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Magazin Mitbestimmung

: Hörbare Signale

Ausgabe 06/2009

DGB-KAPITALISMUSKONGRESS Keiner will zur Tagesordnung übergehen, viele wollen Arbeitnehmer-Beteiligung, einige halten den Druck der Straße für hilfreich. Orchesterprobe für einen intellektuellen gewerkschaftlichen Aufbruch.

Von JONAS VIERING, Journalist in Berlin. Fotos: Rolf Schulten

Ein Investmentbanker als Hauptredner bei einem Gewerkschaftskongress, das ist ungewohnt. Aber es sind ungewöhnliche Zeiten. Und so war es ein Banker, Sony Kapoor, der das Finanzsystem als "dysfunktional und hohl" attackierte - und den Kapitalismus als ein System "der Gier". Ausgerechnet bei Lehman Brothers war er früher, jener Bank, deren Fehlspekulation und Zusammenbruch einer der Kipppunkte der Wirtschaftskrise war. Kapoor kennt das System von innen, deshalb hatte der DGB ihn zu seinem großen Kapitalismuskongress Mitte Mai nach Berlin geholt. Seit einigen Jahren leitet der Brite nun schon eine kritische Denkfabrik.

Die Komplexität der Finanzmärkte sei nicht gottgegeben, betonte er, sondern diene einem Zweck. Nämlich dazu, "die Steuerzahler hereinzulegen, die Regulatoren hereinzulegen und von den Leuten so viel Geld wie möglich zu kriegen". Zugleich sei die Wirtschaft aber ohne das Finanzsystem nicht lebensfähig; deshalb müsse dieses stärker reguliert werden als jede andere Branche. Weil diese Forderung unter Gewerkschaftern allzu leicht Kopfnicken auslöste, verband Kapoor sie mit einer unbequemen Forderung: "Jeder weiß, wogegen wir sind", sagte er. "Aber jetzt müssen wir sagen, welches Finanzsystem wir wollen - wir müssen unsere Vision durchbuchstabieren."

ERST GRÜBELN_ Genau dieses Ziel haben sich die Organisatoren des Kapitalismuskongresses gesetzt, und die Veranstaltung selbst soll hier der Auftakt sein. Es ist ein in dieser Form lange Zeit nicht gewagter Versuch eines intellektuellen gewerkschaftlichen Aufbruchs. "Umdenken - Gegenlenken", so lautete das Motto - um neben der hektischen Krisenbewältigung in Politik und Betrieben sowohl Grundsätzliches durchzudenken als auch konkrete Alternativen zu entwickeln. "Erst grübeln, dann dübeln", so formulierte die Ex-FR-Redakteurin und Bildungsexpertin Jutta Roitsch die doppelte Herausforderung. Und das war durchaus als Mahnung zu verstehen, jetzt nicht einfach nur die altbekannten Papiere aus der Schublade zu kramen. Ganz gezielt hatte der DGB solche Stimmen von außen eingeladen. Allen gemeinsam aber war die Sorge, dass schon sehr bald die Verantwortlichen in Unternehmen und Parteien einfach wieder weitermachen wie früher: Business as usual. "Niemand, weder im Denken noch im Handeln", betonte deshalb der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, "darf zur Tagesordnung übergehen." Dies sollte das Signal sein, nach außen und innen.

"Wir sind überzeugt, dass der Marktradikalismus nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch versagt hat", erklärte Sommer. Die Deregulierung der Finanzmärkte und die Kurzfristorientierung mancher Manager haben, das ist in der Krise offenkundig geworden, nicht besonders gut funktioniert. In der öffentlichen Debatte ist das beinahe schon Konsens. Allerdings kommen die entsprechenden Gesetzesprojekte in Deutschland seit Monaten nicht voran, wie Sommer anmerkte. Inzwischen will in den USA das Bankhaus Goldman-Sachs nach überraschenden Gewinnen im ersten Quartal dieses Jahres die erhaltenen staatlichen Zuschüsse rasch zurückzahlen und sich damit wieder von Regulierung befreien: "Das Kasino ist wieder offen, nur muss man jetzt am Eingang seinen Ausweis vorzeigen", kommentierte sarkastisch Heiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD).

"Jeder Politiker redet über Regulierung", sagte der Publizist Harald Schumann. Zugleich sei aber zu beobachten, dass die milliardenschweren staatlichen Rettungsaktionen nicht die Niederlage der Banken markierten, sondern deren "finale Machtübernahme". Die gerade erst gescheiterten Spekulanten sicherten sich "den Zugriff auf die Steuerzahlungen künftiger Generationen", so spitzte Schumann es zu. Denn die öffentlichen Kapitalspritzen für die Bankenbranche werden mit einer Erhöhung der Staatsschuld bezahlt. Dies aber lässt den finanziellen Spielraum der Regierungen etwa beim Zukunftsthema Bildung schrumpfen. Wenn nicht fiskalisch gegengesteuert wird, könnte der in der Krise gern geforderte starke Staat schon bald wieder empfindlich geschwächt sein. Keineswegs, das wurde deutlich, ist die Situation hilfreich bei der Durchsetzung gewerkschaftlicher Positionen. Diese Krise ist keine Chance - sondern Krise.

