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Magazin Mitbestimmung

Von JOACHIM F. TORNAU: Netzwerk der Altstipendiaten

Ausgabe 03/2017

Stiftung Die materielle Förderung läuft aus, Schluss? Nein! Die Hans-Böckler-Stiftung möchte, dass ihre ehemaligen Stipendiaten in Verbindung bleiben und dass diese engagierten Akademiker in gesellschaftliche Positionen kommen.

Von JOACHIM F. TORNAU

Bis kurz vor Schluss konnte Gregor Jansen denken, es sei eine Führung wie jede andere. Der Direktor der Kunsthalle Düsseldorf zeigte eine seiner Ausstellungen, erzählte Anekdoten, erläuterte Hintergründe. Alles wie immer. Doch dann, im letzten Raum sah er sich angesichts einer Komposition aus rostigen Stahlplatten plötzlich in eine Diskussion über den elitären Charakter einer Kunst verstrickt, die Uneingeweihten gegenüber stumm bleibt. „Tun sie doch mal so“, forderte einer der Besucher den Kunsthallenchef auf, „als wären wir Bauarbeiter, und erklären Sie uns, warum das Kunst ist!“

Die Gruppe, von der Gregor Jansen auf diese Weise zur Rechtfertigung seines Tuns gezwungen wurde, bestand aus ehemaligen Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung. Es waren Mitglieder des Altstipendiatennetzwerks Wissenschaft, die zu ihrem jährlichen Treffen nach Düsseldorf gekommen waren. Und die mit ihren kritischen Fragen unterstrichen, was Silke Tönsjost als wesentliches Ziel ihrer Tätigkeit beschreibt. „Wir wollen unsere Themen, Inhalte und Werte transportieren“, sagt die 43-Jährige, die in der Stiftung für die Alumni-Arbeit zuständig ist. „Denn die Werte, für die die Hans-Böckler-Stiftung steht, kann man in jedem Berufsfeld leben – nicht nur als Gewerkschaftssekretär.“

16 solcher Netzwerke gibt es derzeit. Sieben davon sind regional organisiert, nehmen Altstipendiaten auf, die etwa im Rhein-Main-Gebiet leben, in Bremen oder im Raum Hannover. Bei den anderen neun ist es die Arbeit in einem bestimmten Milieu, die die Mitglieder verbindet, sei es in der Medienbranche, im Gesundheitssektor, im Berliner oder im Brüsseler Politikbetrieb. Oder eben in der Wissenschaft.

Böckler-relevante Themen

Sabrina Weber ist aus dem tiefen Südwesten nach Düsseldorf gereist. Die einstige Promotionsstipendiatin lehrt heute im Bereich Personalmanagement an der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Pforzheim. „Da kann ich durchaus einige für die Hans-Böckler-Stiftung relevante Themen einfließen lassen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. „Dass man Diversity-Management nicht nur unter rein ökonomischen Gesichtspunkten sehen kann zum Beispiel – oder dass Mitbestimmung kein Hemmschuh ist.“

Das Netzwerktreffen ist für sie vor allem ein Ort des Austauschs mit anderen Nachwuchswissenschaftlern, die an einem ähnlichen Punkt des Lebenswegs stehen. „Das Besondere ist, dass man interdisziplinär zusammenkommt und nicht wie sonst in seiner Community bleibt“, meint Weber.

Ihren Netzwerkkollegen Robert Kretschmer, Nachwuchsgruppenleiter am Institut für anorganische Chemie der Uni Regensburg und Vertrauensdozent der Stiftung, hatte diesmal eher das Thema des zweitägigen Treffens gelockt. (Der abendliche Besuch der Kunsthalle dient eher als gedanklicher Ausgleichssport.) Eigentlich ging es um ein viel prosaischeres Thema: das Beantragen von Drittmitteln. Eine Aufgabe, die heutzutage jeder Wissenschaftler an Universitäten und Hochschulen beherrschen muss – und die dennoch geheimnisumwittert ist. „Ich verbringe den größten Teil meiner Arbeitszeit mit Drittmittelakquise“, erzählt Kretschmer, „und ich erhoffe mir Antworten auf konkrete Fragen, die mir im Alltag begegnen.“

Diese Antworten geben bei dem Workshop zwei ausgewiesene Experten, die Silke Tönsjost gewinnen konnte für das Netzwerktreffen: André Schlochtermeier, Leiter des EU-Büros des Bundesbildungsministeriums, erläutert Regeln und Ziele der europäischen Forschungsförderung. Wolfgang Adamczak, langjähriger Forschungsreferent der Uni Kassel und heute selbstständiger Berater, schlägt eine Bresche durch den Dschungel der Drittmittel in Deutschland.

Er erklärt, wie man unter den vielen Stiftungen und Förderinstitutionen den richtigen Geldgeber findet, was beim Antragstellen zu beachten ist, welche Fehler zu vermeiden sind. Und damit das nicht nur Theorie bleibt, werden anschließend die konkreten Antragsvorhaben einzelner Netzwerkmitglieder in einer Arbeitsgruppe besprochen. Adamczaks Botschaft: Drittmittelakquise ist weder Hexenwerk noch aussichtslos. „Wer sagt, dass man ja sowieso keine Chance hat, will sich nur vor Arbeit schützen“.

