Unternehmenssteuern: Senkungswettlauf ohne verlässliche Basis
Die Bundesregierung plant, die Steuersätze für Unternehmen noch weiter zu senken. Wie hoch die tatsächliche Belastung der Unternehmen mit Steuern und Abgaben ist, darüber streiten sich die Experten. Eins ist sicher: Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht - aber Indizien, dass die Steuerlast nicht allzu schwer sein kann.
Steuerexperten haben eine Vielzahl an Steuerbelastungsanalysen auf ihre Aussagekraft hin untersucht. Ihr Ergebnis: Alle von ihnen untersuchten Maßstäbe haben Lücken und blinde Stellen.
Wer einfach nur die nominalen Körperschaftsteuersätze vergleicht - wie zum Beispiel Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, wenn er von einer Steuerlast der Konzerne von aktuell 39 Prozent spricht -, nimmt Verzerrungen wegen weltweit unterschiedlich großer Bemessungsgrundlagen in Kauf. Auch das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft veröffentlicht lediglich die aktuellen Steuersätze. Deutschland sieht so nicht sonderlich attraktiv aus - was bei der Berücksichtigung von Möglichkeiten zur Verkleinerung der Bemessungsgrundlage anders wäre.
In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes wiederum erfasst der Anteil der quantifizierten Unternehmensteuern am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur jene Unternehmen, die als Kapitalgesellschaften organisiert sind. In Deutschland sind aber etwa 84 Prozent aller Unternehmen Personengesellschaften, die keine Unternehmen-, sondern Einkommensteuer zahlen. Für diese gilt die Messgröße also gar nicht.
Unabhängig davon zeigt eine solche BIP-Quote nicht die eigentliche Steuerbelastung der Kapitalgesellschaften. Hierzu müssten die bezahlten Steuern mit den erzielten Gewinnen ins Verhältnis gesetzt werden, auf welche die Steuern anfallen; diese weisen die Statistiker aber nicht aus. Seit 1994 benennt die Behörde nur noch die Summe aller Unternehmensgewinne einschließlich der von Personengesellschaften.
Scheinbarer Ausweg: der Vergleich von Konzernsteuerquoten. Hier werden jedoch alle Ertragsteuern eines international operierenden Konzerns ins Verhältnis zu allen Gewinnen gesetzt. Problem: Welche Gewinne in Deutschland erwirtschaftet - und somit auch hier besteuert - werden, ist nicht feststellbar.
Mehr Realitätsnähe beanspruchen die errechneten Durchschnittssteuersätze in so genannten Investitionsmodellen: Sie sagen, welche Nachsteuerrendite sich in verschiedenen Ländern ergibt, wenn ein Unternehmen eine bestimmte Summe in eine bestimmte Anlageart investiert. Allerdings berücksichtigen sie Regeln zur Verlustverrechnung ebenso wenig wie andere Möglichkeiten der Unternehmen, sich vor dem Fiskus arm zu rechnen. Der "European Tax Analyzer" des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zum Beispiel simuliert die Steuerbelastung eines mittelständischen Unternehmens des verarbeitenden Gewerbes über zehn Jahre. Problematisch: Das Modell unterstellt gleiche Renditen - ganz egal, wie unterschiedlich die Standortbedingungen der verglichenen Länder sind. Auch werden Verlustausgleichsvorschriften nicht berücksichtigt. Außerdem: Auf Dienstleister oder Konzerne sind die Ergebnisse nicht übertragbar.
=> EU-Zahlen zeigen niedrige Belastung
Immerhin: Die Europäische Kommission vergleicht jedes Jahr die so genannten impliziten Steuersätze auf "Kapital". Da die Kommission darin auch die Vermögenseinkommen privater Haushalte und private Veräußerungsgewinne berücksichtigt, lässt sich die Belastung der Unternehmen nicht isoliert ausweisen. "Aber Zinseinkommen und Veräußerungsgewinne werden in Deutschland besonders häufig hinterzogen, so dass der größte Teil des EU-Indikators für Deutschland auf Unternehmensgewinne entfallen dürfte", schätzt Claus Schäfer, Verteilungsexperte des WSI. Deshalb deute dieser Indikator zumindest an, dass die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen so hoch nicht sein kann. Innerhalb der EU 15 rangiert Deutschland bei der Steuerbelastung von "Kapital" demnach auf dem vorletzten Platz. Noch niedriger ist die Belastung nur in Griechenland.
"Eigentlich ist völlig unbegreiflich, dass ein Land wie Deutschland nicht genug über seine Unternehmensteuern und deren Zahler weiß", urteilt Schäfer. Er bestimmt die effektive Steuerbelastung der deutschen Kapitalgesellschaften unter Zuhilfenahme verschiedener Indikatoren. Danach liegt der Anteil der Steuern am Gewinn bei AGs und GmbHs in jüngster Zeit zwischen 6 und 9 Prozent, bei KGs und OHGs - die nicht von der Reform der Körperschaftsteuer profitierten - bei rund 15 Prozent. Doch ganz genau können auch diese Zahlen nicht sein. Schäfers Forderung an die Politik lautet daher, "endlich für die nötige empirische Transparenz und entsprechende Informationspflichten durch Unternehmen und statistische Ämter zu sorgen". Das gelte im Prinzip auch für andere EU-Länder.
Michael Broer, Jürgen Schneider: Unternehmensteuerbelastung im internationalen Vergleich, in: Betriebs-Berater 26/2005.
Claus Schäfer: Weiter in der Verteilungsfalle - Die Entwicklung der Einkommensverteilung in 2004 und davor, in: WSI-Mitteilungen 11/2005.