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VDK-Konferenz Magazin Mitbestimmung

Jubiläum: Ermutigend zur Seite stehen

Ausgabe 05/2022

Mehr als 550 Vertrauensdozentinnen und -dozenten unterstützen heute die Arbeit der Studienförderung an den Hochschulen. 1972 wurde für sie die erste Konferenz ausgerichtet. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens erzählen vier von ihnen, was ihre Arbeit für die Stiftung ausmacht. Von Jeannette Goddar

Der Migrationsforscher

Vertrauensdozent Prof. Philip Anderson
Philip Anderson, Professor für Sozialraumorientierung und interkulturelle soziale Arbeit an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg.

Philip Anderson studierte Geschichte in Großbritannien. Nach einigen Jahren als Erzieher in Deutschland promovierte er mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Seit 2007 ist er Professor für Sozialraumorientierung und interkulturelle soziale Arbeit an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg.

Mich freut besonders der Wandel unter den Stipendiaten. Heute stammen weit mehr als vor 15 Jahren aus Familien mit Wurzeln in einem anderen Land oder sind selbst vor wenigen Jahren als Flüchtlinge gekommen. Bei den Gutachten, die ich als Vertrauensdozent erstelle, kommt mir auch meine langjährige wissenschaftliche Erfahrung zugute. Als Migrationsforscher kann ich ganz gut beurteilen, wie gesellschaftspolitisches Engagement etwa in Afghanistan oder Syrien ausgesehen haben kann. Denn dieses ist für eine Förderung ja immer ein wichtiges Kriterium, übrigens auch hinsichtlich der Frage: Wie könnte Engagement im Beruf aussehen? Ich frage jeden potenziellen Stipendiaten, ob er oder sie sich vorstellen kann, später etwa als Ingenieur gewerkschaftliche Positionen zu stärken.

Als Professor an einer Hochschule im ländlichen Raum ist mir noch etwas wichtig: Engagement in den Dörfern der Oberpfalz sieht anders aus als in den Großstädten des Ruhrgebiets. Auch jemand aus der kirchlichen Fluchthilfe oder der Freiwilligen Feuerwehr ist gesellschaftlich aktiv. In meinen Gesprächen mit der Hans-Böckler-Stiftung mache ich darauf immer wieder aufmerksam – und freue mich, dass ich zunehmend auf offene Ohren stoße. Insgesamt gilt: Der Kontakt mit all den verschiedenen Biografien, die ich als Vertrauensdozent kennenlerne, ist auch für mich motivierend, bereichernd und lehrreich.

Die Vizepräsidentin

Vertrauensdozentin Prof. Sonja Buckel
Sonja Buckel, Professorin für Politikwissenschaft und Vizepräsidentin an der Universität Kassel.

Sonja Buckel absolvierte vor ihrem Abitur eine kaufmännische Ausbildung. Nach Studium, Promotion und Habilitation erhielt sie einen Ruf als Professorin für Politikwissenschaft an die Universität Kassel. Seit dem vergangenen Jahr ist sie dort Vizepräsidentin.

Dass ich heute Vizepräsidentin einer Universität bin, war statistisch mehr als unwahrscheinlich: Nur eins von 100 Kindern aus einer Arbeiterfamilie promoviert, zu meiner Zeit ebenso wie heute. Wenn ich Promovierende begleite, erkenne ich oft etwas wieder, was mir sehr vertraut ist. Das Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung, die, wie keine andere, Arbeiterkinder fördert, wirft sie im besten Sinne aus einer für sie vorgezeichneten Bahn auf eine, die sie für nicht möglich gehalten hätten.

Umso glücklicher macht mich, sie auf diesem Weg begleiten zu können, oft im Wortsinn, wenn ich mich mit ihnen, wie zu Coronazeiten, auf einen Spaziergang treffe. Wichtig ist für mich, ihnen ebenso ermutigend zur Seite zu stehen wie die Stiftung das tut, übrigens auch mit ihren Seminaren, die fast so wichtig sind wie die finanzielle Unterstützung. Ich spreche mit allen über ihre berufliche Zukunft – und rate immer dazu, einen Plan B zu einer wissenschaftlichen Laufbahn zu entwerfen. Hochschulische Karrieren sind ja höchst unsicher. Ich erlebe auch immer wieder, dass es Stipendiatinnen und Stipendiaten später in die gewerkschaftsnahe Sozialforschung zieht, auch in Institute der Hans-Böckler-Stiftung.

