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Magazin Mitbestimmung

: Die Welt besser machen

Ausgabe 04/2009

WELTSOZIALFORUM Der Krise auf diesem Planeten ist allein mit ein paar Konjunkturprogrammen nicht beizukommen. Das machten soziale Bewegungen in Belém, der Millionenstadt im Amazonasdelta, deutlich.

Von Cornelia Girndt, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung

Es ist der dritte Tag des Weltsozialforums, wir sind schon wieder komplett nass geschwitzt und wie immer auf der Suche: diesmal nach "UFPA Profissional, Hp Hp 06", wie es im Programm heißt, einem Seminarraum in einer der Gebäudeboxen auf dem Gelände der städtischen Universität in Belém. Dort wollen wir hören, was die Rosa-Luxemburg-Stiftung über "Socialismo ou Barbárie" - eine ihrer Ansicht nach brennend aktuelle Debatte, zu sagen hat.

Um die Ecke flitzen zwei junge Männer, ihre in solidarischer Ökonomie hergestellten Schultertaschen, wie sie 110 000 weitere Teilnehmer des "Forum Social Mundial" umhängen haben, fliegen mit herum, atemlos fragen sie uns erst auf Englisch, dann auf Deutsch, wo denn Elmar Altvater seinen Vortrag hält über die Globale Wirtschaftskrise. "Der war doch schon gestern Abend." "Nein", widersprechen sie, "der wurde wegen des Treffens mit den vier sozialistischen Präsidenten Lateinamerikas verlegt."

Adios "Sozialismus oder Barbarei", wir laufen alle zusammen in den kleinen Raum. Wie gut, Übersetzer sind auch hier! Denn Elmar Altvater, 70 Jahre, Leitfigur der globalisierungskritischen Bewegung aus Berlin, sagt gerade in fließendem Portugiesisch, "diese Krise ist die schlimmste Krise vielleicht in der Geschichte des Kapitalismus". Er sitzt auf einem kleinen Stühlchen vor einer Tafel, neben ihm ein paar linke Intellektuelle aus Chile, Kolumbien und Brasilien. Altvaters Miene ist düster, als er die "unglaublichen Verluste" aufzählt, die 20 Prozent des weltweiten Sozialproduktes betragen, wie die EZB schätzt. Exakt der gleiche Betrag wäre nötig, um den weltweiten Klimakollaps zu verhindern.

Ist nun das Geld weg, das man dringend für den Schutz der Welt und ihrer Ressourcen braucht? Am ersten Tag des Weltsozialforums hatte Altvater in einem anderen Seminarraum REDD vorgestellt, einen neuen Ansatz, wie man den Wert von Regenwald bemisst, um diejenigen zu bezahlen, die den Wald erhalten statt abzuholzen.

Ohne systematische Reduzierung der Armut wird sich die Umweltsituation nicht verändern, das wissen hier alle. Hunger und Elend ist auch das Thema der brasilianischen Landlosenbewegung, dem Movimento Sem Terra. MST-Mann Egidio Bruneto sitzt neben Altvater und platzt vor Stolz, weil der MST hier im Belém gestern die vier sozialistischen Präsidenten Lateinamerikas zu Gast hatte. Die TV-Sender zeigten am Abend, wie Rafael Correa aus Ecuador und Fernando Lugo aus Paraguay - ein ehemaliger Priester - und der Indio Evo Morales aus Bolivien auf Chavez warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, stimmen sie das Loblied auf den "Comandante Che Guevara" an, als endlich Hugo Chaves hereinkommt und sich mit machohaft breitem Grinsen das Mikro greift.

Zum Treffen mit den Präsidenten hatte der regierungskritische MST die Linke von Attac bis Rosa-Luxemburg-Stiftung geladen, nicht jedoch die Friedrich-Ebert-Stiftung und nicht das DGB-Bildungswerk, obwohl beide mit vielen Projekten in Brasilien engagiert sind. In dieser Wachstumsregion haben 1200 deutsche Firmen Werke und Niederlassungen.

AM VORABEND DES WELTSOZIALFORUMS 2009 traf sich die deutsche Delegation in der Avenida Duque de Caxias im Haus der Gewerkschafter des öffentlichen Sektors. Dieter Eich vom DGB-Bildungswerk entdeckt im Raum viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die schon 2001 beim 1. Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre mit dabei waren. Die Leute vom Klimabündnis sind da, Amnesty, kirchliche Organisationen, die Ebert- und die Böll-Stiftung, jemand vom VW-Projekt für Straßenkinder, IG Metall und IG BCE.

