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Stromkabel Magazin Mitbestimmung

Wettbewerb: Der weite Weg zu wettbewerbsfähigen Strompreisen

Ausgabe 02/2023

Mit einem Milliarden-Subventionsprogramm dürfte die US-Regierung ihren ohnehin günstigen Strompreis noch einmal senken. Das macht das Land für energieintensive Unternehmen attraktiv. Europa und Deutschland müssen eine Antwort finden. Von Sebastian Dullien

In der energieintensiven Industrie geht die Angst um. Zwar blieb der in diesem Winter zeitweise befürchtete Gasschock aus, und Erdgas kostet nur noch einen Bruchteil der Rekordpreise des vergangenen Herbstes. Nun tritt allerdings ein anderes Problem deutlich zutage: der hohe Strompreis. Bei energieintensiven Betrieben macht die Stromrechnung einen beträchtlichen Anteil der Produktionskosten aus. Zwar ist der Strompreis im Großhandel seit den Preisspitzen des Herbstes spürbar gefallen, aber er beträgt immer noch ein Mehrfaches dessen, was vor der Coronapandemie üblich war. Derzeit ist nicht absehbar, wann die hohen Stromkosten von allein sinken. Daher wird in den Managementetagen beraten, ob sich Ersatzinvestitionen in Deutschland noch lohnen oder man lieber gleich in anderen Ländern neu investiert.

Schon vor der Ukraine-Invasion lagen deutsche Strompreise im internationalen Vergleich im Spitzenfeld. Dafür gab es mehrere Gründe. Mit dem Aufschlag auf den allgemeinen Strompreis (EEG-Umlage) subventionierte  Deutschland erneuerbare Energien. Damit wollte das Land zwar die Dekarbonisierung des Energiesektors vorantreiben, machte aber auch den Strom teurer.

Während der Ausbau der Windkraft unter der Großen Koalition nach 2017 aufgrund von verpatzter Regulierung weitgehend zum Erliegen kam, wurde die Elektrifizierung massiv gefördert – vom E-Auto bis hin zu elektrisch betriebenen Wärmepumpen. So traf eine stark wachsende Nachfrage nach Strom auf ein nur langsam steigendes Angebot an erneuerbaren Energien. Das Ergebnis: hohe Preise, zumal wenn Kohle, Atom und Erneuerbare die Nachfrage nicht decken können, Gaskraftwerke mit teurem Erdgas hochgefahren werden müssen und deren Kosten dann den Preis am Strommarkt setzen.

Zusätzlich zum Ukrainekrieg kommt nun ein neuer Faktor ins Spiel, der den internationalen Wettbewerb um die niedrigsten Strompreise noch einmal verschärft: In den USA wurde im vergangenen Sommer der sogenannte „Inflation Reduction Act“, kurz IRA, verabschiedet. Mit rund 430 Milliarden Dollar fördert die US-Regierung klimafreundliche Investitionen, wenn die Unternehmen Produkte aus den USA verwenden oder in den USA produzieren. Neben diesen Subventionen enthält der IRA eine Reihe von Steuergutschriften für die Investition in Anlagen und die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien. Simulationen mit ökonomischen Modellen deuten darauf hin, dass der Strompreis in den USA dank des IRA nun noch einmal um rund acht Prozent fallen könnte. Der Wettbewerbsvorteil bei den Energiepreisen, den die USA ohnehin schon hatten, wird so noch einmal verstärkt. Wie man heute schon fast täglich Presseberichten entnehmen kann, orientieren sich deshalb energieintensive Unternehmen zunehmend Richtung Nordamerika.

In Berlin wie in Brüssel wird nun um eine angemessene Reaktion auf den IRA gerungen. Herausfordernd ist dabei, dass der IRA eine Reihe positiver Elemente enthält: Er dürfte der für das globale Klima dringend  notwendigen Dekarbonisierung der US-Wirtschaft einen wichtigen Schub geben. Außerdem enthält das Paket eine höhere Förderung für Unternehmen, die gut bezahlen und Ausbildungsziele einhalten – wichtige Vorgaben, um den Verlust „guter Jobs“ in den USA zu stoppen und der politischen Polarisierung in industriell geprägten US-Regionen entgegenzuwirken. Auch herrscht in Brüssel und Berlin weitgehend Konsens, dass man einen Handelskrieg mit den USA verhindern möchte. Was also könnte eine angemessene Reaktion der EU und Deutschlands auf den IRA sein?

