zurück
Shad Alkudr studiert Maschinenbau an der Hochschule in Köln Magazin Mitbestimmung

Integration: Angekommen über Umwege

Ausgabe 06/2025

Shahd Alkudr und Zulal Ali flohen aus Syrien nach Deutschland. Bei der Hans-Böckler-Stiftung fanden die beiden Stipendiatinnen nicht nur finanzielle Unterstützung. Von Jeannette Goddar

Vor gerade einmal acht Jahren saß Shahd Alkudr in einer Vorbereitungsklasse einer Kölner Schule und verstand kein Wort Deutsch. Kaum jemand hätte 2017 darauf gewettet, dass sie heute Maschinenbau studiert und Vorlesungen über Automatisierungstechnik und Thermodynamik hört. Der Weg zur Rheinischen Hochschule in Köln führte sie über mehrere Länder und viele Brüche. Durchgehalten hat sie ihn auch dank ihrer Entschlossenheit.

Bis zur dritten Klasse ging sie in Syrien zur Schule. Dann verließen ihre Eltern mit den fünf Kindern das Land. In der Türkei ging sie fünf Jahre lang immer dort zur Schule, wo der Vater Arbeit gefunden hatte. Mal lernte sie auf Arabisch, mal auf Türkisch. Ein Jahr arbeitete sie in der Landwirtschaft, erntete Tomaten und Karotten.

Mit 15 Jahren kam Shahd schließlich nach Deutschland und, wie viele neu angekommene Jugendliche, in eine Willkommensklasse. „Wir waren fast alle aus Syrien oder den Nachbarländern“, sagt sie. „Miteinander haben wir nur Arabisch gesprochen.“ Deutsch lernte sie vor allem aus Büchern, unter anderem mit der Biografie der pakistanischen Kinderrechtlerin Malala. Schritt für Schritt arbeitete die junge Syrerin sich vom Hauptschulabschluss über die Realschule zum Fachabitur. „In unserer Familie ist Bildung sehr wichtig. Für unsere Zukunft haben meine Eltern Syrien verlassen und diesen Weg auf sich genommen.“

In unserer Familie ist Bildung sehr wichtig.“

SHAHD ALKUDR studiert Maschinenbau.

Am Berufskolleg stellte ein Lehrer ihr einen Talentscout vor. Er brachte sie mit der Hans-Böckler-Stiftung in Kontakt; erfolgreich bewarb Shahd sich um ein Stipendium. Gefunden hat sie dort weit mehr als finanzielle Unterstützung: Austausch, politische Debatten und Menschen, die sich ähnliche Fragen stellen wie sie. Wie schafft man Chancengerechtigkeit? Was müsste sich dafür auch strukturell verändern? „Mit ihren Themen ist die Hans-Böckler-Stiftung voll auf meiner Wellenlänge“, sagt sie. In ihrer Stipendiatengruppe, bei Treffen der DGB-Jugend in Köln geht es oft um gesellschaftliche Fragen. „Zuletzt haben wir über Friedrich Merz’ Stadtbild-Äußerungen diskutiert“, erzählt sie. „Nicht nur ich habe mich gefragt: ‚Bin damit auch ich gemeint?‘“

Zulal Ali studiert Friedens- und Konfliktforschung
Mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung hat Zulal Ali ihren Weg gemacht und studiert heute an der Universität in Marburg.

Ich habe auch Rassismus erlebt.“

ZULAL ALI studiert Friedens- und Konfliktforschung.

Ähnliche Erfahrungen von Neubeginn, Umwegen und Beharrlichkeit hat Zulal Ali gemacht. Die syrische Kurdin kam mit 19 Jahren ganz allein nach Deutschland. Auch sie erzählt von einem holprigen Start: Schon auf den Beginn ihres Sprachkurses musste sie Monate warten. „Davon hing so viel ab“, sagt sie. „Ohne Deutschkenntnisse konnte ich nicht richtig ankommen.“ Drei Jahre später holte sie im Hessenkolleg auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nach.

Bereits dabei unterstützte sie die Hans-Böckler-Stiftung – und auch sie nicht nur finanziell. „Am Hessenkolleg hatte ich ein paar tolle Lehrer“, sagt sie, „aber auch welche, die einem alles so schwer wie möglich gemacht haben. Ich habe auch Rassismus erlebt und bin der Stiftung bis heute sehr dankbar, dass ich dort auch solche Erfahrungen besprechen konnte.“

Auf dem Weg in ihr Studium öffnete die Stiftung ihr weitere inhaltliche Horizonte. In einem Stipendiaten-Seminar über die Nürnberger Prozesse sah Zulal, wie internationale Strafverfolgung funktioniert, wie nach Gewalt und Diktatur versucht wird, sich Gerechtigkeit anzunähern. Ihr Interesse am Recht war geweckt. In Gießen begann sie ein Jurastudium, wechselte dann aber zu Politikwissenschaft des Nahen und Mittleren Ostens und Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg. „Ich wollte mehrere Ebenen betrachten, auch die, wie Menschen und Gesellschaften nach großen Verwerfungen wieder handlungsfähig werden.“

Über Syrien spricht sie nüchtern. Eine Rückkehr sei im Moment unmöglich. Doch die Beschäftigung mit Friedensprozessen habe ihren Blick verändert, auch was ihre persönliche Zukunft angeht. In einer Vorlesung hörte sie, dass internationale Gerichte und Organisationen Expertinnen beschäftigen, die nicht nur inhaltliche, sondern auch regionale Expertise haben und ein Land wirklich kennen. „Da dachte ich: Warum nicht ich? Ich komme von dort, ich kann die Sprache, ich kenne mich aus.“ Durchaus vorstellbar, dass sie eines Tages beruflich an Versöhnung und Wiedergutmachung mitwirkt.

Shahd und Zulal haben eine gemeinsame Erfahrung: Um ihre Bildung mussten sie kämpfen. Dank Unterstützung haben sie Orientierung und Selbstvertrauen gewonnen.

Zugehörige Themen