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Über den Wert der Mitbestimmung  KAS HBS Service aktuell

Tagung mit der Konrad-Adenauer-Stiftung: Innovationstreiber Mitbestimmung

Die Montanmitbestimmung feiert in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag. Auf einer gemeinsamen Konferenz erinnerten Hans-Böckler- und Konrad-Adenauer-Stiftung an ihre Geschichte und diskutierten über die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung.

[13.10.2021]

Von Gunnar Hinck

Eine gemeinsame Konferenz von Hans-Böckler- und Konrad-Adenauer-Stiftung zur Mitbestimmung? Die Frage hing unausgesprochen im Raum. Michael Borchard, Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Dienste und des Archivs der Adenauer-Stiftung, gab in seinen Einführungsworten eine Antwort. Die Mitbestimmung hat ihre Wurzeln nicht nur in der Arbeiterbewegung, sondern auch in der christlichen Sozialethik. Borchard zitierte den katholischen Theologen und Sozialphilosophen Oswald von Nell-Breuning: Ein Unternehmen sei „ein Verbund zweier Gruppen von Personen, die Beiträge zweierlei Art zu dem leisten, was sie gemeinsam ‚unternehmen‘“. Und es war auch der freundschaftlichen Verbindung von Konrad Adenauer und Hans Böckler zu verdanken, dass das Gesetz zur Montanmitbestimmung auf den Weg gebracht werden konnte. „Beide haben sich zwar in den politischen Auseinandersetzungen nichts geschenkt, aber das änderte nichts an der Hochachtung, mit sich beide einander begegneten“, sagte Borchard.

Der Politikwissenschaftler und Gewerkschaftsexperte Wolfgang Schroeder hielt sich in seinem Vortrag nicht lange mit Lobpreisungen auf und stellte die Frage, wie die Unternehmensmitbestimmung in der Zukunft gesichert werden kann: „Moralische Appelle und nostalgische Rückblicke bringen wenig. Es braucht Organisationskraft und mehr Mitglieder.“ Schroeder, der in den neunziger Jahren Referent bei der IG Metall war, mahnte „neue Begründungsmuster“ an: „Es geht um die Bewältigung von Gegenwartsaufgaben.“

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    Michael Borchard, Norbert Lammert, Kathrin Witsch, Reiner Hoffmann, Carsten Linnemann, Elke Hannack, Daniel Hay, Norbert Kluge und Ursula Nothelle-Wildfeuer

Heike Göbel, Wirtschafts-Ressortleiterin der FAZ und bekannt für ihre wirtschaftsliberalen Kommentare, nahm die Rolle der Generalkritikerin ein. „Die Unternehmensmitbestimmung hat den nötigen Strukturwandel wie in der Stahlindustrie zu lange hinausgezögert, für den am Ende die Steuerzahler aufkommen mussten. Mitbestimmung führt zu Reibungsverlusten in den Unternehmen und begünstigt Kungeleien“, sagte sie. Immerhin lobte sie die betriebliche Mitbestimmung: „In der FAZ haben wir einen guten Betriebsrat.“

Birgit Steinborn, Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Siemens, und Sabine Maaßen, Arbeitsdirektorin bei Audi, hielten dagegen. „Die Transformation in der Automobilindustrie funktioniert nur zusammen mit den Beschäftigten. In diesem Prozess ist die Mitbestimmung uns ein wichtiger Partner“ antwortete Maaßen. Sie betonte außerdem die gesellschaftliche Bedeutung von demokratischen Mitsprachemöglichkeiten in Unternehmen.

Birgit Steinborn wies auf die Rolle der Mitbestimmung als Innovationstreiber hin: „Mitbestimmung sorgt für Sicherheit und Verlässlichkeit bei den Beschäftigten – wer hingegen Angst hat, ist nicht innovativ.“ Mit Blick auf die Gründung von mehreren Siemens-Tochtergesellschaften sagte sie: „Auch bei Ausgliederungen können wir durch die Mitbestimmung die Siemens-Beschäftigungsbedingungen und die Tarifbindung erhalten.“

Betriebswirt Dieter Sadowski, bis 2011 Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Trier, ergänzte die Diskussion mit Studien, die den Zusammenhang von Unternehmenserfolg und Mitbestimmung zeigten. Eine Untersuchung befasste sich mit Unternehmen, die knapp unter- und oberhalb der Grenze von 500 Beschäftigten liegen und damit vergleichbar sind. Sein Befund: In mitbestimmten Unternehmen oberhalb von 500 Beschäftigten ist die Wertschöpfung höher; außerdem geht der Umsatz nicht zurück, sobald die 500er-Schwelle überschritten ist.

Norbert Lammert, früherer Bundestagspräsident und heute Vorsitzender der Adenauer-Stiftung, plädierte für mehr Partizipation in der Wirtschaft. „Die Mitbestimmung von 1951 wurde in einer Phase der fundamentalen Neugründung der Industrie eingeführt. Heute befinden wir uns wieder in einer solchen Phase. Diese sollte unter möglichst großer Beteiligung der Beschäftigten organisiert werden.“ Weiter sagte Lammert: „Ich sehe kein überzeugendes Argument dafür, warum Mitbestimmung in der Wirtschaft nicht notwendig sein sollte, während Beteiligung in anderen Bereichen der Gesellschaft immer wichtiger wird.“

In der abschließenden Podiumsdiskussion zur Zukunft der Mitbestimmung forderte DGB-Chef Reiner Hoffmann ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaft in die Unternehmen. „Wir brauchen ein digitales schwarzes Brett“, sagte Hoffmann. Im Homeoffice, der auch nach Corona eine bedeutende Rolle spielen wird, können Gewerkschaften Beschäftigte in erster Linie über digitale Kanäle erreichen.

Dennis Radtke, Chef der CDU-Arbeitnehmervertretung CDA in Nordrhein-Westfalen und Europaabgeordneter, sieht vor allem in der europäischen Aktiengesellschaft SE ein Umgehungsinstrument von Mitbestimmung, das ausgeschaltet werden muss: „Das ist nicht akzeptabel und muss auf EU-Ebene gelöst werden.“ Als Beispiel nannte er Tesla, das seinen Standort in Brandenburg als SE gegründet hat. Zwar hat der Betrieb zurzeit nur relativ wenige Beschäftigte. Es ist aber davon auszugehen, dass er die Grenze von 2000 Beschäftigten für einen paritätisch besetzen Aufsichtsrat bald überschreiten wird - der mitbestimmungsfreie Zustand bleibt aber aufgrund der Gesellschaftsform SE eingefroren. „Das kann der europäische Gesetzgeber nicht gewollt haben“, sagte Radtke.

Weitere Informationen

Dokumentation der Veranstaltung "Über den Wert der Mitbestimmung in der Sozialen Marktwirtschaft – gestern, heute und morgen"

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