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Machtfragen der Digitalisierung Service aktuell

Tagungsbericht „Machtfragen der Digitalisierung“: "Beschäftigte haben einen Anspruch darauf, Algorithmen zu verstehen“

Wie lässt sich die Digitalisierung im Betrieb für gute Arbeit und bessere Mitbestimmung nutzen? Diese Frage stellten sich die Teilnehmenden der Online-Konferenz „Machtfragen der Digitalisierung“.

Von Gunnar Hinck

Abwarten oder begleiten? Vor dieser Entscheidung stehen Betriebsräte seit Jahren, wenn es um Digitalisierung geht. Die Antwort fällt vor allem angesichts möglicher Rationalisierungen, die in der neuen Technik steckt, oft nicht leicht. Auf der Online-Konferenz „Machtfragen der Digitalisierung“ diskutierten am 19. und 20. Januar 2021 insgesamt über 200 Teilnehmende, wie sich Digitalisierung unabhängig von den Techkonzernen Facebook, Google, Microsoft und Co. für gute Arbeit und bessere Mitbestimmung gestalten lässt.

Betriebsrätinnen, Gewerkschafter, Forscher und Politikerinnen waren der Einladung der Hans-Böckler-Stiftung gefolgt. Einigkeit herrschte darüber, dass die Anforderungen für die Mitbestimmung und der Aufwand für die Betriebsräte gewachsen sind und sie mehr Wissen brauchen. Die Diskussion war Teil eines von vier Plenen und 14 Panels, zu denen die Stiftung zum Abschluss ihres interdisziplinären Forschungsverbunds „Digitalisierung, Mitbestimmung und gute Arbeit“ eingeladen hatte.

Ein anderes Thema, mit dem sich Betriebs- und Personalräte immer wieder konfrontiert sehen, ist die Rolle von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI) in Betrieben. KI wird zunehmend bei der Personalauswahl eingesetzt; der Algorithmus bewertet die Kandidaten aufgrund von Erfahrungswerten und Wahrscheinlichkeitsrechnungen.

Matthias Spielkamp von „Algorithm Watch“ stellte fest, dass die Unternehmen einschließlich der Betriebsräte die Mechanismen des Algorithmus oft nicht verstünden – und mangels Einblick auch nicht verstehen könnten. „Aber die Beschäftigten haben einen Anspruch darauf, es zu verstehen“, so Spielkamp. Er forderte mehr Kompetenzen für die Betriebsräte, was aber, so ergänzte Andree Thieltges von der Technischen Universität München, mehr Freistellungen bedeuten müsse. Die zentrale offene Frage formulierte Thieltges: „Auf welcher Grundlage entscheiden Algorithmen eigentlich?“ Bettina Haller, Konzernbetriebsratsvorsitzende von Siemens, sieht Aufklärungsbedarf bei jenen Daten, die diskriminierende Kriterien bei Einstellungen schaffen.

"Einsatz von IT besser regeln"

Insgesamt müsse der Einsatz von IT besser geregelt werden, so Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts: „Das Betriebsverfassungsgesetz greift da zu spät.“ Bislang kann der Betriebsrat erst ab der Einführung von technischen Systemen mitreden, aber nicht vorher, bei der Auswahl und Zielbestimmung von neuen IT-Systemen. Eine Evaluierung der angeschafften IT-Systeme müsse möglich sein. Bettina Haller forderte die Möglichkeit einer „Exitklausel“ über Betriebsvereinbarungen. Die Teilnehmenden setzen ihre Hoffnung auf das Betriebsverfassungsstärkungsgesetz, für das Arbeitsminister Hubertus Heil einen Gesetzentwurf eingebracht hat.

Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen sieht durch die Digitalisierung aber Chancen auf mehr „Machtressourcen“ für den Betriebsrat: „Es entstehen dadurch mehr Kooperations- und Konfliktfelder, in die der Betriebsrat hineingehen kann.“ Michael Fischer, Bereichsleiter Politik und Planung bei Ver.di, erinnerte daran, dass die Effizienzgewinne durch die Digitalisierung nicht automatisch gute Arbeit bedeuten: „Wir müssen auch über die problematischen Folgen des Technikeinsatzes reden.“

Einig waren sich alle, dass die Beteiligungsrechte der Betriebsräte ausgeweitet werden müssen. Constanze Kurz vom Betriebsrat bei Bosch, sagte: „Informationsrechte reichen dort nicht mehr aus, wo es keine Mitbestimmungsrechte gibt.“ Martin Kuhlmann und Michael Fischer empfahlen, das Wissen der Gewerkschaften mehr zu nutzen. „Gerade kleine Betriebe mit kleinen Betriebsräten wie im Einzelhandel könnten mit der Gewerkschaft mehr kooperieren“, sagte Fischer.

Hybridmodelle von digitalen und klassischen Betriebsversammlungen

Eine vorsichtig positive Bilanz zog Anne Lange vom Gemeinschaftsbetriebsrat Merck bei digitalen Betriebsversammlungen, die aufgrund der Pandemie zurzeit Standard sind: „Langfristig wird es bei uns zu Hybridmodellen von digitalen und klassischen Betriebsversammlungen kommen. Digital erreichen wir jüngere Beschäftigtengruppen, die vorher nicht kamen, wir verlieren aber mit rein digitalen Formaten den ein oder anderen älteren Kollegen.“

Im Abschlussplenum ging es schließlich um die große Machtfrage, wie Alternativen zu den Plattformgiganten aufgebaut werden können. Mehr Regulierung, etwa durch eine Digitalsteuer, und staatliche Förderung von gemeinnützigen und genossenschaftlichen Projekten war das nahezu einhellige Doppelrezept der Teilnehmenden. Ulrich Klüh von der Hochschule Darmstadt ging weiter und mahnte eine Grundsatzentscheidung der Gesellschaft darüber an, was öffentliche und was private Angelegenheiten sein sollen.

Ergebnisse der Konferenz sowie Videos und weitere Infos: hier.

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