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Magazin Mitbestimmung

Betriebsrats-Kommunikation: Den Wahnsinn steuern

Ausgabe 11/2014

Weltkonzerne wie die Daimler AG stehen unter permanenter medialer Beobachtung. Wie können sich das der Betriebsrat und seine Öffentlichkeitsarbeiter strategisch zunutze machen? Von Silke Ernst, Pressesprecherin des Gesamtbetriebsrats der Daimler AG

Eine sichere Quelle sagt mir, dass es ein neues Milliarden-Sparprogramm bei Daimler geben wird. Will der Gesamtbetriebsratsvorsitzende das kommentieren?“ Die Sprecherin des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden hört die Frage eines gewöhnlich gut informierten Wirtschaftsjournalisten im Auto über die Freisprechanlage und hasst es, morgens vor acht schon wie der Depp des Tages auszusehen. „Weiß ich nicht. Kenne ich nicht“, antworte ich. Den Rest der Fahrt ins Büro in Untertürkheim hänge ich am Telefon. Weder mein gewöhnlich gut informierter Chef Michael Brecht noch der Daimler-Pressebereich kennen das Thema. Später heißt es offiziell: Das laufende Effizienzprogramm „Fit for Leadership“ wird fortgesetzt – kein neuer Name, keine Verkündung neuer Zielzahlen. Dass Unternehmen ihre Effizienz verbessern und Kosten senken, ist in etwa so überraschend wie Nebel im November. Das wird erst sexy, wenn es dazu fantasievolle Zahlen und Programmtitel gibt. 

Egal, die Meldung steht schnell im weltweiten Netz und am nächsten Tag in der Zeitung – andere Blätter legen nach: Sie verkünden andere Zahlen und behaupten, bei Daimler stünden Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen im Raum. Das hätte ihm jemand aus dem Management erzählt, sagt mir der Journalist. Im Namen von Michael Brecht dementiere ich in aller Klarheit: Warum sollte der Gesamtbetriebsrat über so etwas verhandeln? Zumal in einer Zeit, in der Daimler gerade eine Rekordmeldung nach der anderen versendet. Absurd. In der Zeitung und im Netz steht’s trotzdem. Es gibt Nachfragen besorgter Kollegen. Das Dementi wird dann auch breit gedruckt. Die Öffentlichkeitsarbeiter in der Daimler-Pressestelle und ich haben erfüllte Tage. Auf Google News findet man am Ende der Woche mehrere Hundert Meldungen zum Thema. Die Aufregung legt sich. Daimler und die Medien – ein Wahnsinn. 

Es ist meine Aufgabe, diesen Wahnsinn weitgehend abzufangen, bevor er die politischen Entscheider trifft. Im Idealfall gelingt es mir, ihn zu kanalisieren und in die aus Sicht des Gesamtbetriebsrats richtige Richtung zu steuern. So verstehe ich professionelle Pressearbeit.

MEDIAL ERZEUGTER DRUCK IST HILFREICH

Das war beim Daimler-Gesamtbetriebsrat früher einmal anders: Karl Feuerstein, der 1999 verstorbene, legendäre Gesamtbetriebsratsvorsitzende, hatte seine Pressekontakte noch selbst gepflegt. Sein Nachfolger Erich Klemm erkannte allerdings rasch, wie tief greifend sich die Presse- und Medienlandschaft verändert und wie stark Daimler samt seiner Mitbestimmungsgremien im Fokus des Medieninteresses steht. Er setzte durch, dass er offiziell eine Pressesprecherin und ich eine erweiterte Funktion bekam. Bis dahin hatte ich als Referentin für das Sindelfinger Gremium an Konzepten und Vereinbarungstexten gefeilt und die interne Kommunikation mit aufgebaut. Der Medien-Hype, den die Auseinandersetzung um die Zukunftssicherung für die Daimler-Belegschaften im Jahr 2004 auslöste, räumte letzte Zweifel an der Notwendigkeit dieser Stelle aus. Der Kampf gegen die Erpressungsversuche des Vorstands und für eine langjährige Beschäftigungssicherung („Zukunftssicherung 2012“) wurde nicht nur am Verhandlungstisch und vor den Werkstoren entschieden, sondern zu einem gewichtigen Teil auch durch den medial erzeugten Druck. 