Grüner und günstiger Strom in großen Mengen wäre für die deutsche und die europäische Industrie eine ideale Basis. Der Weg dorthin ist aber alles andere als trivial, und jede Lösung hat ihre Tücken. So könnten sich energieintensive Unternehmen an Wind- oder Solarparks beteiligen und den Strom zu den günstigen  Erzeugerkosten in solchen Anlagen beziehen. Gerade Windenergie aus Offshore-Anlagen wird sehr günstig erzeugt. Das könnte Unternehmen spürbar entlasten.

Wenn diese Lösung aber nicht auf Kosten anderer Stromkunden vom Gewerbe bis zu Privathaushalten gehen soll, muss die Politik gegenüber dem bisherigen Pfad der erneuerbaren Stromerzeugung einen zusätzlichen und schnelleren Ausbau hinbekommen. Doch selbst wenn das gelingt, dürfte ein Zubau von erneuerbaren Energien in ausreichendem Umfang mindestens bis Ende des Jahrzehnts dauern. Hier müsste also zumindest noch eine längere Phase mit teurem Strom überbrückt werden.

Denkbar wäre auch eine Subventionierung des Strompreises für energieintensive Branchen. Sie dürfte sich leicht auf einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr summieren. Wer soll die Subventionen am Ende tragen?

Zudem gewinnen differenziertere Mechanismen an Bedeutung. Wegen des steigenden Anteils von Wind- und Sonnenenergie dürfte künftig in den Mittagsstunden im Sommer der Großhandelspreis von Strom häufiger auf null fallen. Möglicherweise müssten sogar Wind- und Solarproduktion abgeregelt werden. Wenn die Unternehmen gerade in diesen Zeiten ihren Verbrauch hochfahren, würde das der Netzstabilität helfen und außerdem dem Verlust abgeregelter Energie entgegenwirken. Für solch einen flexiblen Verbrauch hätten aber die Unternehmen nur einen Anreiz, wenn der Abnahmepreis für Strom auch mit Subventionen im Tagesverlauf schwanken würde. Die Sorge ist, dass eine pauschale Subvention hier Innovationen ausbremsen könnte, weil es sich nicht lohnt, in intelligentes Strommanagement über den Tag zu investieren.

Zuletzt dürfte eine pauschale Subvention des Strompreises auch Schwierigkeiten mit dem EU-Beihilferecht bringen, zumindest, wenn sie nur in Deutschland umgesetzt würde. Für einen EU-weiten Ansatz hingegen fehlen derzeit die Konzepte und die Finanzierung.

Alternativ könnte die Politik den Strompreis für alle senken, indem etwa das Marktdesign überarbeitet wird und übermäßig hohe Gewinne bei abgeschriebenen Altanlagen der Stromproduzenten abgeschöpft werden, wie es das Gesetz zur Strompreisbremse vorgesehen hatte. Auch könnte man diskutieren, ob die Finanzierung von Netzinfrastruktur künftig durch Steuern statt durch Aufschläge auf den Strompreis finanziert wird – auch Straßen- oder Schienennetz werden ja durch den Bundeshaushalt finanziert.

Bis zu einer Entlastung der Unternehmen bei den Strompreisen dürfte es noch ein weiter Weg sein. Doch die Zeit drängt. Die Subventionen unter dem IRA fließen bereits und bringen für Investitionen auf der anderen Seite des Atlantiks Planungssicherheit – Planungssicherheit, die in Deutschland und Europa fehlt. Hoffnung macht allerdings, dass die EU-Kommission in den vergangenen Monaten – auch als Reaktion auf den IRA – ein ganzes Feuerwerk an Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen vorgestellt hat, von der Lockerung der Beihilferegeln bis hin zum „Net Zero Industry Act“, der quantitative Ziele für die Produktion grüner Technologien in Europa vorschreibt. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, könnte auch bald eine Lösung für das Strompreisproblem gefunden sein.

  • Übersichtskarte zur Rohstoffentwicklung

Gewerkschaften fordern bezahlbaren Industriestrom

Anfang März riefen die Gewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU zu einem gemeinsamen Aktionstag auf. Die drei Gewerkschaften fordern von der Regierung einen speziellen Strompreis für energieintensive Branchen wie die Stahl-, Aluminium-, Grundstoff-, Kalk- und Zementindustrie. Der Strompreis ist für diese Branchen schon länger ein Problem, und das hat sich durch die Energiekrise weiter zugespitzt. Lag der Börsenstrompreis 2020 im Jahresdurchschnitt bei 30 Euro pro Megawattstunde, erreichte er 2022 im Schnitt 235 Euro.

Bleiben die Preise im internationalen Vergleich so hoch, steht die energieintensive Industrie in Deutschland nach Überzeugung der Gewerkschaften mittel- bis langfristig vor dem Aus.

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