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Yasmin Fahimi führt zukünftig den DGB. Magazin Mitbestimmung

Gewerkschaft: Zeit für eine Frau

Ausgabe 03/2022

Yasmin Fahimi führt zukünftig den DGB. Welche Themen sie angehen will, sagte sie auf dem Bundeskongress in Berlin. Von Fabienne Melzer

Wo SPD und Grüne eine Doppelspitze haben, vertraut der DGB ganz auf eine Frau. Yasmin Fahimi wird den Gewerkschaftsbund in den kommenden Jahren führen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz stellte in seiner Rede beim DGB-Kongress fest, dass es im Jahr 2022 höchste Zeit wurde für eine Frau an der Spitze der Gewerkschaften. Seine Parteigenossin und bisherige Fraktionskollegin nannte er eine Gewerkschafterin mit Herzblut und eine ausgewiesene Arbeitsmarktexpertin. Insofern sei der DGB für sie ein Heimspiel.

Wo sie ihre Heimvorteile sieht, stellte die neue Vorsitzende auch in ihrer Rede klar: „Einen sozialen Masterplan für Gute Arbeit und ein gutes Leben können wir am besten schreiben.“ Der Wandel von Industrie und Gesellschaft verlaufe nur dann sozial, wenn sich die Bedingungen für alle Menschen, insbesondere für die Schwächsten, verbessern. Das Gegenteil sei jedoch der Fall. Fahimi kritisierte, dass sich der Anstieg der Vermögen von der Wirtschaftsleistung in Deutschland völlig entkoppelt habe: „Unser Gerechtigkeitsempfinden wird doch beleidigt, wenn die zehn reichsten Deutschen ihr Vermögen während der Pandemie noch einmal um 100 Milliarden Euro vergrößern konnten. Dabei besitzen sie schon zwei Drittel des Gesamtvermögens dieser Republik.“ Diese Ungerechtigkeit müsse mit einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einer Sondervermögensabgabe beseitigt werden.

Auch Dogmen der Finanzpolitik nahm sie sich vor: „Die Schuldenbremse bremst – das ist richtig –  und zwar unsere Zukunft.“ Schulden seien schließlich nicht gleich Schulden. Man müsse unterscheiden, ob das Geld für Investitionen in die Infrastruktur ausgegeben werde oder verschwendet werde wie beim Beschaffungswesen der Bundeswehr. „Wie lange braucht dieses Land eigentlich noch, um endlich zu verstehen, dass die Schuldenbremse nicht wichtiger sein kann als die Zukunft unserer Kinder?“, fragte Fahimi.

Im Hinblick auf die Menschen in der Ukraine forderte sie den russischen Präsidenten auf, den Krieg sofort zu beenden. Sie sprach sich für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr aus. Waffenlieferungen an die Ukraine halte sie in der derzeitigen Situation für richtig, sie warnte allerdings gleichzeitig: „Der Krieg in der Ukraine darf uns nicht dazu verführen, zu glauben, man könne mit Waffen Frieden schaffen.“ Notwendig seien dagegen neue internationale Initiativen zu Abrüstung und eine neue Qualität von Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit.

Ein ersatzloser Stopp der russischen Gaslieferungen würde dagegen selbst hocheffiziente Standorte in Deutschland in die Knie zwingen. Ebenso wenig hält die neue DGB-Vorsitzende von Lohnzurückhaltung in den anstehenden Tarifrunden. Die Inflation sei nicht Folge gestiegener Einkommen, sondern vielmehr das Ergebnis von Spekulationen auf den Finanzmärkten, gestörten Lieferketten und knappen Rohstoffen. „Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlangt, will in Wahrheit nichts anderes als die Krisenbewältigung allein auf dem Rücken der Beschäftigten abladen“, sagte Fahimi.

