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Systemrelevant Folge 196 Service aktuell

Systemrelevant Podcast: Die Mitbestimmungsvermeidung

Mitbestimmungsvermeidung und -ignorierung nimmt rapide zu. I.M.U.-Direktor Daniel Hay und Sebastian Sick erläutern, welche Versprechen die Politik nun umsetzen muss.

[14.06.2024]

Mitbestimmung auf Unternehmensebene ist die institutionalisierte Teilhabe, durch die Arbeitnehmende ihre Sichtweise in Entscheidungsfindungsprozesse ihres Unternehmens einbringen können.
Das führt zu besseren und nachhaltigeren Entscheidungen und kann Unternehmen stabiler machen.

Allerdings nimmt die Mitbestimmung in Deutschland rapide ab. Das liegt zum einen an der Mitbestimmungsvermeidung: das bedeutet, dass Unternehmen durch rechtliche Konstruktionen erreichen, dass Mitbestimmungsgesetze nicht anwendbar sind. Mehr als 256 Unternehmen sind davon betroffen. Das zweite Problemfeld ist das rechtwidrige Ignorieren der Mitbestimmungsgesetze, was 172 Unternehmen in Deutschland tun. Insgesamt sind über 2,4 Millionen Beschäftigte von der Mitbestimmungsvermeidung und -ignorierung betroffen - das sind 300.000 mehr als bei letzten Erhebung im Jahr 2020. 

Die rapide Zunahme der Mitbestimmungsvermeidung und -ignorierung birgt eine große Gefahr für die demokratische Teilhabe in der Wirtschaft und in der Gesellschaft.

Nur 60% der Unternehmen, die über die gesetzlichen Voraussetzungen verfügen, praktizieren tatsächlich die Mitbestimmung im Aufsichtsrat und ermöglichen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmern, dort mitzuwirken und mitzugestalten.

Daniel Hay

Überdurchschnittlich oft halten sich Familienunternehmen nicht an die Gesetze: 66% der Unternehmen, die Mitbestimmung durch Gesetzeslücken vermeiden, sind Familienunternehmen und 60% der Unternehmen, die Mitbestimmung schlicht ignorieren. Vermutlich liegt das daran, dass die Familie bei den Entscheidungen über die Zukunft des Unternehmens unter sich bleiben möchte und nicht bereit ist, die Beschäftigten bei der Diskussion und Entscheidungsfindung über wegweisende Themen mit einzubeziehen. Das ist ein herber Verlust, da die Perspektive der Beschäftigten sehr wertvoll ist und viel Mehrwert, Wissen und Vielfalt einbringen könnte.

Ein Kernproblem für die Mitbestimmung ist die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft SE, denn nur jede 6. SE (19 von 103 SEs) in Deutschland mit über 2000 Beschäftigten ist mitbestimmt. Da das deutsche Mitbestimmungssystem sich auch in den Schranken der europäischen Rechtssetzung befindet ist es daher wichtig, Europa mitzudenken, damit die Mitbestimmung in Deutschland nicht weiter leidet.

Im Koalitionsvertrag will sich die Regierung dafür einsetzen, den Einfriereffekt bei SE-Bildungen einzudämmen - denn bei SEs gilt das Vorher-Nachher-Prinzip. Das heißt, Unternehmen, die vorher keine Mitbestimmung hatten, werden in diesem Zustand ohne oder mit nur wenig Mitbestimmung eingefroren. 
Es ist also ein wichtiger Schritt, dass zentrale Vorhaben zur Unternehmensmitbestimmung im Koalitionsvertrag vertreten sind und sich die Regierung der akuten Bedrohungslage für die Mitbestimmung und ihrer wichtigen Rolle für den sozialen Zusammenhalt  bewusst geworden ist - diese Vorhaben müssen nun aber noch richtig und schnell umgesetzt werden. Daniel Hay sagt dazu: "Es wäre grob fahrlässig, diese Probleme nicht in der laufenden Legislaturperiode anzugehen."

Denn die Rolle der Mitbestimmung für sozialen Frieden und die Demokratie sollte nicht unterschätzt werden - vielmehr kann sie als Instrument betrachtet werden, um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken und rechtspopulistischen Erzählungen entgegenzuwirken.

Moderation: Marco Herack
 

Es muss erreicht werden, dass Mitbestimmung leichter durchgesetzt werden kann und Unternehmen nicht so leicht davonkommen, wenn sie die Mitbestimmung schlicht nicht anwenden, obwohl sie es müssten.

Sebastian Sick

Alle Informationen zum Podcast

In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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