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Magazin Mitbestimmung

: Die Privaten sind die Trendsetter

Ausgabe 04/2012

HOCHSCHULEN Seit drei Jahren dürfen Berufserfahrene auch ohne Abitur studieren. Während sich private Anbieter eine neue Klientel erschließen, sind qualifizierte Praktiker an den öffentlichen Hochschulen noch kaum zu finden. Von Christian Sywottek

Von CHRISTIAN SYWOTTEK, Journalist in Köln/Foto: Georg Lukas

Nicht einmal einer von Hundert – nur knapp ein Prozent aller Studierenden hat es ohne klassische Zugangsberechtigung wie Abitur oder Fachhochschulreife an deutsche Hochschulen geschafft. Drei Jahre nach deren Öffnung für nichttraditionelle Studierende stellen ihnen Bildungsforscher unisono die Note „ungenügend“ aus.

Die etablierten Hochschulen tun sich schwer, den formalen Beschluss in die Tat umzusetzen. Gründe für einen Kurswechsel gäbe es dabei genug. „Es fehlen Ingenieure, deshalb müssten dringend mehr Meister entsprechend ihrem Fachgebiet studieren“, sagt etwa Herbert Loebe, Hauptgeschäftsführer des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft. Auch Facharbeiter trügen immer mehr Verantwortung. „Das erfordert Hochschulbildung.“ Das geht nur berufsbegleitend. „Niemand kann dafür seinen Beruf aufgeben“, sagt Loebe.

Doch das, was die Hochschulen gemeinhin bieten, ist das Gegenteil: Hier dreht sich alles um ein Vollzeitstudium in Dauerpräsenz. Angebote für Berufstätige beschränken sich meist auf Kurse mit Zertifikat. Mitunter lassen die Hochschulen beruflich Qualifizierte ungern herein. „Viele Professoren haben Angst vor einem Qualitätsverlust“, sagt Eckart Severing, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg. Als einzige öffentliche Universität bietet traditionell die FernUni Hagen eine Alternative. Ein Jahr nach der Öffnung des Hochschulzugangs meldeten sich dort 2559 Kandidaten ohne klassische Berechtigung für ein Studium an. Ein Jahr zuvor waren es nur 84. Andernorts herrscht weitgehend Stillstand. Nur etwa fünf Prozent aller Bachelorstudiengänge werden berufsbegleitend angeboten, davon nur jeder siebte an einer Universität. Und obwohl es viel mehr öffentliche Hochschulen gibt, sind es die privaten, die fast jeden zweiten berufsbegleitenden Bachelorstudiengang offerieren. Zufall ist das nicht. Berufsbegleitende Angebote gehören von jeher zu ihrem Geschäft. Sie finanzieren sich ausschließlich über Studiengebühren. So werden sie zu Trendsettern in einem neuen Markt.

12.000 EURO FÜR DEN BACHELOR_ Ganz vorn dabei ist die Euro-FH in Hamburg. Seit Jahren wirbt die private Fernhochschule um Menschen ohne klassischen Zugang – fast jede dritte Neuanmeldung kommt mittlerweile aus dieser Klientel. Die beruflich Qualifizierten studieren vor allem BWL, auch Logistikmanagement ist sehr beliebt. „Wir erschließen uns schon aus ökonomischen Gründen diese neue Zielgruppe“, sagt Vizepräsident Martin Hendrik Kurz, „bei einem Gesamtanteil von etwa 13 Prozent unter allen 5500 Studierenden ist das eine relevante Größe.“ Das liegt nicht nur an den Gebühren, die für einen Bachelor rund 12.000 Euro betragen. Kurz setzt auch auf einen langfristigen Effekt. Rund ein Viertel aller Bachelorstudenten absolviert an der Euro-FH später auch ein Masterstudium, das dann mit bis zu 14.000 Euro zu Buche schlägt. Drittens sind die Studierenden ohne Abitur für die Euro-FH ein Gütesiegel. „Wenn selbst diese Leute ein Fernstudium schaffen“, sagt Kurz, „ist das der Beweis für den Erfolg dieser Studienform.“

