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Stefano Antonelli, Betriebsratschef bei Meyer Burger: „Der Erfolg gibt uns recht.“ Magazin Mitbestimmung

Energiewende: Comeback im Solar Valley

Ausgabe 03/2022

Der Schweizer Fotovoltaikhersteller Meyer Burger hat mit Erfolg zwei leer stehende Solar­fabriken in Ostdeutschland wiederbelebt. Von Andreas Molitor

Bei seinen Kollegen hat Stefano Antonelli den Ruf weg, ein harmoniebedürftiger Mensch zu sein. Unaufgeregt und stets sachlich im Gespräch, verkörpert der Betriebsratsvorsitzende des Schweizer Fotovoltaikherstellers Meyer Burger das Gegenteil des Agitators vorm Werkstor mit dem Megafon in der Hand. „Aber wenn es drauf ankommt, scheue ich auch den Konflikt nicht“, sagt er. „Ich kann auch anders.“ Muss er aber nicht. An den deutschen Standorten des im schweizerischen Thun beheimateten Unternehmens herrscht Einvernehmen zwischen Kapital und Arbeit. „In strategischen Fragen sind sich Geschäftsleitung und Betriebsrat absolut einig“, befindet Antonelli. „Und der Erfolg gibt uns recht.“

Die gesamte europäische Fotovoltaikbranche schaut derzeit gebannt auf das sachsen-anhaltinische Bitterfeld-Wolfen und das sächsische Freiberg, Standorte, an denen Meyer Burger im vergangenen Jahr zwei große Fabriken für Solarzellen und -module nach mehrjährigem Dornröschenschlaf wieder in Betrieb genommen hat. Das Unternehmen sieht sich als eine Art Minenhund: Als Pionier hat es die Fertigung von Solarmodulen nach Deutschland zurückgeholt und will der Branche damit zu einem Comeback verhelfen – eine mutige Kampfansage an die alles dominierenden chinesischen Wettbewerber.

In den Jahren zuvor war das Schweizer Unternehmen Opfer des eigenen Erfolges geworden. Lange stand Meyer Burger als Ausstatter von Solarzellenfabriken vor allem in Fernost in dem Ruf, der Mercedes unter den Fotovoltaik-­Ausrüstern zu sein. Das Unternehmen war Weltmarktführer. Doch als dann die Preise verfielen und die Chinesen die Anlagen einfach nachbauten, schrumpfte das Geschäft. Zuletzt schrieb Meyer Burger rote Zahlen und stand mit dem Rücken zur Wand. Die Großaktionäre drängten das Unternehmen zu einem Kurswechsel – vom Anlagenbauer zum Hersteller eigener Fotovoltaik­zellen und -module. Und zwar nicht in Fernost, sondern in seit zwei Jahren leer stehenden Solarfabriken in Freiberg und Bitterfeld-Wolfen. Seine Premiumanlagen setzt Meyer Burger jetzt nur noch für die eigene Zell- und Modulfertigung ein. Bitterfeld – der Name hat in der Fotovoltaikszene einen melancholischen Klang. Hier im „Solar Valley“ schlug bis vor gut zehn Jahren das Herz der deutschen Solar­industrie mit Dutzenden Fabrikhallen und bis zu 3500 Beschäftigten.

Es waren goldene Zeiten. Mit großzügigen Subventionen hatte die Regierung Schröder in den Jahren nach der Jahrtausendwende die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenkraft gefördert; Fotovoltaikwerke schossen wie Pilze aus dem Boden. Im Jahr 2011 gab es bundesweit mehr als 300 Solarzellenhersteller, zu ihren besten Zeiten beschäftigte die Branche 156 000 Menschen.

Umso jäher kam der Absturz. Ausgestattet mit Milliarden aus der Staatskasse, bauten chinesische Hersteller in kurzer Zeit gigantische Produktionskapazitäten auf. Schon bald waren sie in der Lage, Module guter Qualität viel billiger zu produzieren als die Deutschen. Als dann auch noch die Bundesregierung die Förderung der Solarenergie massiv zurückschraubte, kollabierten binnen weniger Monate die Geschäftsmodelle; nacheinander taumelten die deutschen Hersteller in die Insolvenz. Mehr als 90 Prozent der hierzulande auf Dächern und in Solarkraftwerken verbauten Module kommen heute aus Asien, das Gros aus China.

Ironie der Geschichte: Ein guter Teil der chinesischen Produktionsanlagen, die mit ihren preiswerten Modulen den Markt überfluten, stammt aus den Fabriken und Labors von Meyer Burger. „Wir haben die chinesischen Hersteller durch Anlagenlieferungen und Technologietransfer erst groß gemacht“, so Gunter Erfurt, der Geschäftsführer von Meyer Burger.

