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Magazin Mitbestimmung

: Die Südamerika-Connection

Ausgabe 09/2009

BASF Wie aus einer Solidaritätsgruppe ein transnationales Mitbestimmungsprojekt wurde: Porträt von Fritz Hofmann - Mitarchitekt des BASF-Arbeitnehmernetzwerkes in Südamerika.

Von CORNELIA GIRNDT, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung, und FRANK ZIRPINS, Journalist in Köln/Foto: Wolfgang Roloff

Fritz Hofmann steht in seinem Ludwigshafener Büro vor einem Foto. Es ist ein Bild von brasilianischen Landlosen, eines der vielen, die der berühmte Fotograf Sebastião Salgado von den Ärmsten der Armen gemacht hat. Eine Ausstellung über die Landlosenbewegung in Brasilien hat der 57-jährige BASF-Betriebsrat Hofmann zusammen mit Freunden nach Mannheim geholt - eine Facette seines Südamerika-Engagements, das der BASF-Betriebsrat beharrlich verfolgt.

Im Laufe der Jahre wuchs aus einer linken Solidaritätsgruppe ein informelles Netzwerk von Betriebsräten und Gewerkschaftern, das heute beim weltgrößten Chemiekonzern BASF eine Institution ist - der "Dialogo Social America do Sul". Dieses sperrige Wort vom "Sozialen Dialog", das Fritz Hofmann gar nicht mag ("Kann ein Dialog sozial sein?", fragt er), bedeutet: Manager und Arbeitnehmervertreter der BASF aus dem südamerikanischen Kontinent kommen regelmäßig zusammen und besprechen sich - auf der Grundlage einer Art Betriebsvereinbarung.

Das "Rede de Trabalhadores na BASF America do Sul", das Arbeitnehmernetzwerk, ist ein ambitioniertes Mitbestimmungsprojekt - konzernweit erstreckt es sich quer über den südamerikanischen Kontinent (Grafik Seite 38). In den zehn Jahren seiner Existenz haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert und die südamerikanischen Geschäftsleitungen mehr und mehr auf die sozialpartnerschaftlichen Werte des Ludwigshafener Mutterhauses verpflichtet.

WIE WIRKT SICH DIE KRISE AUS?_ In diesem Frühsommer hat BASF-Betriebsrat Fritz Hofmann, der erst Spanisch, dann auch Portugiesisch gelernt hat, per Mail eine Anfrage gestartet an die "caros companheros" des Südamerika-Netzwerkes in Brasilien und gefragt: "Wie wirkt sich die Krise in euren Chemiebetrieben aus, gibt es Entlassungen oder Kurzarbeit?" Aber es wurde nichts vermeldet. "Es hat mich überrascht, wie ruhig es ist. Die Wirtschaftskrise schlägt in Südamerika weit weniger durch." Ein Grund: Die Pflanzenschutzsparte boomt nach wie vor, die BASF ist im brasilianischen Agrobusiness groß im Geschäft. Und während in Deutschland das Bruttosozialprodukt voraussichtlich um fünf Prozent schrumpfen wird, rechnet man in Brasilien 2009 mit einem Minus von 1,7 Prozent.

"Jetzt ist es mal umgekehrt. Jetzt haben wir in Deutschland die Probleme und nicht die Südamerikaner", sagt Fritz Hofmann. Mit umso größerem Interesse haben seine BASF-Kollegen Fabio Lins und Vilobaldo Machado seine Mails gelesen, in denen er von Kurzarbeit und entlassenen Leiharbeitern im Mutterkonzern in Ludwigshafen berichtete und von Absatzeinbrüchen von 30 bis 40 Prozent. "Die Lage ist in der BASF extrem unterschiedlich, alle Vorprodukte für die Autoindustrie und Bauwirtschaft laufen schlecht", ergänzt Fritz Hofmann.

Das Netzwerk der "Trabajadores en la BASF America del Sur" - wie es über der spanischen Schwesterausgabe der Netzwerkzeitung steht - dokumentiert gerade sein zehnjähriges Bestehen. Die Anfänge reichen in die frühen 80er Jahre zurück. Damals war Fritz Hofmann einer der linken BASF-Vertrauensleute, die den Internationalismus der Arbeiterbewegung hochhielten. "Wir haben uns gesagt, fahren wir da mal hin, und haben das aus eigener Tasche bezahlt", berichtet er. Die Erkundungen der Soligruppe in den südamerikanischen Fabriken ergaben: "Geführt wurde nach Gutsherrenart. Die Vorgesetzten haben kommandiert, die Arbeiter hatten zu gehorchen", berichtet Hofmann.

