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Magazin Mitbestimmung

Rentenpolitik: Was plant die Große Koalition?

Ausgabe 01+02/2014

Wir stellen die wichtigsten Rentenpläne der neuen Regierung vor – kommentiert von Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, und DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

ABSCHLAGSFREIE RENTE MIT 63

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Arbeitnehmer, die 45 Beitragsjahre einschließlich Zeiten der Arbeitslosigkeit aufweisen, künftig abschlagsfrei schon mit 63 in Rente gehen können. Gelten soll die Regelung ab dem 1. Juli 2014. Parallel zur Anhebung der Regelaltersgrenze soll diese Altersgrenze auf das vollendete 65. Lebensjahr angehoben werden.

RISCHE: Ganz allgemein gilt der Grundsatz, dass bei vorzeitigem Bezug einer Altersrente Abschläge hinzunehmen sind. Allerdings gibt es insoweit schon im geltenden Recht eine Ausnahme: die Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Wer 65 Jahre alt ist und 45 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten und Berücksichtigungszeiten hat, kann diese Altersrente seit 2012 abschlagsfrei in Anspruch nehmen; Beitragszeiten mit Arbeitslosigkeit zählen dabei nicht mit. (…) Im Koalitionsvertrag ist nun vorgesehen, dass diese problematische Regelung noch ausgeweitet wird, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen liegt die Altersgrenze um zwei Jahre niedriger als bei der Rente für besonders langjährig Versicherte. Zum anderen sind die Anspruchsvoraussetzungen großzügiger, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit mitzählen sollen. Dessen ungeachtet würden zu den Begünstigten dieser neuen Rente voraussichtlich wieder vor allem Versicherte mit vergleichsweise hohen Rentenansprüchen zählen. Außerdem würden Männer wieder deutlich stärker von der Regelung profitieren als Frauen. (…) Alles in allem handelt es sich also auch bei dieser geplanten Maßnahme um ein sehr kostspieliges Wahlgeschenk.
BUNTENBACH:
Es geht nicht um Wahlgeschenke, sondern darum, die Übergänge in die Rente flexibel und sozial abgesichert zu gestalten. Die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren gehört dazu, denn diejenigen, die ein langes Arbeitsleben hinter sich haben und 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben, sollen in den Ruhestand gehen können, ohne dass sie Abschläge hinnehmen müssen. Das ist auch eine Frage von Respekt und Anerkennung der Lebensleistung. Außerdem plant die Koalition eine Stufenlösung, nach der sich die abschlagsfreie Rente jährlich um zwei Monate weiter nach hinten verschiebt. Entscheidend ist, dass die tatsächlichen Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden, um einen Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut – vor allem in Ostdeutschland – zu leisten. Mit der Demografie-Reserve kann gewährleistet werden, dass die rentennahen Jahrgänge bei der Finanzierung dabei sind und auch mit dazu beitragen, dass die künftigen Renten der Jungen stabilisiert werden. Dafür müssen die Beitragserhöhungen, die aus demografischen Gründen in wenigen Jahren ohnehin auf uns zukommen, in dieser Wahlperiode in kleinen Schritten vorgezogen werden. Ein solches Paket kommt beiden – Jungen und Älteren – zugute und schließt Sicherungslücken ohne spürbare Belastungen.

MÜTTERENTE

Geplant ist eine Rentenaufstockung für alle Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren sind, in Höhe eines Entgeltpunktes, also brutto um rund 28 Euro pro Monat und Kind im Westen (26 Euro im Osten). Anspruch haben 8,7 Millionen Frauen, sowie rund 150 000 Väter.

RISCHE: Aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist es sicher nachvollziehbar, dass Müttern oder Vätern, deren Kinder vor 1992 geboren sind, eine Zusatzleistung gewährt werden soll. Ob es sich um das sozialpolitisch drängendste Problem handelt, ist zu bezweifeln. (…) Die Honorierung der Erziehungsleistung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie muss deshalb schon aus ordnungspolitischen Gründen aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden.
BUNTENBACH:
Es kommt in der Tat entscheidend darauf an, dass die geplante Aufwertung von Kindererziehungszeiten nicht aus der Rentenkasse, sondern durch zusätzliche Steuermittel finanziert wird. Ansonsten wären die heutigen Rücklagen der Rentenversicherung ausschließlich durch die Mütterrenten in wenigen Jahren aufgebraucht. Wir wollen stattdessen, dass die Reserven zu einer Demografie-Rücklage ausgebaut werden. Dadurch können das Rentenniveau stabilisiert, die Erwerbsminderungsrente verbessert und auch sozial abgesicherte Übergänge finanziert werden. Die falsche Finanzierung der Mütterrente darf diese notwendigen Spielräume nicht zerstören.

ABSICHERUNG VON ERWERBSGEMINDERTEN

Die Renten für Neurentner sind hier in den letzten Jahren gesunken. Bei einem Rentenbeginn im Jahr 2001 erhielt ein erwerbsgeminderter Versicherter im Bundesdurchschnitt noch 676 Euro monatlich, bei einem Rentenbeginn im Jahr 2012 waren es nur noch 607 Euro monatlich. Diesen Trend will die Koalition stoppen.

