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Magazin Mitbestimmung

: Das Revier im Osten

Ausgabe 05/2011

ENERGIEBRANCHE Die Braunkohle aus der Lausitz ist nicht unumstritten. Die Verstromung gilt als schmutzig, liefert aber 25 Prozent der elektrischen Energie in Deutschland. Nach der Wende fehlten Investoren - dann kam der Vattenfall-Konzern. Die Montanmtbestimmung hilft, in der strukturschwachen Gegend Jobs zu sicher. Von Susanne Kailitz

SUSANNE KAILITZ ist Journalistin in Dresden/Foto: Stephan Pramme

Wir sind weit draußen im Tagebau, nahe an der polnischen Grenze. Astrid Hobracht deutet auf einen entfernten Punkt am Horizont: "Sehen Sie, dort werden Flächen von Landwirten rekultiviert. Zum Teil ist der Boden schon wieder ganz grün, da kommen Sie gar nicht drauf, dass dort mal Kohle abgebaut wurde." Während Besucher bei der rumpeligen Fahrt mit weißen Geländewagen längst die Orientierung verloren haben, kennt die 49-Jährige hier jeden Stein und jeden Strauch, kann jedes der riesigen Abraumfahrzeuge benennen. Sie ist hier zu Hause. Der Tagebau, sagt Hobracht, sei eine ganz eigene Welt: "Wir sind hier wie eine Familie."Seit 30 Jahren arbeitet sie im Tagebau Jänschwalde bei Cottbus, früher als Ingenieurin, jetzt in der Öffentlichkeitsarbeit. Gut 1000 Mitarbeiter hat der Tagebau Jänschwalde heute, er gehört dem schwedischen Vattenfall-Konzern.

Rund 650 Bergarbeiter holen jedes Jahr knapp zwölf Millionen Tonnen aus der Erde. Immer weiter fressen sich riesige Schaufelradbagger in die Erde, um den fossilen Energieträger aus der brandenburgischen Erde zu graben. Sie baggern dazu bis zu 80 Meter tief und beliefern damit das Kraftwerk Jänschwalde, das daraus Strom und Wärme macht. Eine Förderbrücke, mehr als einen halben Kilometer lang, transportiert den Abraum mitten über die Grube auf die Halde. Nur ein Teil der Landfläche, die dem Tagebau weichen muss, wird wieder zurückgewonnen. Andere Flächen werden zu Seen. Man lässt die Riesenlöcher einfach mit Wasser volllaufen.

ERST WAR SOZIALISMUS, DANN KAM VATTENFALL_ Schon zu DDR-Zeiten wurde hier Braunkohle gefördert, unter wesentlich schlechteren Bedingungen, aber mit mehr Prestige. Weil die DDR nach dem Krieg von den Steinkohlevorräten abgeschnitten war, wurden die Kumpel zu Helden des sozialistischen Staates. Das schwarze Gold aus den Resten urzeitlicher Pflanzen, das sie aus der Erde holten, bildet in Jänschwalde eine acht bis zwölf Meter dicke Schicht. Als Energiequelle war es überlebenswichtig, gebaggert wurde ohne Rücksicht auf die Folgen für die Landschaft oder die menschlichen Siedlungen, die im Weg standen. 75 000 Kumpel arbeiteten damals im Lausitzer Revier. Nach der Wende änderte sich alles. Mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie, die international nicht wettbewerbsfähig war, fehlten auch die Hauptabnehmer der Kohle. Gleichzeitig drängten die westdeutschen Energieunternehmen als Konkurrenten auf den Markt. Aus dem VEB Braunkohlekombinat Senftenberg, das im Lausitzer Revier die Kohle gefördert hatte, und dem Gaskombinat, in dem die Kohle verwertet wurde, wurde 1990 die Lausitzer Braunkohle AG (LAUBAG). Auch die ostdeutschen Kraftwerke gingen als Verbundunternehmen Vereinigte Energiewerke AG (VEAG) erst einmal an die Treuhand. Vier Jahre später verkaufte die Treuhand beide Unternehmen an ein Konsortium aus verschiedenen westdeutschen Energieunternehmen. Die Kohle wurde wieder interessant für Investoren. Im Jahr 2002 gingen beide Unternehmen an Vattenfall - und erhielten ihre neuen Namen. Heute haben die beiden Vattenfall-Töchter "Mining" und "Generation", die Bergbau- und die Kraftwerksgesellschaft, zusammen rund 8500 Mitarbeiter. Aus den Tagebauen Cottbus-Nord, Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde werden jährlich bis zu 60 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert.