Und tatsächlich: Abbrecherquote, Notenschnitt und Studiendauer gleichen denen der Abiturienten: Anfängliche Schwächen, etwa in Mathe, gleichen sie später durch Erfahrung etwa in Marketing oder Controlling wieder aus. „Unser Erfolg liegt vor allem an einem extrem flexiblen Angebot“, meint Kurz. Einerseits ist das Studium an der Euro-FH ein klassisches, ortsunabhängiges Fernstudium mit Lehrbriefen, ergänzt durch ein Onlinetool, etwa für Präsentationen oder Arbeitsgruppen. Hinzu kommt aber, dass es keine Tri- oder Semester gibt – man kann jederzeit einsteigen. Prüfungen werden individuell nach Abschluss einer Lehreinheit abgelegt – in einem von zehn Prüfungszentren in ganz Deutschland. Die Präsenzphasen sind reduziert auf zwei bis drei Tage pro Halbjahr. Kurz fasst seine Erfahrungen so zusammen: „Ohne zeitliche Flexibilität verraucht die Motivation.“ Auch andere private Hochschulen arbeiten an Konzepten, Schwellenängste abzubauen und die Motivation zu steigern – aufwendig inszenierte Absolventenfeiern gehören oft dazu. So greifen sie die öffentlichen Hochschulen in ihrer Kernkompetenz an – der Präsenzlehre, die gerade beruflich Qualifizierten in der Anfangsphase Sicherheit geben könnte.

Die Stiftung Bildungscentrum der Wirtschaft, mit der Hochschule für Oekonomie & Management (FOM) der größte private Bildungsanbieter Deutschlands, hat für beruflich Qualifizierte sogar eine besondere Hochschule gegründet. Die German Open Business School (GoBS) in Berlin lehrt an zwei bis drei Wochenenden pro Monat Business Administration in 14 Fachrichtungen. „Vor allem haben wir den Studienverlauf vom Kopf auf die Füße gestellt“, sagt FOM-Kanzler Harald Beschorner. Während ein klassisches Studium mit den Grundlagen beginnt, fängt man in Berlin mit branchentypischen Spezialitäten an. Wer etwa Berufserfahrung aus dem Marketing mitbringt, startet eben damit, erst später kommen angstbesetzte Grundlagenfächer wie Mathematik oder Statistik hinzu. Zugleich teilt die GoBS ihre Studiengänge in drei Stufen, mit einem eigenen Abschluss nach vier, sechs oder acht Semestern. So gehen auch diejenigen nicht leer aus, die es nicht bis zum Bachelor schaffen, und besonders erfahrene Studenten können gleich in einem höheren Semester einsteigen. Offenbar kommt dieses Angebot gut an – schon im ersten Jahr haben sich 145 Studierende eingeschrieben.

VIELE HOCHSCHULEN SIND SPÄT DRAN_ Mit der Öffnung der Hochschule ist es nicht getan. Die Studienorganisation, die Beratung, die Anerkennung von Vorwissen – all das ist bei beruflich Qualifizierten nicht so standardisierbar wie bei Abiturienten. Aber wie man das macht? „Öffentliche Hochschulen betreten Neuland“, sagt Anke Hanft, Professorin für Weiterbildung an der Universität Oldenburg, „sie brauchen hier selbst Beratung.“ Hanft organisiert deshalb Workshops zum Thema. Und sie begleitet den „Wettbewerb offene Hochschulen“, mit dem die Bundesregierung derzeit landesweit 26 Modellprojekte an öffentlichen Hochschulen fördert. „Wenn wir uns nicht bewegen, werden sich die Privaten diesen Markt sichern“, meint Hanft. Dabei könnten sich die Hochschulen stärker an den wenigen öffentlich geführten Vorbildern orientieren, die es gibt. Etwa die Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), die 2005 mit der Universität fusionierte und dort seither den Fachbereich Sozialökonomie bildet. Seit den 70er Jahren studierten dort vor allem Berufstätige ohne Abitur. Auch heute hält sich der Anteil von Berufstätigen an allen Studierenden bei etwa einem Drittel. Sie lernen BWL, VWL, Soziologie, Recht – und sie schneiden nicht schlechter ab als ihre klassischen Kommilitonen.

