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HBS Böckler Impuls

Altersvorsorge: Private Rente: Lebensfremde Annahmen

Ausgabe 08/2012

Private Altersvorsorge verlangt eine möglichst präzise Finanzplanung für das ganze Leben. Tatsächlich sparen Haushalte jedoch keineswegs so, wie es ökonomische Modelle unterstellen. Zunehmende Altersarmut kann die Folge sein – trotz Riester-Förderung.

In der gesetzlichen Rentenversicherung gelten für alle die gleichen Regeln: Die Höhe der Beiträge, der Zeitpunkt der Beitragszahlung und der spätere Rentenanspruch sind vom einzelnen Arbeitnehmer praktisch nicht zu beeinflussen – außer durch Jobwechsel oder ähnliche Entscheidungen, die das Einkommen verändern. Anders bei der privaten Rente: Hier kann jeder selbst bestimmen, wann er wie viel spart. Ökonomen unterstellen meist, dass sich Einzelpersonen oder Haushaltsgemeinschaften eine Finanzstrategie zurechtlegen, die bis zum Lebensende reicht. Ob diese Annahme realistisch ist, hat Felix Wilke von der Universität Kassel anhand des Sparverhaltens von gut 1.500 repräsentativ ausgewählten Arbeitnehmerhaushalten in Deutschland untersucht.* Er kommt zu dem Schluss, dass „die Lebenszyklusthese“, die von sehr rational planenden Individuen ausgeht, „als allgemeines Erklärungsmodell wenig brauchbar“ ist. Die Konsequenz: Finanziell dürfte es im Alter für viele eng werden.

Die Lebenszyklushypothese, in den 1950er-Jahren vom späteren Wirtschafts-Nobelpreisträger Franco Modigliani entwickelt, besagt: Menschen versuchen, ihren Lebensstandard stets auf einem bestimmten Level zu halten. Das gelingt ihnen, indem sie während des Berufslebens fürs Alter sparen und mit zunehmendem Einkommen immer größere Teile des Verdienstes zurücklegen. Vom Ende des Arbeitslebens bis zum Tod bauen sie das angesparte Vermögen wieder ab, sodass ihnen während des ganzen Lebenszyklus ein gleich bleibendes „Permanenteinkommen“ zur Verfügung steht. Diese abstrakte Theorie habe sich „in der politischen Praxis zu einem wirkmächtigen Konstrukt entwickelt“, schreibt Wilke. Auch wenn sie selten ausdrücklich erwähnt werde, zähle die Lebenszyklushypothese zu den gedanklichen Grundlagen der Riester-Reform. Nun müsse jeder selbst für „die Glättung des Lebenskonsums, die zuvor weitestgehend durch die staatliche Rentenversicherung automatisch erfolgte“, sorgen – über rationale Planung und unterstützt durch steuerliche Förderung. Wilkes empirische Untersuchung nährt allerdings Zweifel, dass das funktioniert.

Das wirkliche Sparverhalten entspricht den Vorstellungen vom nüchtern kalkulierenden Individuum kaum. So konnte nur die Hälfte der Befragten eine Schätzung darüber abgeben, wie hoch ihre gesetzliche Rente ausfallen könnte. Der Wissenschaftler betont, dass nicht untersucht wurde, ob die Probanden plausible Zahlen nennen, sondern nur gefragt wurde, ob sie sich überhaupt eine Schätzung zutrauen. Auf die Frage, ob sie eine Vorstellung davon hätten, wie hoch gesetzliche Rente und Auszahlungen der Privatversicherungen zusammen sein werden, antwortete nur noch ein Drittel der Befragten mit ja.

Statistisch nachweisbar ist, dass Personen mit hohem Einkommen auch dann viel sparen, wenn sie dauerhaft ein hohes Einkommen haben. Faktoren, die nach der Lebenszyklusthese eigentlich das Sparverhalten beeinflussen müssten, haben hingegen keine signifikanten Effekte. Das gilt etwa für die vermutete eigene Lebenserwartung oder für die erwartete gesetzliche Rente – wer mit einem langen Leben rechnet oder sich besonders wenig von der staatlichen Rente verspricht, sorgt nicht mehr privat vor als andere. Auch zwischen Vermögen und Sparverhalten besteht nicht der im Modell unterstellte Zusammenhang: Wer im Vorjahr Vermögenszuwächse erfahren hat – etwa durch Kursgewinne oder Erbschaften –, könnte beim Vorsorgesparen ja theoretisch einen Gang zurückschalten. Stattdessen wird in solchen Haushalten sogar häufiger und mehr gespart.

Wilke konstatiert, „dass jene Haushalte, die schon günstig mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind, häufiger und mehr für das Alter sparen.“ Wer eine Ergänzung zur gesetzlichen Rente besonders nötig hätte, kompensiert dies hingegen nicht durch Privatvorsorge. „Die sozialpolitisch motivierten finanziellen Anreize der Riester-Rente scheinen deshalb nur bedingt geeignet zu sein, bisher vorsorgeferne Bevölkerungsgruppen anzusprechen“, schreibt Wilke. Eine Zunahme sozialer Ungleichheit im Alter sei bereits jetzt absehbar. Um zu verhindern, dass eine beträchtliche Zahl von Haushalten in Zukunft in Altersarmut fällt, ist ein „möglichst frühes politisches Eingreifen notwendig“, so der Wissenschaftler.

  • Die ökonomischen Modellen unterstellte individuelle Finanzplanung über Jahrzehnte ist eine Illusion. Zur Grafik

Felix Wilke: Riester-Vorsorge zwischen Theorie und empirischer Evidenz: Wie hilfreich ist das Lebenszyklusmodell?, in: WSI-Mitteilungen 3/2012

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