Nun ist alles anders, die Zeit scheint reif für ein Comeback der Branche. Der globale Solarmarkt scheint fast grenzenlos. Klimawandel, Energiewende, der Green Deal der EU – alles spielt der Fotovoltaik in die Hände. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist außerdem klar, dass die Energiewende dramatisch an Tempo gewinnen muss. Jetzt muss gebaut werden, und zwar schnell, damit deutsche Unternehmen und Haushalte noch schneller unabhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen werden. Der Preis der Module ist ins Bodenlose gefallen, seit 2008 um etwa 90 Prozent. Sonnenkraft ist – auch ohne Subventionen – in Deutschland mittlerweile die günstigste Stromquelle. Und weil die Kosten für den Transport aus Fernost explodiert sind, ist eine Produktion in Europa mittlerweile nicht mehr teurer als in China.  Als europäische Premiummarke tritt Meyer Burger gegen die Allerweltsprodukte aus Asien an. Unabhängige Experten, etwa vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, bescheinigen den Modulen „made in Germany“ gegenüber der chinesischen Konkurrenz einen etwa dreijährigen Technologievorsprung. Die Schweizer werben mit bis zu 20 Prozent höherer Energieausbeute, deutschen Arbeitsplätzen, besseren Umweltstandards und einer längeren Lebensdauer.

Zudem wachsen – wiederum verstärkt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine – die Zweifel, ob sich Deutschland bei einer Schlüsseltechnologie für die Energiewende völlig von einem anderen Land abhängig machen sollte. „Man hat jetzt begriffen, dass es durchaus drauf ankommt, wo und unter welchen Arbeits- und Umwelt­bedingungen etwas produziert wird“, sagt Katja Tavernaro, in der Geschäftsleitung von Meyer Burger für Nachhaltigkeit verantwortlich. Die Politik habe „schmerzhaft erfahren müssen, dass man bei autoritär geführten Staaten nicht shoppen geht wie in einer Mall“.

Meyer Burger hat viele Beschäftigte, die einst in einer der Solar-Valley-Fabriken gearbeitet haben, aus ihren Jobs zurückgeholt. Menschen, „die Ahnung von der Industrie haben“, sagt Gunter Erfurt, ein unprätentiöser Chef, der zu Mittag Spinat mit Spiegelei und Kartoffeln aus einer Pappschale isst. Sie haben ein gemeinsames Ziel: das „Ding wieder ans Kochen zu bringen“.  Im Sommer vorigen Jahres lief die Produktion­ an, wegen der Pandemie und Lieferproblemen zunächst schleppender als erwartet. Weil Meyer Burger mehr als 150 Millionen Euro in die neuen Fabriken investiert hat, im vergangenen Jahr aber nur für neun Millionen Euro Module verkauft wurden, präsentierte das Unternehmen im März für 2021 eine tiefrote Bilanz. Mittlerweile haben die beiden Fabriken aber deutlich Fahrt aufgenommen; bis zum Jahres­ende soll die Produktionskapazität weiter hochgefahren werden.

Der Hersteller will expandieren.  Eine weitere Fabrik in Goodyear im US-Bundesstaat Arizona soll in Kürze in Betrieb gehen. Für die Zukunft setzt das Management verstärkt auf Solarkraftwerke an Autobahnen oder auf Äckern. In den deutschen Werken soll die Belegschaft – derzeit je 200 Beschäftigte – schnell wachsen: in Freiberg auf das Doppelte, in Bitterfeld-Wolfen sogar auf das Dreifache. In ein paar Jahren sollen die beiden Fabriken bis zu 3500 Menschen Arbeit bieten. 

Was noch fehlt,  ist ein Tarifvertrag.  In Hohenstein-Ernstthal, dem historischen Standort, wo der Anlagenbau sein Domizil hat, laufen seit zwei Jahren Tarifgespräche und Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und der IG Metall.  Die Beschäftigten hätten „den Willen zur Tarifbindung schon mit einem Autokorso mit IG-Metall-Flaggen zur Schau getragen, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Doch der Arbeitgeber zeige hier „keine allzugroße Eile.“

Dafür geht es bei der Mitbestimmung voran. Einen Betriebsrat gab es bisher nur in Hohenstein-Ernstthal, nur dort konnte sich Stefano Antonelli um die Anliegen der Belegschaft kümmern. Das wird sich ändern. In Bitterfeld-Wolfen fand kürzlich eine Wahlversammlung statt. Bald wird es auch dort einen Betriebsrat geben.

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