Die Transformation müsse sich beschleunigen. Schneller gehe es aber nur mit den Beschäftigten und ihrem Wissen. Viel zu oft werde die Sicherheit der Arbeitsplätze dem raschen Profit geopfert. „Deshalb brauchen wir eine echte Mitbestimmung bei Entscheidungen von strategischer Qualität in den Unternehmen und ein Ende der Mitbestimmungsflucht in Europa“, sagte Fahimi. Im Koa­litionsvertrag vermisst sie einen umfassenden Kündigungsschutz für Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, eine Forderung, die sich doch leicht erfüllen ließe: „Es kostet noch nicht einmal etwas“, sagte Fahimi und appellierte an die Politik: „Wollen wir diese Transformation demokratisch gestalten oder nicht? Dann gebt uns diese Rechte.“

„Das war schon erste Sahne“

Mit einem roten Karl Marx betrat der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis zum Abschied von Reiner Hoffmann die Bühne. Was es mit dem roten Kerl auf sich hatte, verriet er erst zum Ende seiner Rede. „Du weißt, die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse sein, und in diesem Sinne haben wir etwas für deinen Unruhestand mitgebracht. Übrigens: ein beliebtes Geschenk in der IG BCE“, erklärte Vassiliadis mit angeschlagener Stimme. Seine Heiserkeit hatte er zuvor schon mit dem gemeinsamen musikalischen Auftritt der Gewerkschaftsvorsitzenden am Vorabend entschuldigt – ein Geschenk für Reiner Hoffmann, das dieser besonders klasse fand: „Dass alle acht Vorsitzenden das gleiche Lied singen und auch den gleichen Rhythmus können, das war schon erste Sahne.“ Vassiliadis dankte dem scheidenden Vorsitzenden dafür, dass die Gewerkschaften heute so geeint dastehen wie selten zuvor. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz bedankte sich bei Reiner Hoffmann: „Du hast die Gewerkschaften früh auf den schon viel diskutierten Transformationspfad gesetzt, deshalb tragen die großen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Projekte der vergangenen Jahre auch deine Handschrift.“

Krieg in der Ukraine: DGB sucht Balance zwischen Selbstverteidigung und Pazifismus

Am Ende drehte sich die Diskussion um die Frage: Soll der DGB das Sondervermögen für die Bundeswehr kritisch begleiten oder ablehnen? Für viele Mitglieder erschütterte der Krieg in der Ukraine Überzeugungen, die lange als unumstößlich galten. Mit einem Initiativantrag hatte der Gewerkschaftsbund auf den Krieg in der Ukraine reagiert. Dabei suchte er eine Balance zwischen Solidarität mit der Ukraine und der grundsätzlich pazifistischen Haltung des DGB. So unterstützt der DGB alles, was den Menschen in der Ukraine hilft. Dazu gehört auch Hilfe zur Selbstverteidigung. Geflüchtete sollen in Deutschland schnell Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Sprach- und Integrationskursen erhalten. Kinder und Jugendliche müssen nicht nur in Kitas und Schulen aufgenommen werden. Sie brauchen auch Hilfe, ihre Traumata zu verarbeiten.

Gleichzeitig fordert der DGB, angesichts dieser Ausgaben dürfe der Umbau der Wirtschaft nicht ins Hintertreffen geraten. Er unterstützt die Sanktionen gegen Russland bis an den Punkt, an dem sie der deutschen und der europäischen Wirtschaft mehr schaden als der russischen. Zwar bezweifelt auch der DGB nicht, dass die Bundeswehr vernünftig ausgestattet werden muss. Das Zwei-Prozent-Ziel für alle kommenden Generationen lehnt er dagegen ab. Die Vorsitzende Yasmin Fahimi nannte es willkürlich und grundfalsch. „‚Nie wieder‘, das bleibt unsere zentrale Lehre aus den Weltkriegen“, sagte Fahimi. Daher setze sich der DGB auch dafür ein, zu einer weltweit kontrollierten Abrüstung zurückzukehren.