DGB-Mann Eich freut sich, dass zur Gegenveranstaltung des Davoser Weltwirtschaftsforums auch der deutsche Botschafter Friedrich Prot von Kunow nach Belém gekommen ist. Der weist auf die Krisenfolgen für die Südländer hin, Eich fordert einen Plan B, weil diese globale Krise nicht nur mit Abwrackprämien bekämpft werden könne. Jürgen Reichel vom Evangelischen Entwicklungsdienst, EED, berichtet aus dem Rat des Weltsozialforums (WSF). Bis zum Schluss mussten die WSF-Organisatoren um die Finanzen zittern. Im September 2008 hatten sie erst ein Drittel der benötigen 4,5 Millionen Euro zusammen, weil die Rockefeller-Stiftung wegen abgestürzter Aktienkurse ihre Finanzzusage wieder zurückgezogen hatte. Stark haben sich die deutschen Kirchen engagiert: Unter den 17 Sponsoren des WSF sind MISEREOR, Brot für die Welt und der EED. Die finanzielle Hauptlast aber hat der brasilianische Bundesstaat Pará getragen, denn 110 000 Menschen wollen transportiert und versorgt werden. Und beschützt: 10 000 Polizisten und Militärs wurden eigens in Belém zusammengezogen für das Treffen der Menschenrechts- und Umweltgruppen.

"EINE ANDERE WELT IST MÖGLICH", dafür demonstrieren sie alle auf Beléms Avenida Presidente Vargas - die brasilianischen Jungkommunisten machen auf ihrem geschmückten Lkw einen Höllenlärm, der nur noch von den jungen Kubanern überboten wird, dann marschieren die Befreiungstheologen, die Ökosozialisten, die nicht profitgetriebenen Stadtreformer, die Staudammgegner, die CUT-Gewerkschafter, weithin sichtbar in ihren roten T-Shirts - hinter ihnen die GEWler, die mit ihren Riesen-Luftballons richtig was hermachen.

Der Zug hatte sich in einer gewissen Marschordnung in Bewegung gesetzt, da geht über Belém ein tropischer Regen herunter, als würde jemand eine Stunde lang die Dusche voll aufdrehen. Die Schirmverkäufer machen das Geschäft ihres Lebens, die Demonstranten verkriechen sich unter ihre Transparente, andere flüchten unter die Vordächer der Geschäfte, die Unentwegten der Rosa-Luxemburg-Stiftung hüpfen vorwärts und halten ihre Fahnen hoch - alle vermischen sich in einem einzigen Regentanz. Nur die Regenwaldmenschen verstehen die ganze Aufregung nicht.

Es ist auch ihr Forum. Aus dem riesigen Amazonasbecken sind Tausende von Indianern, Flussfischer und Bauern, nach Belém gekommen, deren nachhaltige Lebensweise Vorbild ist. Sie laufen fast nackt herum, ihre Körper bemalt, die Köpfe der Männer mit vielen Häuptlingsfedern geschmückt - so werden sie zum Emblem dieses Weltsozialforums.
Doch das Bild prägt die globalisierungskritische Jugend. Rund 80 Prozent der Teilnehmer sind Mitte bis Ende 20. Sie schlafen auf dem Campus in Zeltstädten im Matsch oder übernachten wie Nadine Telemann aus Hamburg bei einer Familie. Nadine ist Jugendsekretärin und findet es schade, dass in Belém kaum Gewerkschaftsjugendliche sind - außer zwei begeisterten Junglehrerinnen, die am Abend ihre Erlebnisse frisch ins Netz bloggen.

Für Hilmar Ruminski vom Lateinamerikareferat der FES sind die Weltsozialforen alle zwei Jahre "das bedeutendste und größte weltweite Treffen von Umwelt- und Bürgerinitiativen". Alle Organisationen nutzen das WSF am Amazonas, um ihre lateinamerikanischen Kooperationspartner zu treffen und gemeinsam Workshops zu machen. Das Zuhören ist anstrengend. Viele südliche Temperamente sprechen so laut ins Mikro, dass man die Übersetzung kaum noch versteht. Aber Inhalte sind hier nicht immer das Allerwichtigste. Sonst würde man in Verzweiflung ausbrechen beim Durchblättern eines kiloschweren Programmheftes, das einem vor Augen führt, welche Themenzelte und Workshops man in fünf Tagen alle nicht besuchen kann - unter 2400 Aktivitäten.

