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Magazin Mitbestimmung

: Gut vernetzt in Sachsen

Ausgabe 11/2010

BETRIEBS- UND PERSONALRÄTE Das branchenübergreifende Netzwerk Canaletto mit Sitz in Dresden ermutigt Arbeitnehmer, ihre Interessen zu vertreten. Von Susanne Kailitz

Susanne Kailitz ist Journalistin in Dresden/Foto: Canaletto

Manchmal kommen die richtigen Angebote genau zur richtigen Zeit: Als Tilo Holzbrecher im vergangenen Jahr gemeinsam mit elf Kollegen einen Betriebsrat gründete, hatte eigentlich niemand von ihnen eine genaue Vorstellung davon, wie man künftig mit der Unternehmensleitung verhandeln würde. Da kam ihm ein Zeitungsartikel über das Betriebs- und Personalrätenetzwerk Canaletto gerade recht. Das DGB-Projekt war Anfang 2009 gegründet worden, um branchenübergreifend Fragen der Mitbestimmung zu diskutieren und sächsische Betriebs- und Personalräte aus ganz unterschiedlichen Unternehmen in Kontakt zu bringen und sie mit Informationen zu versorgen.

Für Holzbrecher und seine Kollegen vom Dresdner Solarzellenhersteller Solarwatt war der Kontakt ein echter Gewinn: "Von uns elf Betriebsräten hatte nur einer so etwas schon einmal gemacht, und unsere Unternehmensleitung hat ziemlich deutlich signalisiert, dass ein Betriebsrat nicht gewünscht war. Bei Canaletto sind wir ganz schnell auf einen Stammtisch gestoßen, bei dem wir unsere Fragen stellen konnten. Das Netzwerk hat uns einen Paten, einen ehemaligen Betriebsrat mit jahrelanger Erfahrung, an die Seite gestellt - und der hat uns richtig gute praktische Tipps gegeben, wie wir mit unserer Unternehmensleitung verhandeln konnten." Mittlerweile steht Holzbrecher selbst Kollegen mit gutem Rat zur Seite. "Ich will gerne das weitergeben, was mir selbst mal sehr geholfen hat."

DEN NERV GETROFFEN_ Genau das hatten sich die Macher von Canaletto gewünscht. Mit rund 800.000 Euro aus Mitteln des Freistaats und des Europäischen Sozialfonds wird das Projekt noch bis Ende 2010 gefördert, als Träger fungiert die Unternehmensberatung PCG - Project Consult des Bochumer Wirtschaftsgeografen und ehemaligen IG-Metall-Referenten Klaus Kost. Der klangvolle Name des Netzwerks geht auf eine Veranstaltung im Mai 2007 zurück, bei der sich gut 30 Betriebsräte der Region zu einem Austausch getroffen hatten - genau an der Stelle, an der Sachsens berühmter Hofmaler Canaletto im 18. Jahrhundert sein bekanntes Gemälde gemalt hatte: "Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke".

Ein riesiges Foto des Treffens hängt heute im Netzwerkbüro in der Dresdner Ritzenbergstraße, wo das Projektteam residiert. Jörg-Peter Skroblin, der das Projekt für die PCG betreut, ist froh, dass die Angebote so gut angenommen werden. "Wir haben acht Gewerkschaften und Partner wie die Friedrich-Ebert-Stiftung mit im Boot, außerdem arbeiten wir mit den Handwerkskammern und Vertretern der Wissenschaften zusammen. Wir hatten bislang mehr als 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei unseren Veranstaltungen, online sind mehr als 900 Zugriffe pro Monat auf die Homepage registriert - das zeigt uns, dass wir mit unseren Angeboten einen Nerv getroffen haben." Man wolle bei den Betriebsräten das Gefühl stärken, dass die Interessenvertretung der Arbeitnehmer eine wichtige demokratische Grundregel sei, und sie sicherer machen für den Umgang mit den Unternehmensleitungen. "Sie sollen sich an der regionalen Wirtschaftsförderungs-Diskussion beteiligen und sich dessen bewusst sein, dass sie eine wichtige Stimme sind", so Skroblin. Auch 20 Jahre nach der Wende sei diese Überzeugung im Osten noch schwächer ausgeprägt als im Westen, wo man auf eine mehr als 60-jährige Geschichte der gesetzlich verankerten betrieblichen Mitbestimmung zurückblicken könne.

