Gesetzliche Rente: Selbstständige für Pflichtversicherung
Dass die gesetzliche Rentenversicherung auf alle Erwerbtätigen ausgedehnt werden sollte, befürwortet eine große Mehrheit der Selbstständigen.
Viele Selbstständige sind weder freiwillig in der Rentenversicherung oder obligatorisch in einem berufsständischen Versorgungwerk versichert, noch sind sie in der Lage, fürs Alter ausreichend privat vorzusorgen. Die Politik hat dieses Problem schon länger erkannt, auch die aktuelle Bundesregierung möchte laut Koalitionsvertrag Selbstständige besser absichern, indem sie „gründer-freundlich“ in die gesetzliche Rente einbezogen werden. Diese würde damit ein Stück weit für alle Erwerbstätigen geöffnet. Was die Betroffenen selbst davon halten, haben Helge Emmler, Eileen Peters, Karin Schulze Buschoff vom WSI untersucht. Sie kommen zu einem klaren Ergebnis: „Die deutliche Mehrheit aller Selbstständigen und die deutliche Mehrheit der abhängig Beschäftigten stimmt der Einführung einer Erwerbstätigenversicherung zu.“
Für ihre Analyse haben die Forschenden Daten der 13. Welle der WSI-Erwerbspersonenbefragung ausgewertet, an der Ende 2024 rund 7500 Personen online teilgenommen haben. Von den Befragten sind gut 1000 hauptsächlich als Selbstständige tätig, 650 davon als Soloselbstständige ohne Angestellte.
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Die Auswertung der Daten zeigt, dass es beim Einkommen eine erhebliche Unwucht unter den Selbstständigen gibt: 23 Prozent der Soloselbstständigen verdienen netto maximal 1500 Euro im Monat, 15 Prozent mehr als 4500 Euro. Unter den Selbstständigen mit Personal kommen 8 Prozent auf bis zu 1500 Euro, fast die Hälfte verdient mehr als 4500 Euro. Zum Vergleich: Bei den abhängig Beschäftigten machen diese Einkommenskategorien 18 beziehungsweise 9 Prozent aus.
Beim Versicherungsstatus sind große Lücken erkennbar: Nur 40 Prozent der Soloselbstständigen und 35 Prozent der Selbstständigen mit Personal sind der Befragung zufolge versichert in der gesetzlichen Rentenversicherung, der Künstlersozialversicherung oder einem der berufsständischen Versorgungswerke. Auf die Frage, ob sie ausreichend finanziell vorsorgen fürs Alter, antworten Selbstständige mit Personal zu 81 Prozent mit „ja“ oder „teils, teils“, Soloselbstständige nur zu 63 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten beträgt die Zustimmungsquote 74 Prozent. Das Einkommen spielt dabei eine Rolle: Wer mehr verdient, ist hinsichtlich der eigenen Vorsorge tendenziell optimistischer. Aber auch Soloselbstständige mit Einkommen über 4500 Euro fühlen sich zu 31 Prozent nicht ausreichend abgesichert.
Das Meinungsbild in Sachen Reformbedarf fällt ziemlich eindeutig aus: Dass die gesetzliche Rentenversicherung alle Erwerbstätigen umfassen sollte, bejahen 69 Prozent aller Befragten „auf jeden Fall“ oder „eher“. Von den Selbstständigen mit Personal stimmen 66 Prozent zu, von den Soloselbstständigen 79 Prozent, von den abhängig Beschäftigten 70 Prozent. Auch hier wirkt sich das Einkommen aus: Je höher es ist, desto geringer die Zustimmung. Sogar bei den Selbstständigen mit Personal und hohem Einkommen spricht sich allerdings noch knapp die Hälfte für eine Erwerbstätigenversicherung aus. Die einzige Ausnahme in diesem Zusammenhang stellen die Beamtinnen und Beamten dar, die sich nur zu 30 Prozent für eine solche Reform erwärmen können.
Die breite Mehrheit für eine Erweiterung des Versichertenkreises in der Rentenversicherung decke sich mit anderen Befragungsergebnissen, erklären Emmler, Peters und Schulze Buschoff. Die Bundesregierung sollte das als Ermutigung verstehen, ihre Pläne umzusetzen: „Die im aktuellen Koalitionsvertrag als Reformvorhaben formulierte Einbeziehung der bislang nicht obligatorisch gesicherten Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung ist ein notwendiger Schritt zur Anpassung der Alterssicherung an sich wandelnde Rahmenbedingungen in Arbeitswelt und Gesellschaft.“ Dass die Umstellung gelingen kann, zeige das Beispiel Österreich, wo das staatliche Rentensystem bereits seit Ende der 1990er-Jahre auch Selbstständige erfasst. Der Beitragssatz liege dort seit 1988 unverändert bei 22,8 Prozent, die Leistungen seien im Vergleich höher.
Helge Emmler, Eileen Peters, Karin Schulze Buschoff: Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung?, WSI Policy Brief Nr. 91, August 2025