So werden wir den Befreiungstheologen Leonardo Boff nicht hören können, weil gleichzeitig ein Werksbesuch in der Aluminiumhütte von Albras auf dem Programm steht. Viele Interessierte schließen sich dem Tross des DGB-Bildungswerkes an, das mit dem Observatorio Social als Partner seit acht Jahren die Gewerkschaften der Aluindustrie unterstützt. Belém liegt inmitten der größten Flusslandschaft der Erde, und so geht es über den Rio Guamá und durch viele Kanäle mit dem Boot nach Barcarena. Peter Camin, Betriebsrat bei Hydro Aluminium, macht auf dem Oberdeck ein Kurzseminar über die giftigen Rückstände von 20 Jahren Aluminiumproduktion. "Hier in Barcarena lagern mittlerweile um die 100 Millionen Tonnen Rotschlamm, da tickt eine echte Zeitbombe. Eigentlich", sagt Camin, "kann man so eine Produktion nicht in einem der sensibelsten Ökogebiete der Welt machen." Denn Rotschlamm enthält Arsen und Quecksilber, in der Regenzeit werden die Deponiebecken überflutet, in der Trockenzeit fliegt der giftige Staub herum.

Warum ist diese Produktion am Amazonas? Weil Anfang der 80er Jahre der japanische Staat entschieden hat, dass das stromverschlingende Aluminium nicht mehr im eigenen Land herstellt werden soll. Das macht den Vize-Vorsitzenden der hiesigen Metallgewerkschaft sauer: "90 Prozent der Aluminiumbarren gehen in den Export, und bei uns bleibt der Dreck", empört er sich.

Auf der Fahrt nach Barcarena kommen wir an Einfamilienhäusern vorbei, die kleinen Autos schmiegen sich an die Hauswände, hinter Gittern fest verschlossen - Präsident Lulas Vision vom Arbeiterglück. Wenige Kilometer daneben wohnt die schiere Verzweiflung in Elendsquartieren im Schlamm. "Ja, die Fabriken sind ein Fortschritt für die Region, aber der Schaden ist noch größer", sagt der Vorsitzende der Metallgewerkschaft Lucio Maciel. Die Multis haben ein Heer Arbeitssuchender angezogen. Die Gemeinde Barcarena ist dadurch auf 90 000 Menschen angewachsen, aber es fehlt an Infrastruktur. Kein sauberes Wasser, keine Schulen, zu wenig Hospitäler. "Das größte Problem ist, dass in der Region nichts ankommt", sagt Felipe vom Observatio Social. Die deutschen Betriebsräte wundern sich. "Bei den Profiten, die die Unternehmen machen, müssten diese Ortschaften eigentlich in Geld schwimmen", sagt Gerd Rathgeb.

Wenige Betriebsräte sind diesmal auf dem Weltsozialforum - wegen Krise und Kurzarbeit, aber Gerd Rathgeb ist da. 23 Jahre war er bei Daimler im Betriebsrat - jetzt ist er in Rente und sehr aktiv, um die Waiapi-Indianer in ihren Schutzgebieten mit Trinkwasser und Solarstrom zu versorgen. Dabei setzt er das Projekt fort, das er mit Willi Hoss zusammen angefangen hat, wozu eine Kokosfaserfabrik nahe Belém gehört, die eine Zeit lang ein Daimlerwerk in Brasilien beliefert hat und für die jetzt ein Unternehmer gesucht wird.

"Die Konzernnetzwerke sind beim Weltsozialforum 2003 geboren worden", erinnert IG-Metaller Lothar Wentzel an den Start. Sechs Jahre später freut sich die brasilianische CUT-Gewerkschafterin Maria Ferreira, "dass wir bei ZF in Brasilien einen Gesamtbetriebsrat wie in Deutschland haben". Jungsun Phee aus Südkorea berichtet hier in Belém über das BASF-Netzwerk in Asien, wo eine Arbeitnehmervertretung nur zustande kam, weil der BASF-Vorstand aus Ludwigshafen höchstpersönlich Druck machte. Alle sind sich einig: "Die Finanzkrise ist ein Test auf die Solidarität unserer Netzwerke."

Hydro-Betriebsrat Peter Camin weiß, dass ihn nach dem Weltsozialforum in Hamburg eine Menge Arbeit erwartet: Der Aluminiumpreis ist wegen der Wirtschaftskrise um mehr als die Hälfte eingebrochen, die Konzerne schließen derzeit ihre teureren Werke, das trifft das Rheinwerk in Neuss genauso wie ein Werk des Bergbaukonzerns Vale in der Region São Paolo.

Belém hat die Lage einmal mehr als globale Krise kenntlich gemacht. Eine Krise, die mehr ist, als eine von maroden Banken und schrumpfender Wirtschaftsleistung. Es ist die Krise eines Wirtschafts- und Konsummodells, das kostbare Naturressourcen in kürzester Zeit verpulvert, das Klima schädigt und den Hunger längst nicht besiegt hat. Da müssen wir uns in den nächsten Jahren mehr einfallen lassen als nur den Verkauf von Autos anzukurbeln und noch mehr zu konsumieren. "Wir haben es mit einer Zivilisationskrise zu tun", sagt Altvater düster.

 

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