Altstipendiat: Der Europäer
In Brüssel sucht der Berliner Cornelius Funke den beruflichen Adrenalinkick. Privat will der Jurist damit nichts zu tun haben. Von Andreas Schulte
Am 24. März 2024 erlebte Cornelius Funke einen Adrenalinkick: Der Saal der Bundespressekonferenz ist hell ausgeleuchtet. Kameras sind auf den 39-jährigen Pressereferenten des Innenministeriums gerichtet. Das Fernsehen überträgt live. Gestern haben Terroristen in Moskau 149 Menschen umgebracht. Gerade heute wäre es Sache eines erfahrenen Pressesprechers, Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Aber an diesem Wochenende ist keiner in Berlin.
„‚Mach du das!‘, haben sie mir im Ministerium gesagt“, erzählt Funke. Also macht er. Auf dem Podium ruckelt er sich kurz auf seinem Stuhl zurecht, dann skizziert er der Presse mit fester Stimme die angespannte Sicherheitslage in Deutschland. Fragen beantwortet er sachlich und souverän. Wohl kaum einer der Anwesenden ahnt, dass dies hier seine Feuertaufe war.
Das kurze Abenteuer der Pressekonferenz bezeichnet Funke als einen der spannendsten Momente in seinem Berufsleben. „Beruflich suche ich das Adrenalin. Ich brauche solche Situationen.“ Seine Zeit in der Pressestelle des Bundesministeriums des Innern sei herausfordernd und intensiv gewesen. „Und eben auch ein bisschen geil.“
Doch mit dem Journalismus hat er in seiner Berliner Zeit nur geflirtet. Heute lebt und arbeitet Funke in Brüssel. In der ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU ist der Jurist Referent im Innenressort. Er vertritt deutsche Interessen vor der EU. „Das rein Nationale ist nicht mehr“, sagt Funke. „Alle europäischen Interessen sind längst auch deutsche Interessen.“ Funke ist selbsterklärter Kosmopolit.
Aufgewachsen in Berlin, geht er zeitweilig in Kanada zur Schule. Ganz bewusst sucht er sich die Europa-Universität in Frankfurt an der Oder für sein Jurastudium mit Schwerpunkt auf Europa- und Völkerrecht aus. Er engagiert sich in der Hochschulpolitik, wirkt im Studentenparlament. Im Universitätsorchester sitzt der Cellist im Vorstand, er gründet einen deutsch-polnischen Kulturverein. Unter anderem sein soziales Engagement qualifiziert ihn für ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. „Ich habe es genossen, neben dem Studium nicht jobben zu müssen“, sagt er. In Schweden macht er seinen Master of Law. Das zweite Staatsexamen folgt 2014 nach seinem Referendariat, das er teilweise im Bundeswirtschaftsministerium, aber auch in einer Brüsseler Kanzlei absolviert.
Als das Bundesinnenministerium die Stelle eines Volljuristen ausschreibt, nutzt er die Chance. Ihn habe auch die Verbeamtung gereizt, erzählt er. Bald pendelt er zwischen Berlin und Brüssel. Seine Mission: Er soll zwischen den einzelnen Ressorts im Bund und mit den Mitgliedstaaten die Entwicklung von ETIAS rechtssicher koordinieren. Die neue Onlineabfrage der EU-Länder verlangt von Reisenden aus Ländern ohne Visumzwang Daten und gleicht sie gegen Datenbanken ab.
Stört den Kosmopoliten die Einschränkung der Reisefreiheit? „Nein, das Verfahren ist legitim. Indem wir unsere Außengrenzen sichern, bewahren wir unsere Reisefreiheit im Schengenraum“, sagt er.
Er selbst hat seinen Platz längst dauerhaft in Brüssel gefunden. Nach der erfolgreichen Aushandlung von ETIAS hatte ihn ein Kollege wieder nach Berlin ins Ministerium gelotst, doch seine Partnerin und deren Kind blieben zurück. „Zwischen Berlin und Brüssel jahrelang zu pendeln, ist mit einer ernsthaften Beziehung nicht zu vereinbaren“, sagt Funke. Also zog es ihn nach gut anderthalb Jahren Pressearbeit wieder in die Europastadt.
Den Großteil seiner Freizeit verbringe er mit seiner Partnerin und deren Kind, sagt er. Manchmal sucht er die Ruhe und geht allein golfen. „Privat will ich mit Adrenalin nichts zu tun haben. Dort brauche ich nicht, was ich beruflich bereits habe.“