DER DIREKTE AUSTAUSCH ZÄHLT_ Das Netzwerk bietet eine Internetplattform, einen Download-Service und rege besuchte Seminare und Workshops, die Themen bearbeiten, die den Betriebsräten auf den Nägeln brennen. Junge Betriebsräte wie das Solarwatt-Team können von erfahrenen Kollegen gecoacht werden und von deren Erfahrungen profitieren.

Eine Möglichkeit, zusammenzusitzen und über wichtige Themen sprechen zu können - das ist es, was die Betriebsräte bei Canaletto hauptsächlich suchen, hat Projektleiter Ilko Keßler erkannt. "Ursprünglich hatten wir gedacht, dass die interaktiven Angebote stärker genutzt würden; das ist aber bislang nicht der Fall. Was wirklich wichtig ist, ist der persönliche Kontakt der Betriebsräte, die sonst so nie zueinandergefunden hätten." Und wichtige Informationen: "Das geht von Arbeitszeitregelungen und Schichtarbeit bis hin zu Leiharbeit und Vergütungsfragen", sagt Betriebsrat Tilo Holzbrecher, "diese Informationen hätten wir woanders so schnell und unkompliziert nie bekommen." Woanders - das wären zum Beispiel auch die acht Einzelgewerkschaften, die das Netzwerk Canaletto unterstützen. Für sie ist das Projekt ein Türöffner in Firmen, in denen sie nur schwach vertreten sind.

Auch im Solarwatt-Betriebsrat gehört nur die Hälfte der Leute einer Gewerkschaft an - die Angebote des Netzwerks könnten den ein oder anderen aber vielleicht davon überzeugen, dass die Arbeitnehmerinteressenverbände ihnen einiges zu bieten hätten. Darauf hofft auch Jörg Borowski, der Dresdner Bezirksvorsitzende der IG BAU. "Die Vernetzung von Betriebsräten ganz unterschiedlicher Branchen hat uns etwa beim Streik der Gebäudereiniger im letzten Jahr sehr geholfen, vor allem als es darum ging, Zugang zu den Unternehmen zu bekommen. Und natürlich hoffen wir, über Canaletto Arbeitnehmern zeigen zu können, was wir bei der IG BAU zu bieten haben."

POLITIKUM IM FREISTAAT_ Doch auch wenn das Netzwerk erfolgreich angelaufen ist, kämpft das Projektteam ums Überleben. Im August 2009, als Canaletto seine Aktivitäten auf Ostsachsen ausdehnte, hatte der damalige sächsische SPD-Arbeitsminister Thomas Jurk noch gesagt, das Prinzip der Mitbestimmung sei in der Vergangenheit vernachlässigt und fälschlicherweise als Wachstumshindernis dargestellt worden, nun aber ein Bestandteil der Regierungsarbeit geworden. Davon ist nach einem Regierungswechsel nicht mehr viel übrig. Besonders die FDP, die im Freistaat seit mehr als einem Jahr mitregiert, sieht die Arbeitnehmerprojekte kritisch.

Mit Verweis auf die Krise wird in diesem Bereich deutlich gespart - und so ist noch nicht ausgemacht, ob der Antrag für ein weiteres Jahr Förderung durchkommt. "Wir haben die Unterstützung des DGB und der Einzelgewerkschaften, deshalb sind wir vorsichtig optimistisch", so Ilko Keßler. Ein drittes Jahr Laufzeit sei nötig, damit die erfolgreichen Strukturen weiterfunktionieren und die Projektorganisation über Ehrenamtliche gesichert werden könne, sagt Jörg-Peter Skroblin. Auch die Internetangebote sollen ausgebaut werden, "außerdem wollen wir verstärkt in die Rathäuser gehen", so Skroblin. "Dort setzt sich nämlich zunehmend die Einsicht durch, dass soziale Arbeit untrennbar zur Wirtschaftspolitik gehört."


Mehr Informationen

Über http://www.netzwerk-canaletto.de/ informiert das Betriebs- und Personalräte-Netzwerk über wichtige Veranstaltungen. Außerdem bietet die multimediale Internetplattform aktuelle Informationen zu allen Themen, die für eine qualifizierte Interessenvertretung und Mitbestimmung relevant sind.

 

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