Die IG Chemie fuhr nicht mit. "Wir sprechen nicht mit Kommunisten", lautete die Devise des Vorsitzenden Hermann Rappe. Erst in den 90er Jahren, als der Kalte Krieg vorbei war, startete die erste gewerkschaftsoffizielle Reise nach Brasilien, in ein Land, in dem heute 1200 deutsche Firmen Niederlassungen haben. Auf jener Erkundungstour mussten die Deutschen lange vor den Toren des BASF-Werks in Sao Bernardo do Campo warten, ehe sie schließlich wie Gefahrgut im geschlossenen Bus durch die Werksanlage gefahren wurden. Gewerkschafter - auch die aus Deutschland - waren eine suspekte Spezies. Und was erwarteten die brasilianischen Arbeitnehmervertreter von ihren Besuchern? Fritz Hofmann lächelt verschmitzt. "Die hatten die Hoffnung, dass wir im Mutterhaus in Ludwigshafen ihre Probleme lösen. Das funktioniert natürlich nicht."

WIE ARGUMENTIERT IHR?_ Aber "den Kollegen ein Gesicht und eine Stimme zu geben", das sei gelungen. Wenn es heute Probleme gibt, etwa in der Chemiefabrik im brasilianischen Salvador de Bahia, dann landen diese Probleme auch in Ludwigshafen bei Fritz Hofmann in der Mailbox, dazu die Protokolle von den Verhandlungen mit dem Management, sodass der Kontaktmann in Ludwigshafen weiß, wie und wo sich in den Werken in Südamerika Unmut zusammenbraut. Umgekehrt wollen die brasilianischen Kollegen von ihm immer gern wissen, wie die Betriebsräte in Ludwigshafen diese oder jene Probleme lösen würden, vor allem wie er gegenüber dem Management argumentieren würde.

Was ist der größte Fortschritt des Sozialen Dialogs? Fritz Hofmann muss nicht lange überlegen. "Man kann heute viele Konflikte auf dem Verhandlungswege lösen, ohne dass es zu einer Eskalation kommt." Verhandlungswege. Was für unsere Ohren banal klingt und wie ein langweiliges Tarifritual erscheint, das kommt in Brasilien, einem Land mit feudalen Traditionen, einer kleinen Revolution gleich. Oder besser: es kam. Verhandlungen sind deshalb System sprengend, weil sie voraussetzen, dass beide Seiten überhaupt miteinander reden, und das ist in Brasilien überhaupt nicht normal. Normal war eher, dass vor 20 Jahren einem freigestellten Gewerkschafter Hausverbot erteilt wurde. Wenn das heute passiert, und kürzlich ist es im BASF-Werk Demarchi in Sao Bernardo do Campo passiert, dass ein übereifriger Werkschutz einen Gewerkschafter nicht in die Sitzung ließ, dann hagelt es Proteste, und der ausgesperrte Kollege bekommt ein Entschuldigungsschreiben aus Ludwigshafen - aus der Zentrale des weltgrößten Chemiekonzerns.

Oder die Sache mit Rolf-Dieter Acker, Leiter der BASF-Region Südamerika und Präsident der deutsch-brasilianischen Handelskammer, einem Wirtschaftsboss, der mit dem deutschen Wirtschaftsminister und Brasiliens Präsident Ignacio Lula auf Augenhöhe parliert. Der hatte noch nie mit einem Gewerkschafter geredet. Bis 2001. In jenem Jahr fand der erste hochkarätig besetzte Sozialdialog statt. Aus Ludwigshafen reisen die Spitzenmanager der BASF an, gemeinsam mit den BASF-Betriebs- und -Arbeitnehmer-Aufsichtsräten sitzen sie an einem Tisch, sprechen Vertrauliches und scherzen. "Da konnte er nicht mehr anders", sagt Fritz Hofmann, "da setzte sich Herr Acker zu uns dazu."

Fritz Hofmann erzählt diese Dinge, um zu illustrieren, was sich verändert hat. Und gibt sich bescheiden. "Ich halte so ein bisschen den Kontakt zu den Arbeitnehmervertretern in Südamerika", erläutert er seine Aufgabe. Auch wenn er entlang der strengen Hierarchien, wie sie die Broschüre zum zehnten Jahrestag des Arbeitnehmernetzwerkes spiegelt, erst nach all den Statements der Vorsitzenden - von ICEM, der IG BCE, der BASF - interviewt wird, hat, was er sagt, Gewicht. Ein Glücksfall für die internationalen Beziehungen. Einer, der beharrlich seinen Weg geht, der viele als Mitstreiter gewann, ins Netzwerk integrierte - und ihnen die Bühne überließ.

INTERNATIONALE HORIZONTE_ Rund 5000 BASF-Trabalhadores und ihre gewerkschaftlichen Vertreter aus Fabriken in Brasilien, Argentinien, Peru und Chile sind in dem Arbeitnehmernetzwerk der BASF zusammengeschlossen. Ähnlich wie in Europa gibt es auch in Südamerika von Land zu Land unterschiedliche Formen der industriellen Beziehungen, mal stärker betrieblich, mal stärker gewerkschaftlich. Der größte Unterschied: In Chile, Argentinien und Brasilien werden die Arbeitnehmer durch Betriebsgewerkschaften vertreten, was Nähe zur Belegschaft garantiert, aber ihren Horizont auf eine Stadt oder ein Werk begrenzt. Das widerspricht völlig der Idee einer Arbeitnehmervertretung, die Bescheid weiß, was in anderen Bundesstaaten und Ländern passiert. Hier hat der BASF-Betriebsrat Fritz Hofmann in jahrzehntelanger Arbeit Strukturen mit aufgebaut. Und angeregt, dass sich zumindest die für die BASF-Werke in Brasilien zuständigen Gewerkschaften mit der "Central Unica dos Trabalhadores" (CUT) dem gleichen Dachverband anschließen.