RISCHE: Dass es (…) in der vergangenen Legislaturperiode nicht zu einer entsprechenden Regelung gekommen ist, weil Uneinigkeit über die Einführung der Zuschuss- bzw. Lebensleistungsrente bestand, ist nicht nachvollziehbar und für die Betroffenen problematisch. Es ist deshalb gut, dass dieses drängende Problem laut Koalitionsvertrag nun zügig angegangen werden soll. (…) Wenn man außerdem bedenkt, dass erwerbsgeminderte Menschen kaum mehr einen finanziellen Spielraum für den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge haben, ist die Gefahr, im Alter arm zu sein, für sie deutlich höher als für die Gesamtbevölkerung. Jeder Schritt zur Verbesserung der Absicherung erwerbsgeminderter Menschen ist damit auch ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von Altersarmut in der Zukunft.
BUNTENBACH:
Es ist tatsächlich bitter, dass hier in den letzten Jahren nichts passiert ist, obwohl ein breiter Konsens besteht, dass Menschen, die sich kaputtgearbeitet haben, besser abgesichert werden müssen. Die Koalition muss dafür sorgen, dass die Erwerbsminderungsrente endlich armutsfest gemacht wird. Die Verlängerung der Zurechnungszeiten und die Höherbewertung sind ein erster richtiger Schritt. Das Beste wäre allerdings, wenn die Abschläge abgeschafft werden, denn niemand sucht sich eine Erwerbsminderung freiwillig aus. Bei einer solchen Reform muss allerdings auch beachtet werden, dass das Rentenniveau nicht weiter absinkt, weil sonst die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente mit der Zeit erneut entwertet werden.

ABSICHERUNG VON GERINGVERDIENERN

Im Koalitionsvertrag ist eine sogenannte solidarische Lebensleistungsrente vorgesehen, die „voraussichtlich bis 2017“ eingeführt werden soll. Wer 40 Jahre Beiträge gezahlt hat und dennoch weniger als 30 Entgeltpunkte erreicht – das entspricht heute einem Alterseinkommen von rund 850 Euro –, soll von einer Aufwertung der erworbenen Entgeltpunkte profitieren. Dabei sollen – das ist neu – bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit wie Beitragsjahre behandelt werden.

RISCHE: Dass die Gefahr von Altersarmut für Geringverdiener aufgrund der Einschnitte im Rentenversicherungssystem durch die Reformen der vergangenen Jahre größer geworden ist, steht außer Frage. Umstritten blieb aber in der letzten Legislaturperiode, mit welchen Maßnahmen man dieser Entwicklung sinnvoll entgegentreten kann. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegte Konzept einer Lebensleistungs- oder Zuschussrente stieß auf harsche Kritik. (…) Auch wenn die Formulierung im Koalitionsvertrag in verschiedener Hinsicht noch nicht eindeutig ist, steht zu befürchten, dass den Einwänden, die gegen die Zuschussrente erhoben wurden, mit dem neuen Konzept jedenfalls nicht umfassend Rechnung getragen wurde. Insbesondere ist weiterhin eine problematische Vermischung von Versicherungs- und Fürsorgeprinzip vorgesehen. Erfreulich ist die Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Finanzierung der Lebensleistungsrente aus Steuermitteln erfolgen soll. (…) Armutsbekämpfung ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht nur der Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung.
BUNTENBACH:
Wir wissen seit Jahren, dass wegen der Einschnitte bei der gesetzlichen Rente und durch die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt künftig eine neue Dimension an Altersarmut droht. Deshalb muss auch auf beiden Seiten gegengesteuert werden. Entscheidend ist eine neue Ordnung der Arbeit mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde, einer Regulierung der Leiharbeit und von Werkverträgen sowie einer Stärkung von Tarifverträgen und einer Minijob-Reform. Auf der anderen Seite brauchen wir eine Stabilisierung des Rentenniveaus und ergänzend einen steuerfinanzierten Sozialausgleich, um Bedürftigkeit im Alter zu vermeiden. Wir schlagen weiterhin vor, die bis 1992 gültige „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ zu erneuern. Dieses Instrument hat sich bewährt und kann die Rente von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die lange gearbeitet haben und trotzdem nur geringe Rentenansprüche haben, so aufwerten, dass ihnen der Gang zum Sozialamt erspart bleibt. Die sogenannte Lebensleistungsrente ist eine Lebenslüge von Frau von der Leyen, denn sie ist reiner Etikettenschwindel, bringt ein bürokratisches Chaos, und am Ende würde sie wegen der viel zu hohen Zugangshürden kaum jemand bekommen.

HERBERT RISCHE ist noch bis März Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB); dann wird er von Axel Reimann abgelöst. Risches Statements sind seiner Rede auf der Bundesvertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund am 5. Dezember 2013 in Berlin entnommen, die hier ungekürzt eingesehen werden kann: http://bit.ly/1fPVEGr

ANNELIE BUNTENBACH ist Mitglied im DGB-Bundesvorstand und dort unter anderem für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zuständig. Sie hat die Passagen aus der Rische-Rede für uns kommentiert. Aktuelle rentenpolitische Positionen des DGB findet man unter: http://bit.ly/1aRsqzu

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