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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Kollegiale Expertise

Ausgabe 14/2008

Seit einigen Jahren können Betriebsräte sich in ihrer Arbeit von sachkundigen Arbeitnehmern ­unterstützen lassen. Wer die neuen Möglichkeiten nutzt, ist damit recht zufrieden, ergibt eine Untersuchung.

Die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 hat Beschäftigten neue Formen der so genannten hybriden Beteiligung eröffnet. Ihr Kennzeichen ist die direkte Partizipation und Einbindung von Beschäftigten in betriebliche Gestaltungsprozesse, wobei Initiativrecht und Kontrolle über diese Beteiligungsform beim Betriebsrat liegen. Das Gesetz kennt zwei Arten: Der Betriebsrat kann betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben an Arbeitsgruppen übertragen. Oder er bittet einzelne sachkundige Arbeitnehmer um ihre Mitarbeit bei bestimmten Themen. Arbeitnehmervertreter können ihre Kollegen als Ratgeber einsetzen, wenn es beispielsweise um die Ausarbeitung von Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit oder von Gefährdungsbeurteilungen geht.

Die Daten der WSI-Betriebsrätebefragung 2007 werfen ein Schlaglicht darauf, wie die neuen Beteiligungsinstrumente in der Praxis funktionieren. Allerdings hat die Mehrheit der Belegschaftsvertreter noch nicht von ihnen gehört: Fast zwei Drittel der Befragten aus Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten gaben an, beide Regelungen nicht zu kennen. Von dem verbliebenen Drittel lassen sich 63 Prozent von sachkundigen Arbeitnehmern unterstützen, 39 Prozent von Arbeitsgruppen.

Kenntnis und Nutzung der hybriden Beteiligung variieren je nach Größe des Unternehmens: Vertreten Betriebsräte weniger als 200 Beschäftigte, sind ihnen die Vorschriften mehrheitlich nicht bekannt. Mit zunehmender Betriebsgröße steigen jedoch sowohl Kenntnis als auch Nutzung signifikant, schreiben die Mitbestimmungs-Experten der Universität Jena, die die WSI-Daten zu diesem Thema ausgewertet haben.

Auch ein höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad und - damit verbunden - die häufigere Nutzung von Schulungsangeboten der jeweiligen Branchengewerkschaft wirkten sich positiv aus. Betriebsräte, die sich der neuen Instrumente bedienen, setzen diese bei einer Vielzahl von Themen ein. Die häufigsten sind:

=> Arbeits- und Gesundheitsschutz
=> Arbeitszeit
=> Arbeitsorganisation
=> Aus- und Weiterbildung

Stehen betriebliche Reorganisationen an, werden die neuen Möglichkeiten der Beteiligung häufiger genutzt: In Restrukturierungsunternehmen greifen rund 74 Prozent der Betriebsräte auf sachkundige Arbeitnehmer und 50 Prozent auf Arbeitsgruppen zurück. Wo keine einschneidenden Veränderungen geplant sind, liegen die Anteile bei 56 beziehungsweise 35 Prozent. "Hybride Beteiligungsformen können demnach wirksamen Gegendruck zu Prozessen der Marktgrenzenverschiebung entfalten", folgern die Jenaer Experten.

Wo nötig, konnten Betriebsräte bereits vor der Gesetzesänderung externen - mitunter teuren - Sachverstand einkaufen. Das ist weiterhin möglich. Ein Anliegen der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes war aus Arbeitgebersicht, der Arbeitnehmervertretung eine interne Alternative zu eröffnen. Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte äußerten im Vorfeld jedoch Bedenken, die neuen Beteiligungsformen könnten zulasten der etablierten Interessenvertretungsstrukturen gehen, so die Autoren. Arbeitnehmervertreter, die ein solches Instrument inzwischen genutzt haben, waren damit jedoch relativ zufrieden: 62 Prozent äußerten sich positiv zum Einsatz von Arbeitsgruppen, 53 Prozent zur Rekrutierung sachkundiger Arbeitnehmer. "Dagegen beschränkt sich die explizit formulierte Unzufriedenheit auf sehr wenige Befragte", stellen die Forscher fest.

Zwar gaben nur 34 Prozent der Befragten an, zukünftig wieder Arbeitsgruppen einsetzen zu wollen. 70 Prozent wollen hingegen sachkundige Arbeitnehmer rekrutieren. Als Grund vermuten die Wissenschaftler die unterschiedliche rechtliche Absicherung der beiden Beteiligungsmöglichkeiten: Lediglich für die sachkundigen Arbeitnehmer ist während ihrer Tätigkeit für den Betriebsrat der Benachteiligungs- und besondere Kündigungsschutz eindeutig geregelt. Diesen Vorteil sieht auch der Betriebsratsvorsitzende eines Maschinenbauunternehmens im Experteninterview: "Bei den sachkundigen Beschäftigten ist viel klarer geregelt, welchen Zugriff das Management auf diese Leute hat, nämlich während der Zeit unseres Betriebsratsprojektes: gar keinen." Bei Arbeitsgruppen ist dies nicht eindeutig geregelt. Für ein vergleichbares Schutzniveau muss die Arbeitnehmervertretung eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber schließen.

  • Die Mehrheit der Belegschaftsvertreter hat von den neuen Beteiligungsinstrumenten noch nichts gehört. Wer sie nutzt, ist damit aber recht zufrieden. Zur Grafik

Karina Becker, Ulrich Brinkmann, Thomas Engel: Wer hat von der zurückhaltenden Lohnentwicklung profitiert?, in: WSI-Mitteilungen 6/2008.

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