Arbeitsrecht: Tarif geht vor
Tarifbestimmungen lassen sich nicht einfach mit dem Hinweis auf betriebliche Regelungsmöglichkeiten aushebeln – auch nicht im Fall von Betriebsübernahmen.
Eigentlich ist die Sache klar: Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Management sind wichtige Instrumente, um zahlreiche Aspekte von betrieblichen Arbeitsbedingungen zu regeln. Aber gegenüber Tarifverträgen stehen sie zurück. Schon weil die Tarifautonomie im Grundgesetz steht, während es sich bei der Betriebsverfassung um einfaches Recht handelt. Zudem ist im Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich festgelegt, dass Betriebsvereinbarungen nichts regeln können, was Sache von Tarifverträgen ist. Doch in der Praxis kommt es zu Situationen, in denen sich tarifvertragliche und betriebliche Regelungsebenen ins Gehege kommen. Etwa beim Verkauf eines ursprünglich tarifgebundenen Betriebs an ein Unternehmen ohne Tarifvertrag. Hier ziehen die Beschäftigten oft den Kürzeren, wenn tarifliche Bestimmungen abgelöst werden, weil die Möglichkeit, betriebliche Vereinbarungen zu schließen, als vorrangig betrachtet wird.
Juraprofessor Daniel Klocke von der Universität Mainz hat die komplexe rechtliche Materie im Auftrag des HSI analysiert. Dabei hat er ein „handhabbares Konzept für das Zusammenspiel von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen“ entwickelt, so HSI-Direktor Ernesto Klengel.
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Im Betriebsverfassungsgesetz heißt es: „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.“ An anderer Stelle steht, der Betriebsrat habe, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“, in verschiedenen Angelegenheiten mitzubestimmen, unter anderem in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung.
Schwierig wird es Klengel zufolge aber, wenn zwar ein einschlägiger Tarifvertrag existiert, der Arbeitgeber aber nicht an ihn gebunden ist. Von der Antwort auf die Frage, ob nun tarifliche oder betriebliche Bestimmungen Vorrang haben, hänge ab, ob Arbeitgeber Betriebsräte unter Druck setzen können, etwa im Anschluss an eine Ausgliederung. Arbeitgeber versuchten, „hier mitunter Leistungen, die vormals im Tarifvertrag enthalten waren, mittels einer Betriebsvereinbarung zu pauschalisieren oder zu streichen“.
Hier kommt der Mainzer Rechtswissenschaftler Klocke zu einem klaren Ergebnis: Betriebsvereinbarungen, die vormals tarifvertraglich geregelte Entgeltbestandteile abschaffen, sind nicht zulässig. Lediglich die Regeln für die Verteilung der Entgeltbestandteile in der Belegschaft könnten durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden, nicht jedoch deren konkrete Höhe.
Missbrauch der Mitbestimmung unzulässig
Gerade weil die Tarifautonomie ein hohes, vom Grundgesetz geschütztes Rechtsgut sei, so Klocke, bedürfe es einer sehr guten Begründung, betriebliche Regelungen an die Stelle tariflicher zu setzen. Das komme praktisch nur in Fällen in Betracht, in denen ansonsten gar keine Regelung im Betrieb bestehen würde. Jede andere Interpretation der bestehenden Rechtslage würde darauf hinauslaufen, dass Arbeitgeber ausgerechnet die Mitbestimmung instrumentalisieren können, um die Erosion der Tarifbindung voranzutreiben. Damit würden verschiedene Normen, die dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dienen sollen, gegeneinander ausgespielt – zu Lasten der Beschäftigten.
Daniel Klocke: Tarifvorrang und Tarifvorbehalt. Die Grenzen der Ablösung tariflicher Leistungen durch Betriebsvereinbarungen, HSI-Schriftenreihe, Band 59, September 2025