Über einen Mangel an Arbeit und neuen Impulsen kann ich bis heute nicht klagen. Externe und interne Kommunikation des Gesamtbetriebsrats sind inzwischen integriert – ich bin jetzt für beides verantwortlich. Und der Medien-Wahnsinn riss auch in diesem Jahr nicht ab. Dabei war das vermeintliche neue Sparprogramm aus der eingangs erzählten Episode nur ein Aufreger am Rande des Geschehens. Die echten Probleme für die Belegschaften und ihre Interessenvertreter ergeben sich vor allem aus der Umsetzung der strukturellen Maßnahmen, mit denen der Vorstand seine Effizienzziele erreichen will: In diesem Jahr stemmen sich die Beschäftigten und Betriebsräte der Niederlassungen gegen den Verkauf von Betrieben; die Belegschaften der Werke stehen unter erheblichem Druck und ringen gemeinsam mit ihren Betriebsräten um Teilhabe an der Wachstumsstrategie. Senkung der Fertigungstiefe, Fremdvergabe indirekter Tätigkeiten wie der Logistik, Verlagerung von Verwaltungstätigkeiten in Shared-Service-Center, Bau neuer Werke im Ausland, Milliarden­investitionen im Inland – die Daimler-Welt ist in Bewegung, und alles findet öffentlich statt, quasi vor laufender Kamera.

Beschäftigte und Medien fordern Information und Reaktion vom Betriebsrat. Ein großer Teil der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit findet vor Ort in den betroffenen Werken und Niederlassungen statt – meist in enger Zusammenarbeit mit der IG Metall. Überregionale Medien, Nachrichtenagenturen und alle Journalisten, die eine Gesamteinschätzung der Lage aus Sicht der Arbeitnehmervertretung beim Daimler hören wollen, rufen aber in der Regel erst mal bei mir an. Ich organisiere und begleite Hintergrundgespräche und Interviews mit dem GBR-Vorsitzenden, versende Presseinformationen, formuliere Sprachregelungen, spreche mit den Akteuren vor Ort und vermittle, erkläre, werbe ununterbrochen am Telefon und im persönlichen Gespräch mit Journalisten. Damit die Informationen und Positionen des Gesamtbetriebsrats bei der Belegschaft direkt und nicht nur über die externen Medien ankommen, sind zeitgleich Redetexte und Artikel für diverse Print- und Onlinemedien der Interessenvertretung zu schreiben. Meine Kolleginnen und Kollegen in der Stabsabteilung des Gesamtbetriebsrats unterstützen mich dabei inhaltlich. Manchmal denke ich darüber nach, wie viele Beschäftigte in der Presseabteilung des Unternehmens, im Bereich Interne Kommunikation, beim Redenschreiber-Pool und in den Vorstandsbüros an Kommunikationsthemen arbeiten. Dazu habe ich aber nie lange Zeit. Glücklicherweise hat sich seit Anfang dieses Jahres eine neue Kollegin der Frage der Gestaltung unserer Medien angenommen und unter anderem ein tragfähiges „Corporate Design“ für den Gesamtbetriebsrat entwickelt.

TEIL DER UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION

Durch den Dschungel der Fragen, Ansprüche, Aufträge, Einschätzungen und Meinungen, mit denen ich täglich konfrontiert bin, hilft ein enger Draht zum GBR-Vorsitzenden und eine klare strategische Ausrichtung der Kommunikation nach innen und außen. Diese orientiert sich naturgemäß an den strategischen Zielen, die sich der Gesamtbetriebsrat gegeben hat. Unter anderem setzt der im April 2014 unter dem Vorsitz von Michael Brecht neu konstituierte Daimler-Gesamtbetriebsrat explizit auf Transparenz, Präsenz, Dialog und Beteiligung. Daraus lassen sich nicht nur die Ausrichtung der Kommunikation, sondern auch konkrete Arbeitsaufträge ableiten. Mit der politischen Ziellinie des Gremiums vor Augen kann ich als GBR-Pressesprecherin in Texten und im Gespräch Beschäftigten und Medien sicher Orientierung geben. 

