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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW „Man muss mit langen Zeiträumen planen“

Ausgabe 01+02/2012

Die DIW-Expertin Claudia Kemfert glaubt an die ökonomischen Chancen der Energiewende. Sie will heimische Kohle durch Gasimporte ersetzen, um die CO2-Bilanz zu verbessern, rechnet mit Widerstand gegen Großprojekte – und fordert ein eigenes Energieministerium.

Die Fragen stellte KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung/Fotos: Jens Jeske

Frau Kemfert, die Regierung Merkel hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Was glauben Sie: Hat die Kanzlerin aus Sorge um die Sicherheit der Atomanlagen gehandelt oder aus Populismus?
Ich glaube, beides trifft zu. Dass bei der Entscheidung auch Populismus eine Rolle gespielt hat, zeigt sich daran, dass sie noch ein halbes Jahr vorher die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert hat. Ich glaube aber auch, dass die Kanzlerin ehrlich schockiert war über das entsetzliche Ereignis in Japan – und dass sie daraus die richtigen Konsequenzen gezogen hat.

Werden in Deutschland tätige Unternehmen auch dann, wenn hier alle Atomkraftwerke stillgelegt werden, weiterhin im Ausland Kernkraftwerke bauen oder als Zulieferer solcher Anlagen tätig sein?
Das ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Siemens hat beispielsweise beschlossen, komplett aus der Atomenergie auszusteigen. Andere Energieunternehmen werden im Ausland weiterhin in der Atomenergie aktiv sein. Das gilt etwa für E.ON oder Vattenfall, die beide Atomanlagen in Schweden betreiben. Die Unternehmen, die gezielt auf innovative und nachhaltige Energietechnik setzen, werden meiner Überzeugung nach langfristig die Nase vorn haben. Atomkraft ist eine Technik der Vergangenheit, nicht der Zukunft. Die Rolle von Atomkraft wird generell überschätzt.

Kann der Ausfall in der Stromproduktion, den der Atomausstieg verursacht, sofort mit alternativer Energie kompensiert werden, oder steigt die Abhängigkeit von fossiler Energie für eine Zeit wieder?
Der Anteil der Atomenergie kann und wird problemlos durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Vor der Atomkatastrophe lag der Anteil von Atomstrom bei etwa 23 Prozent, der Anteil der erneuerbaren Energien liegt heute schon bei über 20 Prozent. Der Anteil von Kohlestrom liegt derzeit bei etwas über 45 Prozent, der Rest kommt aus Gaskraftwerken. Wenn es nicht gelingt, den Anteil von effizienten Gas-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen deutlich zu erhöhen, droht ein Zubau von Kohlekraftwerken. Da in den kommenden zehn Jahren ungefähr die Hälfte der Kohlekraftwerke aus Altersgründen vom Netz geht, wäre der Zeitpunkt gut gewesen, den Anteil von Kohlestrom deutlich zu mindern. Doch leider gehen in den kommenden zehn Jahren Kohlekraftwerkskapazitäten in der Höhe von 20 GW ans Netz – so viel wie der heutige Atomstrom.

Finden Sie es richtig, dass in Deutschland noch heimische Kohle verstromt wird, wie es die IG BCE für sinnvoll hält?
Eindeutig nein. Man sollte vielmehr verstärkt weiterhin auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzen sowie auf die Verbesserung der Energieeffizienz und als Brückentechnologie auf Gaskraftwerke – und den Anteil von Kohlestrom in den kommenden Jahrzehnten auf null reduzieren.

Energiewende, das heißt raus aus atomarer und fossiler Energie. Wird der Bundestag irgendwann formell den Ausstieg aus den fossilen Energien beschließen?
So sehr ich mir auch wünschen würde, dass man insbesondere den Ausstieg aus der Kohle beschließen würde, vermute ich jedoch, dass dies nicht geschehen wird – es sei denn, wir haben in naher Zukunft einen grünen Bundeskanzler oder eine grüne Bundeskanzlerin. Den Bau von Gaskraftwerken zu verbieten macht dagegen keinen Sinn. Gaskraftwerke sind gut kombinierbar mit erneuerbaren Energien und verursachen weniger Treibhausgase als Kohle.

Als Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase ist die CCS-Technologie im Gespräch, also die Einlagerung von Kohlendioxid in Speichern. Hat das Zukunft – hier in Deutschland, wo das nationale CCS-Gesetz erst einmal gescheitert ist, oder anderswo auf der Welt?
Diese Technik führt zu erheblichen Effizienzverlusten, zudem ist sie erst bei einem Kohlendioxid-Preis von über 50 Euro pro Tonne im Emissionshandel wirtschaftlich. Diesen Preis wird man in den kommenden zwei Jahrzehnten vermutlich kaum erreichen. Ökonomisch gesehen gibt es bessere Alternativen als CCS. Zudem fehlt es oftmals an gesetzlichen Vorgaben und der gesellschaftlichen Akzeptanz. In Deutschland sollte man auf CCS bei der Kohleverstromung ganz verzichten, das mag in anderen Ländern mit besseren Ausgangsvoraussetzungen anders sein.