Genauso kompliziert wie die Entwicklung des Unternehmens im Rückblick klingt, war es für die Mitarbeiter, den Überblick zu behalten. Jeder neue Wechsel der Verantwortlichkeiten brachte den Beschäftigten neue Sorgen um ihre Arbeitsplätze. "Das war keine einfache Zeit", erinnert sich Astrid Hobracht. "Ich war zur Wende gerade aus dem Babyjahr zurückgekommen. Niemand wusste, wo die Reise hingehen würde." Mit der Wende kamen neue Strukturen, neue Standards, neue Gesetze. Dazu gehörten auch echte Mitbestimmungsrechte. Das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951, das sich seither auch auf die östlichen Bundesländer erstreckt, bietet den Arbeitnehmern des Lausitzer Reviers erweiterte Möglichkeiten der Einflussnahme - vor allem durch die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte und die konsensuale Bestellung eines Arbeitsdirektors. Bei der Vattenfall Europe Mining AG heißt dieser Mann Michael von Bronk.

GEMEINSAM GEGEN DIE SCHWEDEN_ Rund 15 Kilometer und 20 Minuten Fahrtzeit trennen von Bronk in seinem Büro im Vattenfall-Sitz in Cottbus vom Tagebau Jänschwalde. Aus der räumlichen Distanz zu schließen, dieser Herr wisse wenig von den Arbeitsbedingungen der Bergleute, wäre grundverkehrt: Der 54-Jährige hat Bergbau studiert. Seine Karriere begann er als Fahrsteiger unter Tage im Steinkohlenbergwerk Ewald in Herten, das berüchtigte "Arschleder", das die Hosen der Bergmänner vor Nässe und Beschädigung schützen sollte, ist ihm gut vertraut, auch wenn er längst die Bergmannskluft gegen Anzug und Krawatte getauscht hat. Bergbau, das bedeutet für von Bronk "Stolz, Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität - aber auch die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft". Unternehmen und Gewerkschaft arbeiten Hand in Hand, um für den Fortbestand des heimischen Bergbaus zu kämpfen. Die Montanmitbestimmung mit ihrer "außerordentlich starken Konsensorientierung" nennt von Bronk ein "wichtiges Instrument". Es garantiere, "dass Entscheidungen gemeinsam getragen" würden. So werden, wenn es darum geht, Wissen von den erfahrenen Generationen an den Nachwuchs weiterzugeben, die Betriebsräte mit einbezogen. Für den Arbeitsdirektor ist das nicht einfach nur eine personalpolitische Wohltat: "Wer mitentscheidet, der trägt auch die Verantwortung für die anschließende Umsetzung mit."

Niemand kann bei unliebsamen Problemen plötzlich zurücksteuern und die andere Seite allein verantwortlich machen. "Hier müssen dann alle bereit sein, die Ärmel für eine Alternativlösung hochzukrempeln." Ähnlich sieht es von Bronks Vorgänger, Hermann Borghorst, der bis 2009 Personalvorstand war: "Natürlich gibt es auch in unserer Branche harte Auseinandersetzungen, und bei Tarifrunden gehörten auch bei uns Warnstreiks zu den notwendigen Verhandlungsritualen. Aber im Aufsichtsrat sind wir grundsätzlich zu einem vernünftigen Miteinander gezwungen." Die Montanmitbestimmung, sagt er, habe eine Wirkung, die sich oft schon im Vorfeld der Sitzungen bemerkbar mache: "Viele Konflikte werden gar nicht in den Aufsichtsrat getragen, sondern zuvor geklärt - man braucht ja starke Mehrheiten, weil man nie weiß, wie der Neutrale sich am Ende entscheiden wird." Burkhard Dreher, Volkswirt und in den 1990er Jahren eine Zeit lang Wirtschaftsminister in Brandenburg, schwört dagegen, dass er von seiner Macht als Neutraler bei Vattenfall noch nie Gebrauch machen musste: "Der Druck, zu einer Einigung zu kommen, wenn es etwa um Finanz- oder Investitionspläne, Geschäftsfeldveränderungen oder strategische Fragen wie die Vorstandsbesetzung geht, ist höher als in anderen Aufsichtsräten." Wenn es unter der Belegschaft bei bestimmten Entscheidungen überhaupt ein Feindbild gebe, dann sei das nicht der hiesige Vorstand, sagt Steffen Erbe, der Betriebsratsvorsitzende im Tagebau Jänschwalde, sondern "eher der Mutterkonzern in Schweden". Vor dort kommen ab und zu schon mal Vorgaben, über die die Lausitzer nur den Kopf schütteln. Für viel Zündstoff sorgt das Sparprogramm "Move", mit dem der Konzern 2010 auf Gewinneinbrüche reagierte. In der Unternehmenszeitung mit Namen "TeraVatt" war schon vom "politbüroartigen Absolutheitsanspruch" der schwedischen Konzernzentrale die Rede.