Denn sie bringt die Arbeitnehmervertreter in eine ungemütliche Lage. Zwar fänden die Stellungnahmen ihres wirtschaftswissenschaftlichen Instituts inzwischen mehr Gehör, erklärte Heide Pfarr, Geschäftsführerin der Böckler-Stiftung. Die Gewerkschaften selbst seien aber in einer "Sandwich-Position", eingeklemmt zwischen Politik und Belegschaften. "Gegenüber der Politik vertreten sie die Auffassung - meines Erachtens zu Recht - dass nichts schädlicher in der Krise sei als Lohnsenkungen", sagte Pfarr. Die Binnennachfrage dürfe nicht geschwächt werden. In den Betrieben hingegen "vertreten sie gegenüber den Beschäftigten, dass diese Lohnkürzungen akzeptieren" zwecks Jobsicherung. Beides sei richtig; aber es passe nicht zusammen.

BETEILIGUNG AM BETRIEBSVERMÖGEN_ Genau hier müssten die Gewerkschaften die Wende zur Offensive suchen, schlugen Kongressteilnehmer vor. Ganz konkret im Fall Schaeffler, wo die Firmenchefin sich mit der Übernahme von Conti verzockt hat: Hier könne es in den Verhandlungen um Sanierungsbeiträge der Mitarbeiter nicht nur um Beschäftigungssicherung als Gegenleistung gehen, erklärte Wolfgang Müller von der IG Metall, der den Betrieb betreut. Er will mehr - nämlich die Beteiligung der Mitarbeiter am Betriebsvermögen. Darum gehe es bei Schaeffler, aber auch bei Opel und sogar bei Daimler. "All die Parolen, ‚Wir sind nicht die Verursacher der Krise‘, stimmen ja - aber erpresst werden wir trotzdem", sagte Müller. "Da müssen wir nicht nur die Frage nach Mitbestimmung stellen, sondern die Eigentumsfrage." Und das bis hin zu Sperrminoritäten. Das Ganze ähnele einem "Debt-Equity-Swap", wie auch Banken ihn machten, sagte der Metaller: Schulden werden getauscht gegen Kapitalbeteiligung. Ein Ansatz so radikal wie pragmatisch und auf seine Art auch - passend zum Kongresstitel - sehr kapitalistisch.

Nötig sei hierfür jedoch eine starke betriebliche Mitgliederbasis, betonte Peter Donath, Abteilungsleiter im IG-Metall-Bundesvorstand. Um diese zu erreichen, sei "mehr Alltagsdemokratie in den Gewerkschaften" gefragt. "Nicht für die Beschäftigten, sondern mit ihnen" müsse man arbeiten. Neue Stärke wurde beim Kongress auch in neuen Allianzen gesucht. So will die IG Metall jetzt die lange Zeit nur als wirtschaftsfeindlich geschmähten Umweltschützer von Greenpeace einladen. Und Franz-Joseph Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, trat noch während des Kongresses zusammen mit dem sonst durchaus konservativen Bauernpräsidenten vor einer Lidl-Filiale auf - gemeinsam prangerten sie die niedrigen Milchpreise an, unter denen die gesamte Branche leidet.

HANDLE ODER STIRB_ Ein Thema zog sich durch: mehr Teilhabe. "Sind wir Konsumenten unserer Demokratie geworden - statt Produzenten des Politischen?", fragte kritisch die New Yorker Soziologieprofessorin Saskia Sassen. Und die indische Gewerkschafterin Namrata Bali brachte es mit einem Gandhi-Zitat auf den Punkt: "Karo Ya Maro" - "Handle oder stirb". Mit dem Finger nur auf andere zu zeigen, führe zu nichts. Umstritten war allerdings, auf welche Weise die Gewerkschaften sich einmischen sollten. Es gebe Gründe genug, "jetzt mal wütend zu werden", sagte IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel - ein Plädoyer für den Druck der Straße, gerade jetzt im Wahljahr. "Wir sind aufgefordert, einen Weg zu gehen, dass die Politik wieder Angst vor uns hat", erklärte zugespitzt ein anderer Diskutant. Nur so ändere sich etwas. Ganz anders sah das die junge Autorin Julia Friedrichs, bekannt geworden mit einem gnadenlosen Buch über selbst ernannte Eliten in Gesellschaft und Wirtschaft. Vielleicht sollten Gewerkschafter besser in die Politik hineingehen, statt sie zu bekämpfen, sagte sie. "Politiker sind die gewählte Elite - die einzige, die legitimiert Entscheidungen treffen kann." Auch zur Zukunft des Kapitalismus.

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