Und noch etwas: "Wenn wir erreicht haben, dass die Gewerkschaften ein Gewicht haben bei den Verhandlungen, dann haben wir viel erreicht", sagt Fritz Hofmann, wohl wissend, dass die Multis in den Schwellenländern gerne ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit ausspielen. Dagegen gilt heute bei BASF do Brazil: Wenn die einheimischen Gewerkschaften es wollen, ist man zu Wahlen und der Bildung von Fabrikkommissionen - ähnlich Betriebsräten - bereit. Und das Management akzeptiert, dass in den Gremien des Sozialdialogs auch Gewerkschafter vertreten sind und eben nicht nur betriebliche Vertreter. Womit auch die gewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben aufgewertet wird. Heute haben die Fabrikkommissionen in den Betrieben eigene Büros, Computer und Telefon.

"Hola, como vai Fabio, tudo bem?" Fritz Hofmann kann mit Fabio Lins, dem Macher des Netzwerkes und freigestelltem Gewerkschafter, in dessen Muttersprache kommunizieren - ein unschätzbarer Vorteil. Manchmal schreibt er sogar auf Portugiesisch einen Artikel für die Zeitung des Netzwerks. "Aber da geht dann noch mal jemand drüber, und das ist auch besser so", sagt der 57-Jährige und lacht. Hofmann hat die kleine Zeitung mit aufgebaut, die monatlich mit einer Auflage von 5500 Exemplaren teils auf Spanisch, teils auf Portugiesisch erscheint und von den südamerikanischen Chemie-Gewerkschaften herausgegeben wird. Das Blatt berichtet von Aktivitäten an den BASF-Standorten und vermittelt das Gefühl, Teil der BASF-Welt zu sein. Es ist eine gewerkschaftlich eingebundene Zeitung, wie man an den Logos der Unterstützer sieht - der CUT, der IG BCE, der FES und des vom DGB unterstützten Observatorio Social.

EINE INSTITUTION_ Alle acht Monate verhandeln die BASF-Arbeitnehmervertreter des Netzwerkes auf Länderebene mit dem Management: Jeder Standort ist beim "Dialogo Social" mit zwei Delegierten vertreten. Die Manager informieren über die Lage des Unternehmens, und auf der Arbeitnehmerseite kommen jene Dinge auf den Tisch, die sich zu größeren Problemlagen ausweiten können. "Das ist ein Frühwarnsystem", sagt Fritz Hofmann. Alle zwei Jahre werden diese Treffen zu einer deutsch-südamerikanischen Elefantenrunde mit den Konzernspitzen erweitert - mit dabei ist immer auch ein Spitzenmann der IG BCE und der ICEM, der internationalen Chemie-, Energie-und Bergbau-Gewerkschaft.

"Fritz Hofmann ist einer der Gründerväter dieses Sozialdialoges und der ist heute ein Teil der BASF-Welt", sagt Konzernbetriebsratsvorsitzender Robert Oswald. "Dass der soziale Dialog eine Wertschätzung im Konzern erfährt, zeigt sich schon daran, dass Arbeitsdirektor Harald Schwager und Personalchef Hans-Christian Hansen an den Treffen teilnehmen." Hansen lobt die Netzwerktreffen als "geprägt von einem langjährig gewachsenen Vertrauen, auf dessen Erhalt es beiden Seiten gleichermaßen ankommt".

Aber kommt der Internationalismus beim Arbeiter in Ludwigshafen überhaupt an? "Wir haben einen Europäischen Betriebsrat, wir haben internationale Netzwerke - wir lassen nicht nach, das immer wieder anzusprechen", sagt Hofmann. Schließlich und endlich merkt der BASF-Arbeiter in Ludwigshafen auch an seinem Geldbeutel, dass die BASF-Welt nicht an den Pfälzer Äckern endet - weil sich die Erfolgsbeteiligung für die Arbeitnehmer in Ludwigshafen an der Gesamtkapitalrendite ausrichtet. Und die könnte in diesen Krisenjahren besser ausfallen, weil es die Standorte in Brasilien und Chile und Argentinien gibt. "In der Wirtschaftskrise ist unsere Zusammenarbeit wichtiger denn je", betont Fritz Hofmann und wählt ein romantisches Bild: Bei aufkommendem Sturm sollten die Arbeitnehmer ihre Netze enger knüpfen und ihr Vorgehen - sich informieren, koordinieren und sich unterstützen - intensivieren. Und schon schreibt er die nächste Mail.

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