Den Zugang regelt eine Aufnahmeprüfung, die hier weniger Fachwissen abfragt als Allgemeinwissen – und die Fähigkeit, Probleme zielgerichtet zu erörtern. Zum anderen schmieden die Dozenten aus ihren Studierenden Gruppen von höchstens 30 Studenten, die gemeinsam mit ihnen arbeiten. „Entscheidend aber ist die Haltung der Dozenten“, sagt die Soziologie-Professorin Helga Milz,die auch Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HWP ist, „es darf ihnen nicht nur um die Forschung gehen.“ Das aber widerspricht dem Selbstverständnis vieler Professoren. Reputation erlangt man gemeinhin durch Forschung, was sich auch in der „Exzellenzinitiative“ zeigt, bei der Bund und Länder Fördergelder an die Hochschulen verteilen. „Diese Ressourcenverteilung ist der Knackpunkt“, meint Sigrun Nickel vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Sie hat zum Studium ohne Abitur geforscht, und ihr Urteil ist eindeutig: „Solange sich daran nichts ändert, bleibt es schwierig.“ Zusatzarbeit durch intensive Lehre – die meisten Dozenten winken da schnell ab. „An der HWP aber haben wir uns reingekniet“, sagt Helga Milz, andere könnten das auch tun.“

STRUKTURELLE BARRIEREN_ Auch die öffentlichen Hochschulen, die es gut meinen, stehen vor großen Schwierigkeiten. Aufgrund der verkürzten Gymnasialzeit drängten jüngst massenhaft klassische Studienanfänger an die Hochschulen, auch die Bundeswehrreform führt zu verstärkter Nachfrage. „Die Hochschulen fahren Überlast“, sagt Dieter Dohmen, Direktor des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Zumal die Politik wenig unternimmt, dies zu ändern. Sie hat zwar den Zugang geöffnet – bei der Umsetzung aber lässt sie die Hochschulen allein, etwa bei der Einrichtung entsprechender Studiengänge für beruflich Qualifizierte. Die Strukturvorgaben der Kultusminister kennen keine berufsbegleitenden Bachelor-Studiengänge. Das hat eine verheerende Wirkung: Öffentliche Hochschulen dürfen diese Studiengänge nicht aus ihrem allgemeinen Zuweisungstopf finanzieren. Sie dürfen aber auch keine Studiengebühren erheben, die über den niedrigen Sätzen des jeweiligen Bundeslandes liegen. Hinzu kommt, dass Dozenten ihre Tätigkeit in diesen Studiengängen nicht auf ihr Lehrdeputat anrechnen dürfen – was die Motivation deutlich sinken lässt. Wie soll man da etwas aufbauen? „Unsere Strukturen verhindern geradezu Weiterbildung“, stellt Dohmen klar, „vor allem für beruflich Qualifizierte.“

Der Grund für diese zwiespältige Politik liegt im Wirrwarr der Zuständigkeiten. Die Kultusministerkonferenz kann zwar einen bundesweit geltenden Öffnungsbeschluss fällen – die Finanzierung der Hochschulen hingegen bleibt Sache der einzelnen Länder. Die aber sind klamm und fördern lieber Eliteunis. So wird die Installation entsprechender Studiengänge zur Domäne von engagierten Einzelkämpfern. „Kreative Menschen, die sich ihre Schlupflöcher suchen“, wie Dieter Dohmen sie beschreibt. Sie konzipieren Fernstudiengänge, grübeln über Tutorensysteme und die Frage, wie man Berufserfahrungen an ein Studium anrechnen kann. Sie müssen dabei weniger neu erfinden als vielmehr Wege suchen, wie sie die neuen Angebote finanzieren und einbetten in ihren bisherigen Lehrbetrieb. Auffällig aber ist, dass sie gerade­ dort Erfolg haben, wo Landespolitiker eine Ausnahme machen von den hemmenden Regeln – so wie in Bayern und Niedersachsen, wo Anschubfinanzierungen aus dem Hochschulhaushalt und kostendeckende Gebühren erlaubt sind.

