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HBS Böckler Impuls

Konjunkturpolitik: Kein Aufschwung durch schwache Löhne

Ausgabe 07/2015

Die lange Zeit schwache Lohnentwicklung wird häufig als entscheidender Grund für den Aufschwung in Deutschland genannt. Tatsächlich ist der Boom vor allem der hohen Nachfrage aus dem Ausland zu verdanken. Auf die Dauer ist diese Entwicklung riskant.

Die Löhne in Deutschland sind seit den 2000er-Jahren real kaum gestiegen. Gleichzeitig erlebte das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine Reihe von Experten leitet daraus einen Zusammenhang ab: Die äußerst moderate Lohnentwicklung habe der deutschen Wirtschaft zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verholfen und damit das Wachstum erst ermöglicht. Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Annahme als unzutreffend, wie Thorsten Schulten vom WSI zeigt. Nach Ansicht des Ökonomen hat die deutsche Wirtschaft vor allem von der hohen Nachfrage aus dem Ausland profitiert.

Das deutsche Wirtschaftsmodell beruht schon seit Langem auf einem starken Exportsektor. Der Stellenwert der Ausfuhren ist in den vergangenen Jahren noch gestiegen: Mit etwa 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) habe die Exportquote in den Jahren 2012 und 2013 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht, schreibt Schulten. Zudem seien die Exporte seit den 2000er-Jahren deutlich schneller als die Importe gewachsen. Dies habe zu einem erheblichen Außenhandelsüberschuss von sechs Prozent des BIP geführt.

Als wesentlichen Grund für den rasanten Anstieg der Ausfuhren nennt Schulten das Wachstum in den wichtigsten Exportmärkten und den damit verbundenen Nachfrageschub. Ein etwaiger Vorteil auf der Kostenseite – angesichts jahrelang stagnierender Lohnstückkosten – habe dagegen nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Schließlich beruhe die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie weniger darauf, kostengünstig zu produzieren, sondern auf einem hohen technologischen Standard, einer hohen Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie verlässlichen Wirtschaftsbeziehungen.

Dass die Arbeitskosten nicht entscheidend waren, lasse sich auch an der Entwicklung der Exportpreise ablesen: In der ersten Hälfte der 2000er-Jahre hätten sich Lohnstückkosten und Exportpreise annähernd gleichförmig entwickelt. In der zweiten Hälfte sei es jedoch zu einem relativ deutlichen Anstieg der Exportpreise gekommen, obwohl sich die nominalen Lohnstückkosten leicht rückläufig entwickelt hätten. Daraus schließt Schulten, dass der Preisdruck auf die Unternehmen nicht sonderlich hoch gewesen sein konnte. „Für viele deutsche Firmen bestand offensichtlich keine Notwendigkeit, die gewonnenen Lohnkostenvorteile an die Exportpreise weiterzugeben und dadurch ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen“, schreibt der Ökonom. „Viele Unternehmen konnten im Gegenteil die moderate Lohnentwicklung direkt zur Realisierung von Extraprofiten verwenden.“

Zwar könne die Lohnentwicklung nicht als entscheidende Ursache für den Erfolg der deutschen Exportindustrie angesehen werden. Nichtsdestoweniger sei sie mitverantwortlich für die Schattenseite des deutschen Wirtschaftsmodells: eine unterentwickelte Binnenökonomie. Dass die Löhne nicht stärker stiegen, habe sich negativ auf den privaten Konsum und damit die Binnennachfrage ausgewirkt. Erst seit 2010 hätten höhere Lohnabschlüsse wieder zu einem merklichen Anstieg der privaten Konsumausgaben geführt.

„Auch wenn Deutschland offensichtlich von seiner starken Exportindustrie profitiert hat, so hat die schwache Entwicklung der Binnennachfrage dazu beigetragen, dass die Wachstumspotenziale der deutschen Wirtschaft insgesamt nicht ausgeschöpft wurden“, urteilt der Wissenschaftler. Ein einseitig auf Export zielendes Wirtschaftsmodell könne auf Dauer nicht funktionieren – weder für Deutschland noch für Europa. Es sei nicht nur in hohem Maße den Risiken der Weltkonjunktur ausgesetzt, sondern basiere auf hohen Leistungsbilanzüberschüssen, die voraussetzen, dass andere Länder weiterhin Defizite haben. Die Folge seien zunehmende ökonomische Ungleichgewichte innerhalb Europas.


The German Model – Seen by its Neighbours

Was macht den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands aus? Wie zukunftsfähig ist das deutsche Wirtschaftsmodell? Und lässt es sich auf andere Länder übertragen? Ökonomen aus zehn Ländern geben Antworten auf diese Fragen. Die Ergebnisse sind zusammengefasst in dem von Brigitte Unger, wissenschaftliche Direktorin des WSI, herausgegebenen Sammelband „The German Model – Seen by its neighbours“. Das E-Book ist ab sofort kostenlos online hier abrufbar (Englisch).

  • In den 2000er-Jahren sind die die Exportpreise stark gestiegen, die Lohnstückkosten sanken - das Ergebnis waren Extraprofite für die Unternehmen. Zur Grafik

Thorsten Schulten: Wages, competitiveness and Germany’s export-led development model, in: Brigitte Unger (Hrsg.): The German Model – seen by its neighbours, April 2015

Thorsten Schulten: Exportorientierung und ökonomische Ungleichgewichte in Europa – Welche Rolle spielt die deutsche Lohnentwicklung?, in: Sozialismus 4, 2015

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