Ermutigen, motivieren, Hemmungen abbauen, die viele der aus nichtakademischen Elternhäusern stammenden Jungwissenschaftler selbst nach der Promotion noch nicht ganz abgelegt haben: Die Stiftung will praktische Unterstützung leisten auf dem steinigen Weg zur Professur. Von „Empowerment“ spricht Silke Tönsjost. Unter den rund 20 Netzwerktreffen, die jedes Jahr stattfinden, haben die Treffen der Nachwuchswissenschaftler damit einen besonderen Status. Die Zusammenkünfte der übrigen Netzwerke folgen einer anderen Dramaturgie.

Exkursion zur EZB in Frankfurt

„Es geht darum, gesellschaftliche und politische Themen zu diskutieren, aber auch den Kontakt zu halten – untereinander und zur Stiftung“, sagt Tönsjost. „Deshalb gibt es immer zunächst einen inhaltlichen Input und anschließend Zeit zum Netzwerken.“ Der Input kann ganz klassisch ein Vortrag sein, aber auch eine Exkursion. So besuchte das Netzwerk Rhein-Main im vergangenen Jahr die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt und sprach mit Beschäftigtenvertretern über ihre schwierige Arbeit – als exterritoriale Institution unterliegt die EZB nicht dem deutschen Arbeitsrecht. Organisiert hatte das die Hans-Böckler-Stiftung. Die Idee aber kam aus dem Netzwerk selbst.

In jedem Netzwerk übernehmen einzelne Mitglieder als „Berater“ Verantwortung, halten die Verbindung zur Stiftung und machen Vorschläge für die inhaltliche und konzeptionelle Gestaltung der Netzwerkaktvitäten. Einer von ihnen ist Nicolai Schneider. Der Volkswirt arbeitet im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium und engagiert sich als Berater im Netzwerk Wirtschaftspolitik, dem rund 250 Altstipendiaten mit Jobs in Gewerkschaften, Unternehmen, Verwaltung oder dem Non-Profit-Sektor angehören. „Eine bunte Mischung von Leuten, die einen im weitesten Sinne wirtschaftlichen Hintergrund haben“, erklärt der 32-Jährige.

Bei den jährlichen Treffen will Schneider Themen aufgreifen, die seinen Kolleginnen und Kollegen auf den Nägeln brennen – und dafür namhafte Referenten gewinnen, „Bigshots“, wie er sagt. Über die Energiewende sprach der Vizepräsident des Wuppertal-Instituts, Prof. Manfred Fischedick. Über Industrie 4.0 referierte Constanze Kurz, Expertin der IG Metall. Und zur Diskussion über Corporate Social Responsibility kam Günther Horzetzky, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium. „Ich habe die Zeit als Studienstipendiat sehr genossen und der Stiftung viel zu verdanken“, sagt Schneider. „Als Netzwerkberater kann ich jetzt etwas zurückgeben.“

Wie eng das Band ist, das durch die Förderung entsteht, weiß Silke Tönsjost nicht nur theoretisch. „Ich habe diese emotionale Bindung auch selbst“, sagt die Leiterin der Alumni-Arbeit. Denn auch sie ist Altstipendiatin, schrieb ihre ethnologische Doktorarbeit mit Hilfe der Hans-Böckler-Stiftung. Diese Verbindung soll bei möglichst vielen der ehemaligen Stipendiaten nicht bloß erhalten, sondern auch fruchtbar gemacht werden.

Aus dem großen Pool der Ehemaligen werden Vortragende für Netzwerkveranstaltungen ebenso gewonnen wie für die journalistische Sommerschule, die alljährlich für die aktuelle Stipendiatengeneration angeboten wird. Altstipendiaten, die für europäische Institutionen arbeiten, lassen sich in Brüssel besuchen und geben Einblick in den „Arbeitsplatz Europa“. Und jedes Jahr werden in einem Mentoring-Programm rund 50 junge Absolventen von erfahrenen Kollegen unter die Fittiche genommen und beim Einstieg in den Beruf unterstützt. „Dafür kontaktieren wir auch Altstipendiaten, die schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zur Stiftung hatten“, berichtet Tönsjost. „Und sie machen mit.“

Man lernt Business-Etikette

Wenn Stipendiaten ihr Studium oder ihre Promotion abschließen, endet naturgemäß ihr Stipendium und sie werden zu Altstipendiaten. Die Unterstützung durch die Hans-Böckler-Stiftung aber endet dann noch lange nicht: Eine Jobbörse im Intranet hilft bei der Stellensuche, Praktika bei Arbeitsdirektoren oder Gewerkschaften werden vermittelt (und von der Stiftung bezahlt), Seminare zum Berufseinstieg lüften Geheimnisse um Bewerbungsstrategien oder Business-Etikette.

Und wer eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, kann nach der Dissertation eine halbe Post-Doc-Stelle für ein Jahr auf hundert Prozent aufgestockt bekommen – um mehr Zeit auch für das zu haben, was die Nachwuchswissenschaftler bei ihrem Netzwerktreffen in Düsseldorf lernen konnten: das Schreiben eines Drittmittelantrags. „Wir wollen damit nicht einfach nur exzellente Wissenschaft fördern, das machen andere schließlich auch“, sagt Tönsjost. „Unsere Idee ist, gesellschaftspolitisch engagierte Menschen in Positionen zu bringen.“

Fotos: Uli Baatz

 

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