Rätselhaftes Fundstück: Von Afrika zur Warschauer Brücke
In Berlin tritt 1902 der erste Zugbegleiter afrikanischer Herkunft seinen Dienst an und macht im rassistisch geprägten Kaiserreich eine erstaunliche Karriere. Von Marc von Lüpke
Zum Gruppenfoto haben sich diese Mitarbeiter der Berliner Hochbahngesellschaft 1902 versammelt. „Warschauer Brücke“ trägt die Bahn als Zielort, in diesem Jahr wird die Station in Betrieb genommen. 1902 ist auch das Jahr des Martin Dibobe (3. v. l.). Er beginnt als Zugabfertiger bei der Hochbahn, wird schnell zum Zugführer befördert – der erste afrikanischer Herkunft überhaupt. Im vom Rassismus geprägten Wilhelminischen Reich absolviert Dibobe eine außerordentliche Karriere. „Durch Fleiß und einwandfreies Betragen“, wie er notiert.
1876 war er als Quane a Dibobe in Kamerun geboren worden, seinen Geburtsnamen büßt er bei der Taufe durch Missionare ein. 20 Jahre später verlässt er als Martin Dibobe sein Geburtsland Kamerun, das mittlerweile deutsche Kolonie geworden war. Der Zweck der Reise: Als Darsteller soll er für die Berliner im Treptower Park zusammen mit anderen Afrikanern das „Alltagsleben“ in seiner Heimat vorspielen. Derartige Völkerschauen sind damals beliebt, bestärken sie doch viele Deutsche in ihrem Gefühl der vermeintlichen Überlegenheit. Die Einwohner der deutschen Kolonien werden in der Regel hingegen als „Primitive“ betrachtet.
Nach Ende dieser Tätigkeit will Dibobe nicht zurückkehren: Er bleibt in Berlin, macht eine Ausbildung zum Schlosser und heiratet. Allerdings gegen Widerstände, denn die Behörden sehen es ungern, dass der Afrikaner eine Deutsche ehelicht. Zwei Kinder soll das Paar bekommen haben, manches ist nicht genau belegt. Etwa ob Dibobe Mitglied der Sozialdemokraten gewesen ist. Dass er deren Ziele teilt, auch bei seinen Kontakten nach Kamerun, daraus macht er aber nie einen Hehl.
Er bekennt sich im Juni 1919, nach der Novemberrevolution, zur „sozialen Republik“, die das junge Weimar darstellt. Festgehalten ist es in der sogenannten Dibobe-Petition, die er mit 17 anderen afrodeutschen Männern unterschrieben und an die Nationalversammlung wie das Kolonialamt gerichtet hat. Dibobe fordert die Rückgabe der Kolonien von den Kriegsgegnern, dazu Gleichberechtigung für die Afrikaner. In Deutschland selbst sollen die Einwohner der deutschen Kolonien durch einen Vertreter im Reichstag zu Wort kommen, Dibobe selbst. Dazu kommt es allerdings nicht, Deutschland geht seiner Kolonien verlustig. 1922 reist Dibobe nach Afrika. Kamerun aber, nun unter französischer Verwaltung, lässt ihn nicht einreisen, er geht nach Liberia. Dort verschwindet Martin Dibobe bald spurlos. Seit 2016 erinnert eine Gedenktafel in Berlin an ihn.
Rätselfragen
In welchem Jahr wurde Kamerun zum sogenannten deutschen Schutzgebiet?
Wie lautete der Name der zwischenstaatlichen Organisation, in deren Mandat Kamerun 1919 überging?
Wie hieß der Gartenarchitekt, der für die Pläne zur Anlage des Treptower Parks verantwortlich zeichnete?
Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 20. März 2021 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.
Preise
1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro
2. - 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro
Schicken Sie uns die Lösung
Hans-Böckler-Stiftung
Redaktion Mitbestimmung
Georg-Glock-Straße 18
40474 Düsseldorf
E-Mail: redaktion@boeckler.de
Auflösung der Rätselfragen 6/2020
Ingólfur Arnarson
1996
Althing