Eine klare strategische Ausrichtung vereinfacht auch die Zusammenarbeit der Betriebsratskommunikation mit der Pressestelle und der Internen Kommunikation des Unternehmens – Reaktionen können abgeschätzt, Konflikte zum Teil vermieden werden, auf andere ist man vorbereitet. Ob und wie diese Zusammenarbeit funktioniert, ist eine entscheidende Größe für die Qualität des öffentlichen Auftritts beider Seiten. Die Frage, ob die Betriebsratskommunikation Teil der Unternehmenskommunikation ist, kann nämlich schnell beantwortet werden: Natürlich ist sie das! Das Bild vom Unternehmen in den Medien und in der Belegschaft zeichnen beide Seiten – das Bild vom Betriebsrat übrigens auch.

In der Pressestelle und der Internen Kommunikation des Unternehmens sitzen Kolleginnen und Kollegen, deren konkreter Arbeitsauftrag bisweilen anders aussieht als meiner. Es sind aber auch Arbeitnehmer, die gerne wissen, wann ihr Feierabend anfängt. Daher begrüßen sie es, wenn ich ihnen sage, dass wir demnächst eine Presse- oder Mitarbeiterinformation rausschicken, die ihnen Arbeit machen wird. Das gilt andersherum natürlich genauso. Um unnötige Verwerfungen zu vermeiden, tauschen wir uns regelmäßig darüber aus, welche Themen gerade bewegt werden. Vereinbarungen, die Unternehmensleitung und Betriebsrat gemeinsam getroffen haben, werden idealerweise auch gemeinsam kommuniziert – das schmückt beide Seiten gleichermaßen, und jede Seite kann ihre Bewertung und Einschätzung abgeben. Gleichzeitig wird der Belegschaft und auch den Medien die Sicherheit vermittelt, dass es vielleicht einen unterschiedlichen Blick auf die Regelung, aber keinen Interpretationsspielraum gibt. Schließlich wollen Beschäftigte und Journalisten wissen, was wirklich Sache ist.

WAS GUTE KOMMUNIKATION LEISTET

Das klingt nun alles nach guten Ratschlägen, und das ist auch genau das, was Kommunikation leisten kann. Die Kommunikation berät die Politik, sie macht sie nicht. Sie kann formulieren, wie Zielsetzungen und Entscheidungen des politischen Gremiums in der internen und externen Öffentlichkeit ankommen werden. Sie kann Botschaften, Themen und gewählte politische Entscheider in internen und externen Medien positionieren, Kampagnen leiten, Beteiligungsprozesse und Veranstaltungen initiieren und organisieren. Aber: Sie setzt keine politischen Ziele, sie entscheidet nicht, sie wählt nicht und beschließt keine Aktionen – dafür hat sie kein Mandat. Beratung kann angenommen werden oder auch nicht. Wichtig ist, dass die Entscheider erkennen, dass ihre Politik durch die kommunikative Beratung besser wird und so unmittelbar wie positiv bei den Menschen ankommt. 

Damit sie diese Qualität hat, braucht Kommunikation eine eigene Expertise. Sie muss wissen, wann und wie die Medien – von Flugblatt und Betriebsratszeitung über die eigene Internet- und Facebookseite bis hin zur Nachrichtenagentur – am besten bespielt werden. Vor allem aber braucht sie ein eigenes Netzwerk – von Medienvertretern, Öffentlichkeitsarbeitern in der Gewerkschaft und im Unternehmen, von Fachleuten innerhalb und außerhalb des Unternehmens, Betriebsräten, Gewerkschaftssekretären und möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen. Dann kann Kommunikation gelingen – selbst die zu den Aufregern am Rande.

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