Auch Ulrich Freese, der stellvertretende Vorsitzende der IG BCE, der von 1990 bis 1997 den Bezirk Lausitz der IG Bergbau geleitet hat, spricht von "kulturellen Unterschieden", die es den Schweden schwer machten, zu verstehen, wie groß der Einfluss der deutschen Arbeitnehmer sei. Er muss es wissen, denn er sitzt im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe AG ebenso wie im Aufsichtsrat der Töchter "Mining" und "Generation".

DIE IG BCE HAT DAS VERTRAUEN DER LEUTE_ Auf den Organisationsgrad, den seine Gewerkschaft in der Traditionsbranche Bergbau erreicht, kann er stolz sein. Hier sind gut 80 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Nach 1989 wurden auch in der Lausitz mit den Parteibüchern viele Ost-Gewerkschaftsbücher auf die Tische geworfen. Doch die IG BCE hat das Vertrauen der Leute gewonnen. Freese glaubt, dass das an dem offenen Umgang lag, den er und seine Mitstreiter mit den Kollegen im Osten pflegten: "Wir haben gar nicht erst so getan, als würde alles bleiben können, wie es war. Rheinbraun hatte im Westen mit 15 000 Beschäftigten 100 Millionen Tonnen Kohle gefördert - in Mitteldeutschland und der Lausitz wurden mit 160 000 Beschäftigten rund 300 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Allen war klar, dass viele Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren würden."

"Beim Ost-Gewerkschaftsbund FDGB", erinnert sich Rüdiger Siebers, heute Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Vattenfall Europe Mining AG und damals Mitarbeiter in der Entwässerung, "ging es eher um die Vergabe von Ferienplätzen. Die Zielvorgaben kamen von Partei und Regierung, Verhandlungen um Tarifverträge oder Arbeitszeiten gab es nicht." Doch die Leute merkten, dass die neuen Verhältnisse nicht nur ökonomische Anpassungsprobleme und einen beschleunigten Strukturwandel mit sich brachten, sondern auch echte Möglichkeiten, sich einzubringen. In den Wendejahren zeigte sich schnell, dass Betriebsräte und Gewerkschaften wichtige Spieler im Kampf um den Erhalt des Unternehmens wurden. Da übernahm auch Siebers Verantwortung.

JOBS SIND IN DER LAUSITZ EIN WERTVOLLES GUT_ Auch heute wird der Schulterschluss geübt - nicht zuletzt, weil die Braunkohle ein Imageproblem hat: Sie gilt wegen der hohen Emissionen, die bei ihrer Verbrennung frei werden, als Klimakiller. Davon unbeeindruckt, plant Vattenfall mehrere neue Tagebaue - und eine Versuchsanlage zur CO2-Abscheidung. In dieser Frage ziehen Vorstand und Arbeitnehmervertreter an einem Strang. Betriebsrat Erbe sagt: "In einer strukturschwachen Region wie der Lausitz sieht man natürlich zu, dass das Unternehmen erhalten bleibt. Die Konkurrenz ist groß." Wenn es darum geht, die Ausnahmeregelungen, die das Wassergesetz den Braunkohleunternehmen einräumt, zu erhalten, sind die guten Drähte zwischen der Gewerkschaft und der rot-roten Landesregierung von Vorteil. Davon, dass die Tagebaue trotz einer Gesetzesnovelle nur reduzierte Wassernutzungsentgelte zahlen und ihre Emissions-Zertifikate zum Teil noch kostenlos erhalten, profitieren Arbeitnehmer und -geber gleichermaßen. Umweltschutzverbände und die Brandenburger Grünen sprechen angesichts solcher Reegln von indirekten Subventionen.

Dass es schwieriger wird, in Zukunft ausschließlich auf die Braunkohle zu setzen, dafür stehen die riesigen Windräder des Windparks, an dem jeder vorbeifährt, der sich vom Vattenfall-Firmensitz in Richtung Tagebau Cottbus-Nord auf den Weg macht. Beim Bau des Parks im Jahr 2005 hoffte die Betreiberfirma Ostwind, die Windkraft könne irgendwann ein neues Wahrzeichen für die Lausitzer Bergbaufolgenlandschaft sein.

Bei Astrid Hobracht, der Tagebaumitarbeiterin, und Michael von Bronk, dem Personalvorstand, schwingt Stolz, aber auch eine Portion Trotz mit, wenn sie darüber sprechen, dass die regenerativen Energien bislang noch nicht annähernd ausreichen, um das Land mit Strom zu versorgen. Der Glaube an die heimische Kohle, die sie hier aus der Erde holen, verbindet sie über alle Hierarchien hinweg.

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