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Gute Arbeit, starke Demokratie Böckler Impuls

Gesellschaft: Gute Arbeit, starke Demokratie

Ausgabe 14/2021

Eine gute Integration in den Arbeitsmarkt schützt vor antidemokratischen Einstellungen. Zur Herausforderung für die Demokratie könnte der Umgang mit Digitalisierung und Klimawandel werden.

Wer eine sichere Beschäftigung mit gutem Einkommen hat, Wertschätzung im Beruf erfährt und die Möglichkeit sieht, die eigene Arbeit mitzugestalten, neigt deutlich seltener zu antidemokratischen Ansichten. Die Bedeutung von guten Arbeitsbedingungen und beruflichen Perspektiven zeigt sich auch mit Blick auf die drängenden Zukunftsthemen Digitalisierung und klimagerechte Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft: So äußern sich beispielsweise Erwerbstätige, die bislang positive Erfahrungen mit Digitalisierung im Job gemacht haben, deutlich weniger antidemokratisch als Erwerbstätige, die negative Folgen beobachten oder an deren Arbeitsplatz Digitalisierungsprozesse bislang nicht stattgefunden haben. Generell gehen auch Abstiegsängste oder das Gefühl, sozial abzusteigen, eher mit antidemokratischen Sichtweisen einher. Zu diesen Ergebnissen kommen Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch und Dorothea Voss von der Hans-Böckler-Stiftung. Ihre Untersuchung beruht auf einer repräsentativen Befragung von mehr als 4100 Personen in Deutschland zwischen November 2020 und Januar 2021.

„Eine entscheidende Herausforderung für die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschaftsordnung besteht in den kommenden Jahren darin, die Transformationsprozesse so zu gestalten, dass die Menschen gesellschaftlich integriert bleiben“, schreiben Kohlrausch, Voss und Hövermann. Dabei sei eine angemessene Bezahlung ein wichtiger Faktor, aber längst nicht der einzige, betonen die Forschenden: „Es geht um die demokratische Gestaltung des Arbeitsumfeldes, um langfristige Sicherheitsperspektiven und um die Anerkennung von Leistung und Werten, die die Erwerbstätigen mit ihrer Arbeit verbinden.“

Ob Befragte antidemokratische Einstellungen teilen oder nicht, haben die Forscherinnen daran gemessen, wie stark sie auf einer fünfstufigen Skala 15 Aussagen zustimmen. Der Fragebogen wird auch in anderen Studien zu antidemokratischen Einstellungen, Rechtspopulismus und „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ genutzt. Abgefragt wird zum Beispiel die Zustimmung zu Aussagen wie: „Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“, „Die demokratischen Parteien zerreden alles und lösen die Probleme nicht“, „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“, „Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“ oder „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen“.

Jeder Siebte ist antidemokratisch in „hohem Ausmaß“ 

Im Durchschnitt aller Befragten zeigen 14 Prozent ein „hohes Ausmaß“ an antidemokratischen Einstellungen. Das heißt, ihre Zustimmung zu den Aussagen liegt auf der Skala von 1 bis 5 im Schnitt bei 3,5 oder höher. Weitere 41 Prozent weisen Werte zwischen 2,5 und 3,5 auf und damit eine „mittlere“ Zustimmung. 45 Prozent stimmen antidemokratischen Aussagen hingegen nur in „geringem Ausmaß“ zu: Bei ihnen bleibt der Durchschnittswert unter 2,5.

Deutliche Unterschiede gibt es zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen: 10 Prozent der Befragten, die in einem bezahlten Job arbeiten, neigen in hohem Ausmaß antidemokratischen Sichtweisen zu, 37 Prozent in mittlerem Ausmaß. Mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Befragten hat für solche Einstellungen wenig bis gar nichts übrig. Dagegen liegen die entsprechenden Werte in der Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen deutlich höher, bei 20 beziehungsweise 45 Prozent – und nur ein gutes Drittel hat eine geringe Neigung zu antidemokratischen Sichtweisen. Besonders hoch sind die Werte unter Rentnerinnen und Rentnern sowie Arbeitsuchenden. 

Sicherer Job und Mitbestimmung machen Unterschied

In einem zweiten Schritt haben die Wissenschaftlerinnen die Einstellungen der Erwerbstätigen genauer analysiert: Erwerbstätige mit höherem Schulabschluss, mittlerem bis hohem Einkommen oder hohem beruflichen Ansehen neigen im Großen und Ganzen seltener zu antidemokratischen Einstellungen. Ältere Befragte sind stärker betroffen als jüngere, Arbeiterinnen und Arbeiter stärker als Akademiker.

Starke Zusammenhänge bestehen darüber hinaus mit konkreten Arbeitsbedingungen und Zukunftsaussichten. So neigen Erwerbstätige, die ihren Arbeitsplatz für sicher halten, seltener zu antidemokratischen Einstellungen. Bei berufstätigen Befragten, die sich Sorgen um ihre Stelle machen, ist der Anteil höher. Einen Unterschied macht es auch, ob Befragte mitbestimmen können, wie sie ihre tägliche Arbeit organisieren. Trifft das zu, fallen die Zustimmungswerte zu antidemokratischen Orientierungen niedriger aus als bei denen, die keinen Einfluss haben.

