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Billy Bragg Magazin Mitbestimmung

Politisches Lied: Altes Lied, neuer Text

Ausgabe 04/2022

Anfang der 90er Jahre schreibt Billy Bragg ein Lied gegen Homophobie. Kürzlich hat er es umgetextet und viel Kritik geerntet. Von Martin Kaluza

Billy Bragg: Sexuality (1991/2021)

I‘ve had relations with girls from many nations
I‘ve made passes at women of all classes
And just because you‘re gay I won‘t turn you away
If you stick around I‘m sure that we can find some common ground
Sexuality − Strong and warm and wild and free
Sexuality – Your laws do not apply to me

Mitte der 1980er Jahre, auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie, herrscht in der britischen Öffentlichkeit eine homophobe Stimmung. Die konservative Regierung tut wenig, die Lage zu entschärfen, im Gegenteil: Im Jahr 1988 tritt das Gesetz „Section 28“ in Kraft, das öffentlichen Einrichtungen die „Förderung der Homosexualität“ verbietet. An Schulen und in Behörden darf nur negativ über sie berichtet werden.

Im Jahr 1991 nimmt sich der Sänger Billy­ Bragg des Themas an. Er war durch seine vom Punkrock inspirierten Auftritte bekannt geworden, hatte die Bergarbeiterstreiks der 80er Jahre mit E-Gitarre und viel Zorn in der Stimme unterstützt. Jetzt möchte er poppiger klingen, zugänglicher. Bragg findet, dass Sexualität einen fröhlichen, lustvollen Song verdient hat. Zusammen mit Johnny Marr, dem Gitarristen der legendären Indieband „The Smiths“, schreibt er „Sexuality“. Bragg singt, er habe mit Mädchen aus vielen Ländern Beziehungen gehabt und mit Frauen aller sozialen Klassen geflirtet. 

Beschwingt fährt er fort: „And just because you’re gay I won’t turn you away / If you stick around, maybe we can find some common ground“. Der Ton ist in der aufgeheizten Situation bewusst freundlich-leger: „Nur weil du schwul bist, werde ich dich nicht wegschicken. Wenn wir etwas Zeit miteinander verbringen, finden wir bestimmt eine Menge Gemeinsamkeiten.“

30 Jahre später ändert Billy Bragg genau diese Zeilen. Bei seinen Auftritten singt er im November 2021: „And just because you’re ‚they‘ I won’t turn you away, if you stick around I’m sure that we can find the right pronouns“. Frei übersetzt heißt das: „Nur weil du dich nicht auf ein Geschlecht festlegen lässt, werde ich dich nicht wegschicken. Wenn wir etwas Zeit miteinander verbringen, finden wir bestimmt die passenden Pronomen.“ In den Ansagen ruft er zur Unterstützung von Stonewall auf, einer der wichtigsten Initiativen, die sich für die Rechte von LGBTQ-Personen einsetzen.

In den sozialen Medien muss Bragg zum Teil Kritik einstecken. Steht er nicht mehr an der Seite der Schwulen? Auch wird er von einer feministischen Fraktion kritisiert, die sich von Transgender-Frauen bedroht fühlt und die ihnen zum Beispiel das Recht abspricht, Frauentoiletten zu nutzen. Der Musiker erklärt sich in einem Gastbeitrag in der linken Wochenzeitung „New Statesman“.  Dass er den Songtext geändert habe, sei „Ausdruck meiner Allyship mit der Trans- und nicht-binären Community“. Allyship – der in neueren Debatten geläufige Ausdruck überschneidet sich in vielen Aspekten mit dem, was alte Linke unter Solidarität verstehen.

In den letzten 30 Jahren, schreibt Bragg, habe es viele Fortschritte gegeben. Schwule und Lesben genießen die gleichen Rechte und den gleichen Schutz wie alle. Doch, sagt Bragg, er müsse sich für Transgender-Frauen einsetzen, deren Legitimität mitunter infrage gestellt werde: „Ich lasse die Gay-Community nicht verschwinden, wenn ich den Text von ‚Sexuality‘ ändere, sondern ich aktualisiere ihn angesichts der veränderten Zeiten, in denen wir leben. Ich hoffe, dass ich andere Angehörige meiner Generation ermutige, mit ihrem lieb gewonnenen Verständnis von Inklusion dasselbe zu tun.“

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