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HBS Böckler Impuls

Umwelt: Auf der Suche nach einem Green New Deal

Ausgabe 07/2013

Die Finanzkrise verstellt den Blick auf die andere große Krise der Gegenwart: den Klimawandel. Um beides zu bewältigen, fordern Wissenschaftler grundlegende Korrekturen an der Art des Wirtschaftens.

Von einer „ökonomisch-ökologischen Doppelkrise“ spricht der Jenaer Soziologie-Professor Klaus Dörre. Damit meint er nicht, dass beide einen einzigen gemeinsamen Ursprung hätten, sondern konstatiert nur „eine räumliche und zeitliche Synchronisation höchst unterschiedlicher Krisenherde und -ursachen“. Die Dimensionen sind gewaltig: 2011 waren weltweit 197 Millionen Menschen arbeitslos, 27 Millionen mehr als vor Ausbruch der Finanzkrise. 900 Millionen Menschen haben weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung. Auch in den fortgeschrittenen Industrieländern mache sich die soziale Spaltung bemerkbar, so Dörre – nicht zuletzt in Form unsicherer und schlecht bezahlter Beschäftigung. Gleichzeitig macht der Club of Rome darauf aufmerksam, dass der Ressourcenverbrauch der Menschen schon jetzt etwa um ein Fünftel über dem liegt, was das Ökosystem des Planeten verkraften könne. Infolge des erwarteten weiteren Anstiegs der Emissionen dürfte sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um vier bis fünf Grad erwärmen.

Ein großes Problem besteht nach Dörres Analyse darin, dass keine der beiden Krisen in den gewohnten Bahnen bekämpft werden kann, ohne die andere zu verschärfen. Wirtschaftliches Wachstum, das wichtigste Mittel zur Bewältigung sozialer und ökonomischer Krisen, sei praktisch nicht ohne weitere Umweltschäden zu erzielen. Zwar könne man argumentieren, „das alles sei kein Problem des Wirtschaftswachstums, sondern seiner gerechten Verteilung“. Damit sei der Wachstumszwang aber nicht aufgehoben. Und nach den jüngsten Erfahrungen hingen Ressourcenverbrauch, Schadstoffausstoß und Wirtschaftsleistung eng zusammen. Zuletzt seien die klimaschädlichen Emissionen 2009 zurückgegangen – nicht durch den Einsatz umweltfreundlicherer Technik, sondern durch den Einbruch der Weltwirtschaft. Als die Konjunktur wieder anzog, ist das vorherige Rekordniveau bei den Emissionen schnell wieder erreicht worden, so Dörre.

„Das seit Jahrzehnten fraglos eingesetzte Mittel zur Überwindung ökonomischer Krisen, die Generierung von materiellem Wachstum, bewirkt in der Gegenwart fast zwangsläufig eine Zuspitzung und Verschärfung ökologischer Krisen“, folgert der Soziologe. Gelinge es nicht, das Wachstum „ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten“, müsse versucht werden, die Entwicklung von Wirtschaft und Sozialstaat vom Wachstumszwang zu entkoppeln. Gerade die Krise erzeuge „Spielräume für radikale Veränderungen“. Dörre verweist auf unterschiedliche Varianten eines Green New Deal, an denen Wissenschaftler arbeiten. Drei Punkte sollten dabei berücksichtigt werden:

Ungleichheit stehe Versuchen, mit weniger Ressourcen zu wirtschaften, stets im Wege. Denn in Gesellschaften mit großen sozialen Unterschieden spiele Statuskonsum eine bedeutende Rolle. In egalitären Gesellschaften sei ökologische Nachhaltigkeit deshalb eher zu verwirklichen.

Soziale Dienstleistungen sind dem Sozialforscher zufolge die Sphäre, in der umweltfreundliches Wachstum noch am ehesten zu realisieren ist. In diesem überwiegend von weiblicher und schlecht bezahlter Arbeit geprägten Sektor gebe es auch weniger Möglichkeiten als in der Industrie, Arbeitsplätze ohne Qualitätseinbußen wegzurationalisieren.

Rebound-Effekte konterkarieren die ökologischen Erfolge technischen Fortschritts bei steigenden Einkommen: Wenn beispielsweise der Stromverbrauch jedes einzelnen Elek­trogeräts sinkt, aber die Zahl der Geräte rapide ansteigt, ist nichts gewonnen.

Sozial-ökologische Investitionsprogramme, etwa ein entsprechend ausgerichteter Marshallplan für die Krisenländer Südeuropas, wären nach Dörres Analyse ein Anfang. Allerdings sieht er darin vor allem eine „Übergangsstrategie“, mit der sich Zeit gewinnen lässt. 

  • Global ist keine Energiewende in Sicht. Zur Grafik

Klaus Dörre: Kapitalismus im Wachstumsdilemma. Die Verdrängung der ökologischen Krisendimension und ihre Folgen. In: WSI-Mitteilungen 2/2013.

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