Die Verfassungsrichterin a. D.

Vertrauensdozentin Rosemarie Will
Rosemarie Will, Professorin für Staatsrecht (DDR) und öffentliches Recht (Bundesrepublik) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1996 bis 2006 war sie zudem Landesverfassungsrichterin in Brandenburg.

Rosemarie Will war von September 1989 bis zu ihrer Emeritierung 2014 Professorin für Staatsrecht (DDR) beziehungsweise öffentliches Recht (Bundesrepublik) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1996 bis 2006 war sie zudem Landesverfassungsrichterin in Brandenburg.

Der Westen ist die Norm. Diese Haltung hat ab 1990 vieles bestimmt, auch die Wissenschaft. Nach 1990 hat der Wissenschaftsrat, das höchste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, alle Institute und Hochschulen in Ostdeutschland evaluiert. Am Ende blieb kaum ein Forscher übrig, der bereits in der DDR tätig war. Weil ich eine der wenigen war, wurde ich, als ein anderer in Rente ging, von einem Böckler-Mitarbeiter als Vertrauensdozentin geworben.

Meine Tätigkeit verstand ich einerseits so, dass ich auf ostdeutsche Biografien – wenn sich denn welche beworben haben – ein besonderes Augenmerk hatte. Zuvorderst aber, das war mir immer wichtig, müssen die fachlichen Fähigkeiten stimmen. Bei der Begutachtung von Stipendiaten habe ich das immer als gewissen Spagat erlebt: Einerseits müssen die Studienleistungen sehr gut sein, andererseits ist gewerkschaftliches oder politisches Engagement erwünscht. In einem extremen Fall habe ich erlebt, dass jemand parallel zu seinem Jurastudium für den Bundestag kandidierte. Da musste man einfach sagen: Das ist zu viel, das funktioniert nicht. Das Gute an den Rechtswissenschaften ist, dass man sehr schnell sieht, wo ein Stipendiat mehr oder weniger Probleme hat. Insofern konnte ich ganz gut als Beraterin zur Seite stehen. Als ich 2014 emeritiert wurde, lief nach und nach auch meine Betreuung von Studierenden und Doktoranden aus.

Der kritische Ökonom

Vertrauensdozent Till van Treeck
Till van Treeck, Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen.

Viele haben es unter widrigsten Umständen in eine akademische Laufbahn geschafft.“

Till van Treeck, Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen

Till van Treeck studierte Volkswirtschaft, bevor er mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung promovierte. Von 2009 bis 2013 leitete er das Referat für Allgemeine Wirtschaftspolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Stiftung. Seit 2013 ist er Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen.

Ich war nicht nur Böckler-Stipendiat, sondern auch der erste Praktikant im 2005 gegründeten IMK. Wer sich damals aus einer keynesianischen, gesamtwirtschaftlichen Perspektive der ökonomischen Forschung widmete, fand kaum einen anderen Ort. Dazu passend, blieb ich dem IMK auch während meiner Promotion und danach erst mal treu.

Als ich auf eine Professur in Duisburg-Essen wechselte, war es also nur folgerichtig, Vertrauensdozent zu werden. Die Lebensläufe der Stipendiaten, denen ich seither in meinem Büro gegenübersitze, sind oft beeindruckend: Viele haben es unter widrigsten Umständen in eine akademische Laufbahn geschafft; so mancher ist aus guten Gründen schon als Jugendlicher bei seinen Eltern ausgezogen. In lebendiger Erinnerung ist mir auch ein Stipendiat, der ohne Abitur direkt aus der Automobilbranche ein Maschinenbaustudium anfing. Ich war da, zugegeben, sehr skeptisch, doch am Ende hat er es zu einem richtig guten Abschluss gebracht.

„Meine“ Stipendiaten kommen aus ganz verschiedenen Fächern; was sie eint, ist der Standort Ruhrgebiet. Jedoch haben wir Vertrauensdozenten das Recht, Promovierende für ein Stipendium vorzuschlagen. Und da versuche ich schon immer wieder, Wirtschaftswissenschaftler, die sich der Kritischen Ökonomie verschrieben haben, in Kontakt mit der Stiftung zu bringen. Und ich betreue ein Promotionskolleg der Hans-Böckler-Stiftung mit zwölf Doktorandinnen und Doktoranden, der Titel: „Politische Ökonomie der Ungleichheit“.

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