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Industrie 4.0 aus Aachen: Hier wird der Elektrokleinst- wagen e.GO Life produziert. Magazin Mitbestimmung

Autoindustrie: Ausgebremst

Ausgabe 03/2020

Der Aachener Elektroautohersteller e.GO sah sich schon kurz vor dem Durchbruch. Dann kam die Corona-Krise. Von Andreas Molitor

„Manchmal lernt man in wenigen Wochen Dinge, für die man sonst Jahrzehnte braucht.“ Der Tonfall, in dem Marc Treude diesen Satz in den Telefonhörer spricht, lässt erahnen, dass er auf diese Lernerfahrung gern verzichtet hätte. Der Betriebsratsvorsitzende des in Aachen beheimateten Elektroautoherstellers e.GO Mobile AG wurde Zeuge, wie die von der Corona-Epidemie ausgelösten Verheerungen das Unternehmen an den Rand des Ruins spülten. 457 Beschäftigte des 2015 von dem Aachener Maschinenbauprofessor Günther Schuh gegründeten Start-ups stehen vor einer völlig ungewissen Zukunft.

Am 23. März schlug Corona bei e.GO ein. Neun Wochen stand die Produktion still. Die Arbeitnehmervertretung schaltete von Gesprächen über Arbeitszeiten und Gehältergerechtigkeit auf Krise um und handelte eine Kurzarbeiterregelung aus – mit einer Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf bis zu 95 Prozent des Nettogehalts für die unteren Einkommensgruppen. Dann kam es knüppeldick: Weil der Umsatz wegen des Verkaufsverbots auf null einbrach und weil die Aktionäre den Geldhahn zudrehten, ging dem Unternehmen das Geld aus. Anfang April meldete der Firmenchef Insolvenz an. 

Schuh, 61, Professor am Lehrstuhl für Produktionssystematik der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen (RWTH), hat dennoch nicht aufgegeben. Er darf weiterhin Regie führen, mit einem vom Gericht bestellten Generalbevollmächtigten an der Seite, mit dem er wichtige Entscheidungen und vor allem zusätzliche Ausgaben abstimmt. Bis zum 2. Juli muss Schuh neue Geldgeber finden.

Schuh schwebte von Anfang an ein ganz anderes Auto vor als das Gros der Elektrokarossen der etablierten Hersteller. Kein schwerer Langstrecken-Bolide, sondern ein wendiger Stadtfloh, ideal als Zweitwagen, für Pflege- oder Lieferdienste. Ein Volksstromer, zu Preisen, die mit dem gerade erst um 3000 Euro erhöhten Umweltbonus bei unter 14.000 Euro beginnen dürften. 
Günther Schuh, rastloser Forscher und Entrepreneur, ist das Gesicht des Unternehmens. Am liebsten wäre ihm gewesen, einer der großen Hersteller hätte ihm seine Idee abgekauft. Es kam aber keiner, nicht nach dem ersten Prototyp und auch nicht nach dem zwölften. So wurde der Professor zum Autofabrikanten: Er wollte, er musste zeigen, dass das geht – Elektromobilität für vergleichsweise kleines Geld, entwickelt und gebaut in Deutschland.

Schon zu Beginn sagte Schuh: „Eigentlich brauchen wir jetzt noch ’nen Betriebsrat.“ Nachdem sich auch aus der Belegschaft entsprechende Stimmen gemehrt hatten, kam es im vorigen Jahr zum Urnengang. Die meisten der elf Gewählten sind Mitglied der IG Metall. „Bei den Führungskräften wurde die Gründung des Betriebsrats fast durchweg positiv aufgenommen“, sagt Marc Treude. Die Kommunikation des Managements an die Belegschaft habe sich seit der Gründung des Betriebsrats eindeutig verbessert. „Manchmal ist es ein zähes Ringen, aber insgesamt fühlen wir uns als Betriebsrat immer auf Augenhöhe.“

Den schweren Rückschlägen, die das Start-up von Anfang an hatte hinnehmen müssen, standen Management und Betriebsrat machtlos gegenüber. So hatte Schuh im Rahmen einer Kooperation mit Opel vereinbart, dass er rund 200 wichtige Komponenten des Rüsselsheimer Herstellers in seinem Elektroauto verbauen durfte. Als Opel im August 2017 an den französischen PSA-Konzern verkauft wurde, war der Deal hinfällig – und Schuh stand ohne Teile da. Allein dadurch verzögerte sich der Produktionsstart um fast ein Jahr. Erst im vorigen Herbst wurden die ersten e.GO Life ausgeliefert.