Sie sagen, je früher die Energiewende komme, desto billiger sei sie.
In der Energiewirtschaft muss man mit sehr langen Zeiträumen planen. Es ist deshalb enorm wichtig, wo wir heute unser Geld investieren. Zudem werden die Kosten im Zeitablauf sinken, je häufiger die Technik zum Einsatz kommt und je größer die Nachfrage ist. Technologische Innovationen führen zudem zu Kostensenkungen. Je länger man wartet, desto kostenintensiver wird es somit. Die Preise für fossile Energien werden in Zukunft weiter steigen.

Was sagen Sie den Menschen, die sich sorgen, dass eine Volkswirtschaft, die zu früh umsteuert, teure Fehler macht und damit nur anderen das Lehrgeld erspart?
Innovative und zukunftsweisende Technologien führen zu einer Marktführerschaft und somit zu wirtschaftlichen Vorteilen. Wichtig ist aber, dass man mit den richtigen Bereichen beginnt. Die Verbesserung der Energieeffizienz und das Energiesparen senken beispielsweise die Kosten enorm. Das kann gar nicht falsch sein. Je mehr fossile Energie eingespart wird, desto mehr Kosten können eingespart werden. Auch Investitionen in die Gebäudesanierung lohnen sich doppelt: Die Investitionen schaffen Werte und Arbeitsplätze, zudem werden Energiekosten gesenkt.

Wo fallen die größten Investitionen für die Energiewende an – und wer erntet die Rendite?
Es werden Investitionen in Kraftwerke und Netze fließen, zudem in den Ausbau der erneuerbaren Energien, in intelligente Stromnetze und nachhaltige Mobilität. Die größten Investitionen fließen sicherlich in den Bereich der erneuerbaren Energien. Schon heute sind es vor allem mittelständische Unternehmen, die von der Energiewende profitieren.

Ist derzeit sichergestellt, dass die großen Netzbetreiber in Deutschland genug in den Umbau investieren?
Es gibt einen Ausbaubedarf, insbesondere die sogenannten Stromautobahnen, um beispielsweise den Windstrom vom Norden in den Süden und Westen zu transportieren – dort, wo vorher die Atom- und Kohlekraftwerke standen. Zudem benötigen wir auch Verteilnetze, die intelligent eine Optimierung von Angebot und Nachfrage vornehmen können. Die Finanzkrise kann dazu führen, dass die Finanzierung aufgrund höherer Risikoaufschläge ins Stocken gerät. Dies muss die Politik im Blick haben und gegebenenfalls mit Bürgschaften und spezifischen Anforderungen an die vom Staat geretteten Finanzinstitute reagieren.

Stimmt es, dass die Netze durch das Abschalten mehrerer Atomkraftwerke am Rande der Belastbarkeit stehen, weil wir den Strom aus dem Norden des Landes nicht in den Süden bekommen?
Die Schwankungen nehmen weiter zu, auch je weniger Großkraftwerke am Netz sind. Die Bundesnetzagentur hat aus diesem Grund Reservekapazitäten identifiziert, die insbesondere in Winterzeiten bei hoher Nachfrage zum Einsatz kommen.

Wo sehen Sie Verlierer der Energiewende, wo die Gewinner?
Gewinner sind die Unternehmen, die sich rechtzeitig auf neue Geschäftsfelder einlassen. Ein Beispiel ist die Chemiebranche. Öffentlich warnt sie in erster Linie vor den Lasten durch die Energiewende und sieht sich als Verlierer. Doch viele Chemiegiganten sind Anführer auf Rankings globaler Unternehmen in puncto Klimaschutz. Sie produzieren innovative Leichtfaserstoffe, die beispielsweise in der Autoindustrie oder als Dämmmaterialien zum Einsatz kommen. Sie forschen nach Alternativen zum Öl oder wie sich Kohlendioxid wiederverwerten lässt. Die deutsche Wirtschaft kann enorm von der Energiewende profitieren, gerade weil sie ein starkes Industriefundament hat, welches alle Komponenten der Energiewende im eigenen Land herstellt.

Die Solar- und die Windbranche klagen über düstere Zukunftsaussichten. Sind Managementfehler die Ursache, oder brauchen diese Branchen insgesamt weiter eine Förderung, um gegen Wettbewerber aus China bestehen zu können?
Die deutsche Windbranche ist weltweit führend. Auch die Solarunternehmen sind weltweit führend, auch wenn die Konkurrenz, insbesondere aus China, immer weiter zunimmt. In Deutschland ist die Solarenergie massiv gefördert worden, dadurch sind viele Unternehmen und neue Arbeitsplätze erst entstanden. Dass es eine Marktkonsolidierung geben wird, war zu erwarten. Wichtig ist, dass sich die Unternehmen dem internationalen Wettbewerb stellen und auch die Marktpotenziale im Ausland stärker nutzen.

