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 Neue digitale Ungleichheit Böckler Impuls

Plattformökonomie: Neue digitale Ungleichheit

Ausgabe 15/2025

Frauen sind in der Plattformökonomie in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Für mehr Geschlechtergerechtigkeit bedarf es gesetzlicher Leitplanken.

Kurierfahrten, Programmieraufträge, Reinigungsdienste: Zahlreiche Jobs werden mittlerweile über digitale Plattformen vergeben. Zu den Verheißungen dieser Technologie gehört die Aussicht auf emanzipatorischen Fortschritt: Insbesondere Frauen, so die These, eröffneten sich neue Möglichkeiten, auf flexible und unkomplizierte Weise Geld zu verdienen. Dass sich stattdessen neue Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aufgetan haben, zeigt ein gemeinsamer Bericht des feministischen Netzwerks Development Alternatives with Women for a New Era (DAWN), der Friedrich-Ebert-Stiftung und der indischen Organisation IT for Change, der auf der LABOR.A vorgestellt wird. Er basiert auf den Ergebnissen mehrerer Konferenzen in Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika, an denen im Februar 2025 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis, Gewerkschaften und dem Arbeitsrecht teilgenommen haben.

Wenn die Plattformökonomie in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, geht es typischerweise um Fahr- oder Kurierdienste wie Uber oder Lieferando. Der Frauenanteil in diesen Bereichen liege allerdings unter zehn Prozent, heißt es in dem Bericht. Viel größer sei er etwa in der Pflege oder bei haushaltsnahen Dienstleistungen. Dort habe die neue Technologie nicht wie erhofft zu einer Professionalisierung beigetragen, sondern das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten verschlimmert: Wer einzeln um Aufträge kämpft, lasse sich nur schwer gewerkschaftlich organisieren. Zudem seien Online-Bewertungen durch die Kundschaft geeignet, die Beschäftigten permanent unter Druck zu setzen.

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Das algorithmische Management bestrafe in der Regel diejenigen, die nicht jederzeit abrufbar sind. Wer einmal absagen muss, bekomme zum Beispiel weniger lukrative Schichten zugewiesen. Das benachteilige in besonderem Maße Frauen, die Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen müssen. Einen Diskriminierungsschutz, wie er für Normalarbeitsverhältnisse vielerorts gesetzlich vorgeschrieben ist, gebe es nicht: Niemand könne die Kundschaft daran hindern, über die Online-Profile der Plattform-Beschäftigten Merkmale wie das Geschlecht oder den ethnischen Hintergrund in Erfahrung zu bringen und zur Grundlage willkürlicher Entscheidungen zu machen.

Soziale Errungenschaften wie der Anspruch auf Mutterschutz oder Krankengeld seien in der Plattformökonomie ausgehebelt, erklären die Expertinnen und Experten. Wenn das Kind einer Kurierfahrerin krank wird, verliere sie ihr Einkommen. Ähnlich gravierend seien die Defizite beim Arbeits- und Gesundheitsschutz: Für Fahrerinnen etwa gebe es oft keine geeigneten Sanitäreinrichtungen in großen Städten und allenfalls einen Panikknopf im Auto, wenn es zu brenzligen Situationen kommt. In Privathaushalten erhöhe die Arbeit bei ständig wechselnden Kunden die Gefahr von Übergriffen.

Als ein zentrales Problem wurde auf den Konferenzen der arbeitsrechtliche Status von Plattform-Beschäftigten ausgemacht: Wer formal als selbstständig gilt, dem blieben die meisten Arbeitnehmerrechte verwehrt. In manchen Ländern sei es zwar grundsätzlich möglich, diese Einordnung vor Gericht anzufechten, aber gerade vielen Frauen fehlten dafür Zeit und Geld. Die Empfehlung: Bestimmte Schutzrechte sollten unabhängig vom Beschäftigungsstatus gelten, Plattformen auf die Einhaltung zentraler ILO-Konventionen gesetzlich verpflichtet werden.

Darüber hinaus müsse ein wirksamer Diskriminierungsschutz schon beim Design von Algorithmen ansetzen. So sollte es Plattform-Beschäftigten beispielsweise möglich sein, Kunden zu bewerten und bei Fehlverhalten Kolleginnen zu warnen. Kurierinnen sollten automatisch über sichere Routen und die Verfügbarkeit von Sanitäreinrichtungen informiert werden, Auszeiten von Frauen wegen familiärer Verpflichtungen grundsätzlich nicht in die Bewertung eingehen.

Um gesetzliche Vorgaben überhaupt durchsetzen zu können, könnten Regierungen die Plattformen dazu verpflichten, Angaben zu ihren Beschäftigten zu machen. Nötig seien ein strenger Datenschutz, der das Sammeln von intimen Informationen per digitaler Überwachung unterbindet, sowie ein Recht auf Schutz vor algorithmischer Diskriminierung an jedem Arbeitsplatz. Darüber hinaus empfehle es sich, die Marktmacht der profitorientierten Digitalkonzerne zu begrenzen und als Alternative genossenschaftliche Plattformmodelle zu fördern.

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