Der Absatz des Stadtflitzers kam nur schleppend in Gang; bis Anfang April wurden gerade mal knapp 900 Autos verkauft. Das vergangene Jahr, so Schuh, „war ein furchtbares Jahr“. Bei einem Umsatz von rund 20 Millionen Euro verzeichnete e.GO einen Verlust von rund 50 Millionen Euro. Nach einer geplatzten Finanzierungsrunde stand das Unternehmen bereits Ende 2019 auf der Kippe. Doch noch glaubten die Investoren an Schuh; sie legten Geld nach und verhinderten vorerst die Zahlungsunfähigkeit.

Unmittelbar vor dem Corona-Lockdown glaubte Schuh sich kurz vor dem Durchbruch. Endlich war die Produktion in Gang gekommen. Bis zu einem positiven operativen Ergebnis seien es nur noch wenige Monate gewesen. „Wir waren eingangs der Zielgeraden“, sagt der Firmenchef. Doch dann kam von hinten der Tritt in die Wade.

Der Produktions- und Verkaufsstillstand bedrohte die Existenz des Unternehmens sofort. „Ich hab’ hier eine Menge Autos stehen, die zwar verkauft, aber zum größten Teil noch nicht bezahlt sind und die ich jetzt nicht ausliefern kann“, sagte Schuh zwei Tage vor dem Gang zum Amtsgericht. Die Shareholder wollten in dieser Situation, die schon den Geruch von Pleite verströmte, nicht noch einmal in die Bresche springen und verweigerten die bereits versprochene Auszahlung der dringend benötigten letzten Tranche eines Überbrückungsdarlehens. Schuh blieb nur der Weg zum Amtsgericht.

Noch ist es zu früh für den Abgesang. Schuh sieht durchaus Chancen, bis zum 2. Juli Geldgeber zu finden, die das in Schieflage geratene Start-up aus der vorläufigen Insolvenz in Eigenverwaltung (so der korrekte Terminus) herauskaufen. Allerdings müsste sich der Kapitalmarkt dazu wieder halbwegs normalisieren. Derzeit befinden sich Wagniskapitalgeber und Beteiligungsgesellschaften Corona-bedingt in Schockstarre. „Kaum einer gibt Geld für eine Überbrückung oder eine Sanierung“, beschreibt der Unternehmenschef die Situation. Die Zeit wird knapp. Seit dem 27. April läuft immerhin der Verkauf wieder; so kommt etwas Geld in die Kasse.

Günther Schuh hat „mehrere zehn Millionen Euro“ aus seinem privaten Vermögen in die Firma investiert. Er ist selbst einer der größten Aktionäre. „Fast alles, was ich in meinem Leben erarbeitet habe, steckt in diesem Unternehmen. Das ist jetzt weg.“ Aber sein Bedauern, sagt er, „hat nichts damit zu tun, dass ich mein Geld verloren habe, sondern damit, dass ich und dieses sensationelle Team, das auch jetzt unglaublich zusammenhält, mit unserer Mission noch nicht fertig sind.“

Der eine oder andere stehe jetzt an der Seite und reibe sich voller Häme die Hände. Schuh hat die Provokation nie gescheut, mancher Branchengröße trat er lustvoll auf die Füße. „Da gibt es jetzt sicher welche, die sich freuen, dass dieser selbstgefällige Professor aus Aachen es nicht hingekriegt hat.“

An der Zukunft seines Autos hat Schuh keinen Zweifel – selbst wenn er dann nicht mehr an Bord sein sollte. Dass ein Käufer „das Unternehmen auseinanderreißt, die Fabrik dichtmacht und nur die Produktionsanlagen verhökert“, hält er für ausgeschlossen. Sämtliche Entwicklungsleistungen am e.GO Life, „der eigentliche Wert des Unternehmens“, wären dann vernichtet. Letztlich sei ein Investment in sein Unternehmen doch geradezu ein „lucky punch“ , egal ob in den nächsten Wochen oder später aus der Insolvenzmasse. „Noch günstiger, noch sicherer, noch cooler kann man eigentlich nicht in neue Mobilität investieren.“

Da wiederum liegt Günther Schuh ganz auf einer Linie mit Marc Treude. Auch der Betriebsratsvorsitzende ist überzeugt, dass e.GO doch noch die Kurve kriegt. „Ich glaube an das Auto, an das Unternehmen und an seine Belegschaft“, sagt er. „Und ich möchte mir überhaupt nicht vorstellen, dass wir auf dem Weg zum Ziel zu Fall kommen und nicht mehr aufstehen.“

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