„Wer nicht entscheiden kann, wie die tägliche Arbeit organisiert wird, wessen Arbeit nicht abwechslungsreich ist, wer keine kollegiale Unterstützung erwarten kann und wer den Lohn als zu niedrig empfindet, stimmt antidemokratischen Einstellungen überdurchschnittlich häufig zu“, schreiben Kohlrausch, Voss und Hövermann. „Dabei macht die Mitbestimmung einen Unterschied für die Arbeitsbedingungen: Erwerbstätige mit betrieblicher Interessenvertretung oder solche, deren Arbeitsbedingungen durch einen Tarifvertrag geregelt sind, berichten von besseren Arbeitsbedingungen als diejenigen, für die das nicht gilt“, konstatieren die Forschenden.

Abstiegsängste gehen oft einher mit Demokratieverdruss

Einen spürbaren Einfluss haben Verlusterfahrungen oder Abstiegsängste: So äußern von den Erwerbstätigen, die nach eigener Aussage im Vergleich zu ihren Eltern einen Aufstieg geschafft haben, 7 Prozent antidemokratische Einstellungen in hohem Ausmaß. Erwerbstätige, deren sozialer Status gegenüber den Eltern stabil geblieben ist, liegen relativ nahe an diesen Werten. Dagegen ist der Anteil unter den berufstätigen Befragten mit Abstiegserfahrung doppelt so hoch.

Fast genauso groß sind auch die Unterschiede zwischen erwerbstätigen Befragten, die optimistisch sind, ihren Lebensstandard dauerhaft halten zu können, und jenen, die eine Verschlechterung befürchten. Dieser Zusammenhang zeige sich unabhängig von Bildung, Einkommen und Berufsposition, betonen die Forschenden. Das heißt: Es braucht nicht zwangsläufig konkrete Erfahrungen des Wohlstandsverlustes, schon die Angst vor Entwertung reicht aus, um Menschen an der Demokratie zweifeln zu lassen. Noch empfänglicher für antidemokratische Orientierungen sind Erwerbstätige, die sich von technischen Entwicklungen und gesellschaftlichem Wandel überfordert fühlen, die glauben, über ihr Leben werde „irgendwo da draußen in der Welt entschieden“, oder die die Lage im Land grundsätzlich als unfair empfinden. 

Digitalisierung und Klimawandel: Herausforderungen für die Demokratie

Die in den nächsten Jahren zu erwartenden Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitswelt, ausgelöst durch Digitalisierung und Klimawandel, könnten sich auf die demokratische Gesinnung der Menschen auswirken. Bereits jetzt zeigt sich: Befragte, die Digitalisierungsprozesse an ihrem Arbeitsplatz als negativ erlebt haben, teilen deutlich häufiger antidemokratische Meinungen als Erwerbstätige mit positiven Erfahrungen. Die höchsten antidemokratischen Werte weisen jedoch die Befragten auf, an deren Arbeitsplatz noch gar keine Digitalisierung stattgefunden hat. Als möglichen Grund dafür vermuten die Forschenden in dieser Gruppe die Sorge, im Arbeitsumfeld digital abgehängt zu werden.

Erhebliche Unterschiede beobachten die Wissenschaftlerinnen schließlich bei den Themen Klimawandel und sozial-ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. 50 Prozent der erwerbstätigen Befragten halten die Erderwärmung für ein drängendes Problem und weisen einer sozial-ökologischen Umgestaltung als wirksamem Klimaschutz eine hohe Priorität zu. Weiteren 37 Prozent macht die Erhitzung weniger Sorgen, diese Befragten geben dem Kampf gegen die Folgen eine mittlere Priorität, und sie legen Wert darauf, dass Klimaschutz nicht den wirtschaftlichen Wohlstand in Mitleidenschaft ziehen soll. Eine dritte, vergleichsweise kleine Gruppe von 14 Prozent der befragten Erwerbstätigen macht sich nur wenig Sorgen ums Klima, und ein sozial-ökologischer Umbau hat für sie nur eine geringe Priorität.

Der Umgang mit der Klimakrise polarisiere die Befragten, mit besonders deutlichen Wirkungen auf die demokratische Integration, konstatieren Kohlrausch, Voss und Hövermann: „Befragte, die sich für die Bewältigung des Klimawandels eine hohe politische Priorität wünschen, zeigen eine geringere Zustimmung zu antidemokratischen Einstellungen. Befragte, die im Klimawandel kein Problem sehen, dahingehend unbesorgt sind und den sozial-ökologischen Wandel als kaum relevantes politisches Thema priorisieren, fallen dagegen mit besonders starker Zustimmung zu antidemokratischen Einstellungen auf.“

Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch, Dorothea Voss: Anti-demokratische Einstellungen. Der Einfluss von Arbeit, Digitalisierung und Klimawandel (pdf), Policy Brief der HBS-Forschungsförderung Nr. 7, September 2021

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