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Magazin Mitbestimmung

Betriebsrats-Karrieren: „Mir konnte nichts Besseres passieren“

Ausgabe 03/2014

Marion Dietrich, 50, lernte Rechtsanwaltsgehilfin, bevor sie in einem Callcenter der Deutschen Bank anfing. Dort wurde sie 1997 Vorsitzende des Betriebsrats. Um die Herausforderungen zu meistern, entwickelte sie großen Bildungshunger. Heute ist sie selbstständig und gibt ihr Wissen an Betriebsräte weiter.

Ich erlebe dich als eine Frau, der Gerechtigkeit wichtig ist. Hättest du nicht Lust, im Betriebsrat mitzumachen?‘ Mit dieser Frage eines Betriebsrats der Deutschen Bank (DB) fing meine Karriere als Arbeitnehmervertreterin 1997 an. Im Jahr zuvor war ich als Quereinsteigerin in ein Inbound-Callcenter der DB in Düsseldorf gekommen. Bald gliederte die Bank es aus und machte es zur 100-prozentigen Tochter. Als ich zusagte, mich für den BR wählen zu lassen, waren wir grade mal 87 Beschäftigte. Doch kurz nachdem ich – gleich als Vorsitzende – die Arbeit begann, lagerte die Deutsche Bank noch mal 650 Mitarbeiter zu uns aus. Somit wurde ich Wochen später auch noch zur Gesamtbetriebsratsvorsitzenden und in den Aufsichtsrat gewählt. Vorkenntnisse hatte ich keine. Ich sah das als Herausforderung und saugte mit Begeisterung das nötige Wissen in Grundlagenseminaren und Schulungen auf. Im Nachhinein muss ich sagen: Es konnte mir nichts Besseres auch für meine persönliche Entwicklung passieren! 

Ich entdeckte meine Liebe zur Verhandlungsführung und Öffentlichkeitsarbeit. Weil ich sehr impulsiv bin, musste ich anfangs richtig Lehrgeld zahlen. Wenn wir in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber saßen, bin ich manchmal abgegangen wie Schmidts Katze. Aber damit kommt man nicht weit. Ich belegte Rhetorikseminare und lernte, dass man Emotionen bewusst einsetzen muss, um Erfolg zu haben. Ständig fühlte ich mich aufs Neue herausgefordert, noch mehr zu lernen. Das hat mich verändert. Ich schaute plötzlich in die ‚Financial Times‘ und nicht mehr in die ‚Bild‘, ich fand politische Sendungen interessant, statt Romanen las ich Sachbücher. 

Die Beschäftigten kamen mit allen Problemen gerne zu mir. Allerdings habe ich deren Nöte zu sehr an mich herangelassen und darunter gelitten. Wir wurden Stück für Stück an die Siemens SBS verkauft, ständig gab es Entlassungen. In der Spitze hatte das Unternehmen 1850 Beschäftigte, und am Schluss waren wir noch 130. 2004 stand ich kurz vor einem Burn-out. Erst nachdem mich ein Arzt praktisch gezwungen hat, in Kur zu gehen, konnte ich mehr Abstand halten. Mein Bildungshunger wurde aber nicht weniger, und ich ließ mich zur Veränderungsmanagerin für Betriebsräte ausbilden. 

Wir schafften es, einen Sozialplan über sieben Jahre zu verhandeln. Sofort danach wurde unsere GmbH aufgelöst. Ich hatte ­einige Jobangebote, aber es wäre mir nach der Freistellung schwergefallen, mich wieder irgendwo einzuordnen. In die Callcenterbranche wollte ich nicht zurück. Man wächst da einfach raus. Die Betriebsratsarbeit hat viel neues Potenzial in mir geweckt. Ich habe mich früher für völlig unkreativ gehalten. Heute liebe ich es, zu visualisieren, mit Flipcharts zu arbeiten, Konzepte zu entwickeln. Das kann ich in meinem neuen Job bestens brauchen: Nach einer Fortbildung zum Personal Coach und zur Kommunikationstrainerin habe ich mich als Trainerin für Betriebsräte selbstständig gemacht und vor drei Jahren eine Firma (md-mentoring) in Langenfeld, nahe Düsseldorf, gegründet. 

Ich gebe in ganz Deutschland Betriebsratsseminare, teilweise auch im Auftrag von ver.di Bildung und Beratung. Außerdem coache ich Betriebsräte einzeln oder in Gruppen, berate sie insbesondere zu Teambildung, Verhandlungsführung und Öffentlichkeitsarbeit. Ich organisiere auch Fachtagungen zur Gesundheitsprävention im Betrieb oder bilde zum innerbetrieblichen Burn-out- und Stressberater aus. Ob nun Rhetorik, Arbeitsrecht, Grundlagen des BetrVG – ich kann heute alle Kenntnisse aus meiner Betriebsratszeit brauchen. Und ich kann tun, was ich immer gerne gemacht habe: mit Betriebsräten arbeiten. Gleichzeitig habe ich aber keine allzu persönliche Nähe mehr zum Geschehen. Das macht es für mich einfacher.“

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