sich um die Gewinnung von Nichtwählern zu kümmern. Eine Gegenstrategie brauche Zeit und einen langfristigen politischen Willen: „Was lange herangereift ist, kriegt man nicht schnell wieder weg“.

Nicht zuletzt stehen auch die Gewerkschaften vor der Aufgabe, mit ihren Mitteln der Tarif- und Betriebspolitik gegen Abwertungserfahrungen in der Arbeitswelt anzutreten, die den Rechtspopulist:innen in die Hände spielen. Im Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen „Rechtspopulismus in der Arbeitswelt“ findet sich eine Reihe von Beiträgen zu gewerkschaftlichen Strategien gegen rechte Ideologien - wie beispielsweise die Stärkung inklusiver Solidarität oder die Neudefinierung der internationalistischen Tradition in den Interessenvertretungen.

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