Kann es für ein Industrieland wie Deutschland sinnvoll sein, dass besonders energieintensive Branchen Energie zu Sonderkonditionen erhalten?
Ja, durchaus, aber in Maßen. Es ist sinnvoll, unnötige Belastungen zu verhindern, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Wettbewerbern nicht einzuschränken. Darum gibt es bei der Ökosteuer, beim Kauf der Emissionszertifikate, der Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien und auch bei den Netzentgelten Ausnahmen. Diese führen teilweise dazu, dass andere Verbraucher stärker belastet werden. Es sollte aber nicht sein, dass diese Belastungen alle restlichen Verbraucher allein tragen.

Sie fordern mehr Subventionen für die Energieforschung – ginge das nicht zulasten direkter Zahlungen an die Industrie?
Die Energieforschung ist elementar für die Energiewende. Die Forschungsgelder sollen ja übrigens auch aufgestockt werden und gezahlt werden aus dem Energie- und Klimafonds. Daher gehen sie nicht zulasten der Zahlungen an die Industrie – welche auch nur für den Umbau des Energiesystems hin zu mehr Nachhaltigkeit gewährt werden sollten.

Müssen die vier großen deutschen Energieversorger durch den Atomausstieg ihr Geschäftsmodell verändern?
Die Strukturen waren geprägt durch Großkraftwerke – hier wird es Veränderungen hin zu einer dezentralen Energieversorgung geben, welche vor Ort möglichst effizient Strom und Wärme gleichzeitig produziert und die Nachfragesteuerung mittels intelligenter Netze zu einer Optimierung führt. Es hängt von den Entscheidungen der großen deutschen Energieversorger ab, inwieweit sie Investitionen in diese Bereiche vollziehen wollen.

Stadtwerke und kommunale Versorger, die heute einen Anteil von rund zehn Prozent an der Stromerzeugung haben, sehen sich im Aufwind. Zu Recht?
Absolut, ja. Insbesondere kleinere und mittelgroße Energieanbieter haben durch die Energiewende eine große Chance bekommen, in strategisch wichtige Bereiche zu investieren. Das stärkt den Wettbewerb und ist somit auch gut für die Verbraucher.

Immer wieder hört man, dass sich das Wirtschafts- und das Umweltministerium beim Thema Energiewende in die Quere kommen. Brauchen wir einen Energieminister, oder kann die Bundesnetzagentur es zusammen mit den jetzigen Ministerien richten?
Ich denke, dass die jetzige Struktur nicht ausreicht, um ein so wichtiges Thema wie die Energiewende klug und richtig umzusetzen. Das Thema ist zu elementar, als dass man es in einzelnen Ministerien oder Agenturen zerfasert. Deshalb habe ich bereits im Jahr 2006 in einem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Energieministerium gefordert.

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in bei der Energiewende – Befürworter oder Bremsklotz?
Ich sehe sie nicht als Bremsklotz – im Gegenteil. Sie sind innovative Befürworter der Energiewende. Sie sorgen sich zu Recht um sozial verträgliche Energiepreise. Der Markt muss so reguliert werden, dass die Kosten nicht so hoch ansteigen. Energiesparen kann die Haushalte zusätzlich entlasten.

Die Autoindustrie, der Stolz der deutschen Wirtschaft, hat die Energiewende bisher noch nicht vollzogen. Es fahren noch fast alle Autos mit fossiler Energie. Brauchen wir hier mehr Druck?
Es tut sich einiges in der deutschen Autoindustrie, dies ist nur noch nicht richtig am Markt sichtbar. Der Wettbewerb um die besten und innovativsten nachhaltigen Antriebstechniken und -stoffe ist entbrannt. Ich drücke den deutschen Autobauern, die sich der Wende stellen, die Daumen, dass sie weiterhin weltweit führend sein werden.

Sie haben einmal erklärt, derzeit würden fast alle Investitionsprojekte in Kraftwerke oder Netze durch Bürgerproteste blockiert – gleich um welche Energieform es geht. Wie rational sind diese Kräfte?
Grundsätzlich sind immer alle Bürger für die Energiewende – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür, wenn es um konkrete Projekte geht. Man muss Sorgen um den Landschaftsschutz, die Umweltrisiken und die Gesundheitsgefahren ernst nehmen. Dafür brauchen wir Moderationsprozesse, die alle Akteure einbinden, denn die gesellschaftliche Akzeptanz ist der wichtigste Baustein zur Umsetzung der Energiewende. Aber am Ende des Tages muss man eine Entscheidung teffen.

Zur Person

Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie ist Wirtschaftsexpertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz. Claudia Kemfert war Beraterin von EU-Präsident José Manuel Barroso und ist in Beiräten verschiedener Forschungsinstitutionen sowie Bundes- und Landesministerien tätig. Unter anderem von ihr erschienen: „Die andere Klima-Zukunft: Innovation statt Depression“, 2008, und „Jetzt die Krise nutzen“, 2009.

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