ES GEHT AUCH ANDERS_ Dass ein freundliches Klima für Berufstätige auch an traditionellen Bildungsstätten möglich ist, beweisen Hochschulen wie die Universität Oldenburg. Seit 2003 bietet sie einen berufsbegleitenden Bachelor-Studiengang „Business Administration in mittelständischen Unternehmen“ an. Ein Viertel der 80 Studenten ist heute beruflich qualifiziert. Auf den ersten Blick nichts weltbewegend Neues – eine Mischung aus Fernlernen, Online-Arbeit und Präsenzphasen –, dazu kommt die Betreuung durch Tutoren und Dozenten mit regelmäßigen Sprechstunden und gemeinsamen Arbeitsgruppen. Das Studium ist modular und flexibel strukturiert. „Um das zu schaffen, braucht es einen Kulturwandel an der Hochschule“, sagt die Weiterbildungsprofessorin Anke Hanft, die den Studiengang maßgeblich entwickelte. Für sie ist dieser Wandel ein Gebot der Zeit. Rund ein Drittel aller Universitätsstudenten verfügt heute über Berufserfahrung, an den Fachhochschulen sind es noch mehr; zwei Drittel arbeiten nebenher.

„Die Unterscheidung zwischen Abiturienten und beruflich Qualifizierten macht bald keinen Sinn mehr – man muss Angebote auch auf berufsbegleitend Studierende zuschneiden“, sagt Weiterbildungsexpertin Hanft. Nicht nur in Oldenburg versucht man, solche Ratschläge zu beherzigen – auch an der Leuphana in Lüneburg oder an den Fachhochschulen Nürnberg und Ingolstadt und anderswo. Ohne eine Anschubfianzierung des Landes gäbe es in Nürnberg keinen berufsbegleitenden Bachelor in Betriebswirtschaft. In dessen Pilotphase schoss das Land Geld zu – heute profitieren 30 Studierende davon. In Ingolstadt gäbe es keine berufsbegleitenden Bachelorgänge für „Fahrzeugtechnik“ und „Elektrotechnik im Fahrzeug“, wo heute 50 Studenten trotz fehlenden Abiturs lernen, freitags und samstags, für Semestergebühren zwischen 1600 und 2700 Euro, die alle Kosten abdecken – und zum Teil von den Arbeitgebern übernommen werden. Die Dozenten erhalten für ihre Wochenendarbeit ein Extra-Honorar. Vorkurse und Tutorien gleichen eventuelle Schwächen aus, ein Servicecenter hält den Rücken frei.

Studieren ohne Abitur ist offensichtlich keine Zauberei bislang sind es eher kleine Standorte, die sich für beruflich Qualifizierte öffnen. Vielleicht braucht es einen mächtigen Knall, der die großen aufwachen lässt.

Wettbewerb

"Aufstieg durch Bildung"

Mit 250 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Entwicklung und Anwendung flexibler Lehrangebote für nichttraditionelle Studierende unterstützen. Beruflich Qualifizierte ohne formale Hochschulzugangsberechtigung sind dabei nur eine Zielgruppe – auch andere Berufstätige, Studierende mit Familie, Berufsrückkehrer und Bachelor-Absolventen mit dem Wunsch nach einem weiteren Studium sollen davon profitieren. Finanziell gefördert, sollen öffentliche Hochschulen berufsbegleitende Studiengänge mit entsprechenden Modulen und Praxisphasen ausarbeiten, angemessene Beratungsangebote schaffen sowie Regeln entwickeln für die Anrechnung beruflicher Qualifikationen.In der ersten Wettbewerbsrunde im Jahr 2011 haben sich bundesweit zehn Einzel- und 16 Verbundprojekte an Fachhochschulen und Universitäten durchgesetzt. Eine zweite Ausschreibung ist für das Jahr 2014 geplant

www.wettbewerb-offene-hochschulen-bmbf.de

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