Altersversorgung: Koalitionsvertrag mit Potenzial
Die Vereinbarung zwischen Union und SPD bietet die Chance für eine soziale Wende in der Rentenpolitik.
In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die neue Bundesregierung, die Alterssicherung für alle Generationen „auf verlässliche Füße“ zu stellen. WSI-Forscher Florian Blank und Ingo Schäfer vom DGB haben die entsprechenden Passagen unter die Lupe genommen. Ihrer Analyse zufolge haben die meisten Punkte auf der Agenda von Union und SPD gemeinsam, dass sie sich im Rahmen des gegenwärtigen Systems der Alterssicherung bewegen. Das gelte zum Beispiel für die Stabilisierung des Rentenniveaus oder die Anreize zur Weiterarbeit für ältere Beschäftigte. Die Ankündigung, in einer Kommission eine neue Kenngröße für das Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen zu prüfen, eröffne dagegen „Raum für grundsätzliche Fragen und weitreichende Diskussionen und Entscheidungen“. Darin liege die Chance, „das Alterssicherungssystem systematisch zu durchdenken und Vorschläge zu machen, die dem eigentlichen Ziel der Rentenpolitik gerecht werden: nämlich eine angemessene Absicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu ermöglichen und materiell abzusichern“.
Rente als soziale Frage
Die aktuelle rentenpolitische Debatte beschränke sich oft auf Fragen der Finanzierbarkeit, erklären Blank und Schäfer. Damit werde das Pferd von hinten aufgezäumt. Mit dem Fokus auf das „Gesamtversorgungsniveau“ eröffne sich die Möglichkeit, Rentenpolitik wieder als zentrale gesellschaftliche Frage zu verstehen. „Das heißt dann: Rentenpolitik wird nicht mehr mit dem starren Blick auf den Beitragssatz gemacht. Sondern Politik greift in die Einkommensverteilung ein, um soziale Ziele zu erreichen, konkret: Menschen nach ihrem Erwerbsleben einen Ruhestand ohne materielle Sorgen zu ermöglichen.“ Nur mit einem klar definierten Ziel lasse sich die Leistungsfähigkeit des Systems überprüfen und Handlungsbedarf identifizieren. Insofern berge der Hinweis auf eine neue Kenngröße „erhebliche Sprengkraft“ – im fortschrittlichen Sinne.
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Bereits heute werde im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung ein Gesamtversorgungsniveau ausgewiesen, schreiben die Sozialwissenschaftler. Diese Kennzahl sei aber in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen werde sie nur für den Augenblick des Renteneintritts berechnet. Das sei aber wenig aussagekräftig, wenn zum Beispiel das Niveau der gesetzlichen Rente weiter sinken sollte. Zum anderen würden bei den Berechnungen zur privaten Vorsorge diverse Annahmen etwa zum Sparbeitrag, der Verzinsung oder der Lebenserwartung getroffen, ohne sie mit der empirischen Evidenz abzugleichen. Die Kalkulationen beziehen sich zudem auf den sogenannten Standardrentner, also eine Person, die 45 Jahre lang zum Durchschnittsverdienst gearbeitet und Beiträge gezahlt hat. Zugleich sei aber bekannt, dass längst nicht alle Menschen privat vorsorgen. Ein weiteres Problem: Die Berechnungen zur privaten Vorsorge unterstellen, dass der gesamte Beitrag in die Altersrente fließt und nicht in zusätzliche Vorsorge für Erwerbsminderung oder den Tod, obwohl diese Leistungen ebenso von der Senkung des gesetzlichen Rentenniveaus betroffen sind. Das ausgewiesene Gesamtniveau sei damit überhöht.
Mit Blick auf die anstehende Diskussion einer neuen Kenngröße empfehlen Blank und Schäfer, dass ein echtes Sicherungsziel definiert wird. Anderenfalls verharre die Debatte auf der Ebene der reinen Berichterstattung. „Wenn weiter die Alterssicherung im Mehr-Säulen-Modell verfolgt wird, müssen die Beiträge der einzelnen Säulen zum Sicherungsziel definiert und fixiert werden – und zwar gestützt auf bisherige Erfahrungen.“
Ziele definieren und Daten sammeln
Dafür müssten die entsprechenden Daten gesammelt und veröffentlicht werden. Bei privater und betrieblicher Rente sollten die zugesagten Leistungen, ihre Dynamisierung und die tatsächlichen Kosten zur Sprache kommen. Wünschenswert wäre zudem, dass neben dem Standardrentner weitere Biografien sowie Leistungen bei Erwerbsminderung und an Hinterbliebene berücksichtigt werden.
Florian Blank, Ingo Schäfer: Rentenpolitik: Koalitionsvertrag wörtlich nehmen, Wirtschaftsdienst 6/2025