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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Männliche Reflexe

Ausgabe 06/2013

„Um einen Statusverlust der Arzt- und Richterprofessionen zu vermeiden, müssen für beide Geschlechter die Arbeitsbedingungen besser werden“, sagt Yvonne Lott zur Feminisierungsdebatte in Medizin und Justiz.

Ein Aufschrei geht zurzeit durch die Republik: Frauen dominieren demnächst die Medizin und die Justiz! Der Vorsitzende des Richterbundes Reiner Lindemann warnt vor zu vielen Frauen im Richteramt. Der Chef des Berliner Unfallkrankenhauses Axel Ekkernkamp befürchtet eine Abwertung des Arztberufs, wenn vor allem Frauen im Arztberuf arbeiten. Und die Politikwissenschaftlerin Birgit Haller malt gar das Szenario an die Wand, dass Gerichtsurteile durch die „Feminisierung“ und den damit verbundenen Statusverlust des Richterberufs eines Tages nicht mehr anerkannt werden könnten. Wäre es eine Lösung, Frauen aus diesen Berufen herauszuhalten? Sicher nicht. Anstatt über den steigenden Frauenanteil zu lamentieren, muss vielmehr diskutiert werden, welche Arbeitsbedingungen Beschäftigte in der Medizin und der Justiz heute brauchen – und zwar Frauen wie auch Männer.

Warum sollte die so genannte „Feminisierung“ von Berufen ein Problem sein? Zum einen wird ein zunehmender Personalmangel in den jetzt schon dünn besetzten Ministerien und Krankenhäusern befürchtet, da Frauen aufgrund der Familienphase oft für längere Zeit ausfallen. Zum anderen wird davor gewarnt, dass Männer in andere Tätigkeitsbereiche abwandern, die bessere Karrierechancen und vor allem bessere Gehälter versprechen, und der Beruf des Arztes oder Richters so an gesellschaftlichem Ansehen verliert.

Nicht zufällig steht hier der Begriff der „Feminisierung“ in Anführungszeichen. In der Medizin spricht man dann von „testikulärer Feminisierung“, wenn der Körper des Mannes weibliche Züge annimmt – aufgrund zu wenig männlicher Hormone. „Feminisierung“ hat damit einen negativen Beiklang und impliziert einen Krankheitswert, wie die Präsidentin des Deutschen Ärztebundes Regine Rapp-Engles ironisch anmerkt. Das, was mit Bezug auf die Natur als männlich definiert wird, verweiblicht und wird unnatürlich, zur Abweichung von der Norm. Mit der Begriffsverwendung geht eine soziale Abwertung dessen einher, was eigentlich männlich sein sollte und nun weiblich wird.

Wenn wir also von der „Feminisierung“ von Professionen sprechen, beziehen wir uns darauf, was eine Gesellschaft als Norm und als Abweichung von dieser Norm, erachtet. Das Bild des verweiblichten Körpers lässt sich auf die Profession übertragen. Die natürlicherweise männlichen Berufe des Richters und Arztes werden durch den wachsenden Frauenanteil verfremdet und verlieren an sozialem Status. Dieses Phänomen ist nicht neu. Professionen, die als männliche Berufe einst Ansehen genossen, verloren im Verlauf der Geschichte ihren Status, sobald sie von Frauen ausgeübt wurden.

Ein prominentes Beispiel ist der Beruf des Sekretärs. Dieser wurde vor dem 20. Jahrhundert in erster Linie von ehrgeizigen schreib- und lesekundigen Männern ausgeübt. Dies änderte sich mit der Einführung der Schreibmaschine zu Beginn des 20. Jahrhunderts. War die Profession für Männer interessant, solange ihre Ausübung seltener Fähigkeiten bedurfte und anspruchsvoll war, führten die Technisierung und Standardisierung des Berufs und der steigende Frauenanteil zur Abwanderung der Männer in andere Berufe. Die Profession erlitt damit einen immensen Statusverlust. Der anspruchsvolle Beruf des Sekretärs wurde im Laufe des Jahrhunderts zur einfachen Tätigkeit der Schreibkraft.

Ähnliches ist nun bei den Arzt- und Richterberufen zu beobachten. Es sollte uns zu denken geben, dass wir trotz einer stärkeren Sensibilisierung für die Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen Zeugen dieses sich wiederholenden Prozesses sind. Ein genauer Blick auf historische Beispiele kann helfen, aktuelle Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Schließlich wollen wir nicht, dass Richterinnen und Ärztinnen die Schreibkräfte von morgen sind.

Um das zu verhindern, bedarf es nicht allein einer Besinnung auf diskriminierende Prozesse. Die Profession des Sekretärs verlor auch deshalb an Status, da die Tätigkeit durch den technologischen Wandel verschlechtert wurde und damit an Attraktivität für diejenigen verlor, die eine Wahlmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt hatten und in andere Berufe wechseln konnten.

Um einen Statusverlust der Arzt- und Richterprofessionen zu vermeiden und es Männern wie Frauen zu ermöglichen, diese Berufe auszuüben, müssen ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dies bedeutet insbesondere eine bessere Bezahlung, eine geringere Arbeitsdichte und familienfreundliche Strukturen. Die Arbeitsbedingungen müssen also so gestaltet werden, dass Frauen und Männer mit und ohne Familie als Ärztinnen und Richterinnen gute Arbeit machen können.

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