Deregulierung von Arbeitszeiten: Drei Viertel fürchten negative Folgen
Die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit würde noch mehr Beschäftigten sehr lange Arbeitstage bescheren – und viele Probleme in ihrem Alltag.
Knapp drei Viertel der Beschäftigten befürchten negative Folgen für Erholung und Gesundheit sowie für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie und die Organisation ihres Alltags, wenn generell Arbeitstage von mehr als zehn Stunden möglich werden. Dies wäre die Konsequenz der von der Bundesregierung favorisierten Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit. Frauen rechnen noch deutlich häufiger mit negativen Auswirkungen als Männer. Grund dafür dürfte sein, dass sie zusätzlich zum Erwerbsjob deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten. Das geht aus einer neuen Studie des WSI hervor. Sie basiert auf einer Online-Befragung von über 2000 Beschäftigten im Juli 2025.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass sehr lange und flexible Arbeitszeiten in Deutschland längst verbreitet sind. Immerhin 12 Prozent der Befragten arbeiten wenigstens an einzelnen Tagen in der Woche länger als zehn Stunden. Und knapp 38 Prozent nehmen zumindest ab und zu abends nach 19 Uhr ihre Erwerbsarbeit nochmal auf, nachdem sie sie tagsüber aus privaten Gründen unterbrochen haben, etwa wenn die Kinder aus der Schule kommen. „Eine Abschaffung der gesetzlichen täglichen Arbeitszeitgrenze ist weder erforderlich noch sinnvoll“, lautet das Fazit der Studienautorinnen Yvonne Lott und Eileen Peters.
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Die Bundesregierung und Arbeitgeberverbände wollen die Möglichkeiten für sehr lange Arbeitstage ausweiten, indem sie die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche regeln. Damit wären kurzfristig generell Arbeitstage von mehr als zehn Stunden, im Extremfall sogar von mehr als zwölf Stunden, möglich. Diese müssten über einen längeren Zeitraum ausgeglichen werden. Aktuell bildet der Achtstundentag den gesetzlichen Referenzrahmen. Allerdings kann die Arbeitszeit ohne Rechtfertigung auf bis zu zehn Stunden täglich ausgeweitet werden, sofern innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich erfolgt. Darüber hinaus lässt das Arbeitszeitgesetz zahlreiche Abweichungen und Ausnahmen zu, die auch in erheblichem Umfang genutzt werden. Diese müssen jedoch transparent geregelt sein, beispielsweise durch einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine behördliche Erlaubnis.
Von den Beschäftigten, die bislang noch nicht länger als zehn Stunden an einzelnen Tagen in der Woche arbeiten, sagen 72,5 Prozent, dass bereits einzelne derart lange Arbeitstage ihre Fähigkeit, nach Feierabend abzuschalten und sich zu erholen, verschlechtern würden. Nur 6 Prozent erwarten eine Verbesserung. Diese kritische Einschätzung deckt sich mit Erkenntnissen aus der Arbeitsmedizin. Demnach kommt es bei sehr langen täglichen Arbeitszeiten häufiger zu stressbedingten Erkrankungen und Arbeitsunfällen.
75 Prozent der Befragten rechnen damit, dass es bei Arbeitstagen von über zehn Stunden schwieriger wird, familiäre oder private Verpflichtungen zu erfüllen. 73,5 Prozent erwarten negative Auswirkungen auf gemeinsame familiäre oder private Aktivitäten. Der Anteil der Befragten, die hier Positives erwarten, liegt jeweils unter zehn Prozent.
Die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit könnte zudem Geschlechterungleichheiten verschärfen: Weibliche Beschäftigte befürchten häufiger Verschlechterungen als Männer. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte laut der Analyse der WSI-Expertinnen darin liegen, dass Frauen in Beziehungen neben ihrem Job deutlich mehr unbezahlte Arbeit im Haushalt, bei der Pflege von Angehörigen oder mit Kindern leisten als Männer. Diese Ungleichheit dürfte weiter wachsen, wenn der Partner künftig noch länger arbeitet. „Das ist nicht nur ein individuelles Problem der direkt Betroffenen, sondern macht es insbesondere Müttern noch schwerer, ihre Arbeitszeit auszuweiten“, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Damit könnte die Deregulierung der Höchstarbeitszeit ausgerechnet den Zuwachs bei der Erwerbstätigkeit von Frauen bremsen, der in den vergangenen Jahren wesentlich zu Rekordwerten bei Erwerbstätigkeit und Arbeitsvolumen beigetragen hat. Gleichzeitig könnte sie Probleme bei Gesundheit und Demografie verschärfen, höhere Krankenstände begünstigen und die Entscheidung für Kinder erschweren.“
Anstelle der Abschaffung der täglichen Arbeitszeitgrenze seien Reformen nötig, die der Work-Life-Balance und Partnerschaftlichkeit zugutekommen, so die Analyse der Wissenschaftlerinnen. Dazu zählen die Verlängerung der Partnermonate beim Elterngeld, bessere Rahmenbedingungen für pflegende Angehörige und eine Reform der Brückenteilzeit.
Yvonne Lott, Eileen Peters: Lange und fragmentierte Arbeitstage: Verbreitung, Gründe und Auswirkungen, WSI Policy Brief Nr. 92, September 2025