In all diesen Punkten waren sich die Delegierten einig. Strittig blieb am Ende nur das 100-Milliarden-Sondervermögen. Zwar ging es in der Ergänzung ursprünglich um die Ablehnung der 100 Milliarden statt einer kritischen Begleitung. In der Debatte zeigte sich aber, dass die Positionen nicht weit auseinanderlagen. So betonten die Befürworter einer Ablehnung immer wieder, dass auch sie für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr seien. Sie lehnten lediglich ab, dass hier eine Zahl aus dem Hut gezogen werde, ohne vorher zu benennen, was genau gebraucht werde und wie viel es koste. Nach einer sachlichen Debatte stimmte die Mehrheit für die „kritische Begleitung“.

Sicherheit und sozialen Frieden nicht gegeneinander ausspielen

Auch der Bundeskanzler ging in seiner Rede beim DGB-Kongress auf den Krieg in der Ukraine und die geplanten Rüstungsausgaben ein und versicherte: „Wir werden Sicherheit nicht gegen den sozialen Frieden in diesem Land ausspielen. Indem wir das Sondervermögen etablieren, ist  klar: Wir werden die Projekte, die wir uns für die Neuausrichtung unserer Wirtschaft und für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland vorgenommen haben, nicht einstellen.“ Er nannte die zahlreichen Reformvorhaben des Koalitionsvertrags, für die auch die Arbeit des DGB wichtig gewesen sei.

Er kündigte an, in den kommenden Wochen eine neue Allianz für Transformation im Kanzleramt zusammenzubringen. Gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden wolle die Regierung Schritte für den größten Umbau der Wirtschaft seit Beginn der Industrialisierung planen. „Unser Ziel ist es, gestärkt aus diesem Wandel hervorzugehen“, sagte Scholz. „Wir wollen, dass die Transformation gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze schafft.“

„Ich werde auch Putin überleben“

Mit Anastasia Gulej kam der Krieg in der Ukraine und das Leid der Menschen den Delegierten beim DGB-Kongress besonders nah. Im Gespräch mit DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker, erzählte die 96-Jährige von ihrem Leben. Anastasia Gulej überlebte den Zweiten Weltkrieg, Zwangsarbeit unter den Deutschen und die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Zeitzeugin und berichtet vor allem jungen Menschen von den Gräueltaten der Nationalsozialisten. Nun zwang sie erneut ein Krieg, ihre Heimat zu verlassen und bei Freunden in Deutschland Schutz zu suchen. Ihre Zuversicht hat sie allerdings nicht verloren. Mit ihren 96 Jahren ist sie fest überzeugt: „Ich habe Stalin überlebt, ich habe Hungersnot überlebt, und ich habe Hitler überlebt. Ich werde auch Putin überleben.“

Quizfrage für den Arbeitsminister

Ausbildungsgarantie – Arbeitsminister Hubertus Heil hatte auf dem DGB-Bundeskongress das Wort kaum ausgesprochen, da wurde er auf der Bühne von der DGB-Jugend mit Plakaten umringt, auf denen Bilder wie Topf und Deckel, Eis und Strand zu sehen waren. Kai Reinartz vom Bundesjugendausschuss stellte dem Minister dann die Quizfrage: „Wir sehen hier Dinge, die ergeben ohneeinander keinen Sinn. Weißt du, was noch ohne­einander keinen Sinn ergibt?“ Hubertus Heil kannte die Antwort: Ausbildungsgarantie ohne Ausbildungsumlage. Um dem Arbeitsminister die Arbeit zu erleichtern, hatte die DGB-Jugend das passende Gesetz schon einmal formuliert und überreichte es ihm in Form eines Plakats.

Zur Person

Yasmin Fahimi, Jahrgang 1967, studierte nach dem Abitur zunächst Elektrotechnik und dann Chemie. Von 1998 bis 2000 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE. Von dort wechselte sie als Gewerkschaftssekretärin zur IG BCE und arbeitete an verschiedenen Stationen. 2014 übernahm sie für ein Jahr das Amt der SPD-Generalsekretärin. Von 2017 bis 2022 war sie Mitglied des deutschen Bundestags.

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