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Dekorativ: Ungleichheit steigt, Vertrauen sinkt Böckler Impuls

Verteilung: Ungleichheit steigt, Vertrauen sinkt

Ausgabe 19/2025

Die Einkommensungleichheit hat sich seit 2018 weiter erhöht. Darunter leidet auch das Vertrauen in staatliche Institutionen.

Die Ungleichheit der Einkommen hat seit 2010 deutlich zugenommen und mittlerweile einen neuen Höchststand erreicht – ebenso wie die Armutsquote. Ein wichtiger Grund: Die Umverteilungswirkung durch Steuern und Sozialtransfers hat tendenziell abgenommen. Auch wenn sich der Mindestlohn positiv ausgewirkt hat, haben viele Personen mit niedrigen Einkommen unter dem Strich vom Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahrzehnt wenig profitiert. Parallel zur wirtschaftlichen Ungleichheit nimmt die gesellschaftliche Polarisierung zu. Das zeigt der neue Verteilungsbericht des WSI.

„Steigt die Ungleichheit der Einkommen, steigt gleichzeitig auch die Ungleichverteilung der Teilhabemöglichkeiten. Die Frage, wie sich die Konzentration der Einkommen entwickelt, hat somit eine eminent gesellschaftspolitische Bedeutung“, erklärt WSI-Verteilungsexpertin und Studienautorin Dorothee Spannagel. Das gelte gerade für die jüngste Entwicklung: Allein zwischen 2018 und 2022, dem jüngsten Jahr, für das Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) vorliegen, ist der Gini-Koeffizient, der Ungleichheit auf einer Skala von null bis eins misst, um gut sechs Prozent gestiegen. Damit wurde der höchste Wert seit Beginn des SOEP im Jahr 1984 erreicht. Die jährliche Befragung von 22 000 Haushalten ist eine maßgebliche Datenquelle für Einkommen in Deutschland und den neuen Verteilungsbericht. Zudem stützt sich Spannagel auf die Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, für die seit 2020 regelmäßig 5000 bis 7500 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt werden, zuletzt nach der Bundestagswahl im März 2025.

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Infografik: Bei den verfügbaren Haushaltseinkommen hat der Gini-Koeffizient, der Ungleichheit auf einer Skala von null bis eins misst, mit 0,31 einen neuen Höchststand erreicht.
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„Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz spricht von einer globalen Ungleichheitskrise. Eine Variante sehen wir zunehmend deutlich auch bei uns in Deutschland. Wenn es eine soziale Marktwirtschaft nicht schafft, ihr Teilhabe- und Fairnessversprechen einzuhalten, ist das hoch problematisch für ihre Akzeptanz – und auch für die Akzeptanz unserer Demokratie“, so WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. „Geradezu fatal ist es, wenn wirtschaftlich Mächtige und politisch Verantwortliche daraus die genau falschen Schlüsse ziehen. Mehr Einzelkämpfertum statt Miteinander, neue Hürden für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch deregulierte Arbeitszeiten, Abbau sozialer Rechte und sozialer Sicherung, Erleichterungen vor allem für Wohlhabende – das wird die Probleme unserer Gesellschaft nicht lösen, sondern verschärfen“, sagt die Soziologin.

„Stattdessen sollten wir uns auf unsere Stärken besinnen und bewährte Arrangements erneuern, die leider erodiert sind. Dazu zählen Tarifverträge als praxisnahe, fair verhandelte und verbindliche Regeln im Arbeitsleben. Dazu zählt ein tragfähiges soziales Netz, das auch Mut dazu macht, sich auf Wandel und Transformation einzulassen, und eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur, von funktionierenden Verkehrswegen und bezahlbarer Energie bis zum Bildungs- und dem Gesundheitssystem. Und dazu zählt eine fairere Steuerpolitik, die Privilegierungen für sehr hohe Vermögen abbaut. Etwa durch das Schließen von Schlupflöchern für Superreiche bei der Erbschaftssteuer und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.“

Geringe Einkommen bleiben zurück

Nach einem deutlichen Anstieg der Einkommensungleichheit in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren verharrte der Gini-Koeffizient einige Zeit auf dem erhöhten Niveau. Die Auswertung der neuesten verfügbaren SOEP-Daten im Verteilungsbericht zeigt, dass er ab 2010 weiter zugelegt hat – in leichten Wellenbewegungen, aber insgesamt mit eindeutiger Tendenz und ab 2018 deutlich beschleunigt: 2010 lag der Gini-Wert noch bei 0,282. Bis 2022 kletterte er auf einen neuen Höchststand von 0,310. Der Trend zu mehr Ungleichheit zeigt sich unabhängig von der Fluchtmigration im letzten Jahrzehnt, er fällt allerdings schwächer aus, wenn man die Einkommen Geflüchteter bei der statistischen Analyse ausklammert. 

Infografik: Die Armutsquote ist zwischen 2010 und 2022 von 14,4 auf 17,7 Prozent gestiegen, der Anteil der Reichen von 7,6 auf 7,2 Prozent leicht gesunken.
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Der sogenannte Theil-­Index reagiert insbesondere auf Veränderungen am unteren Rand der Einkommensverteilung, während der Palma-Index die Entwicklung am oberen Rand stärker abbildet. Auch diese beiden Indizes signalisieren, dass die Ungleichheit seit 2010 zugenommen und einen neuen Spitzenwert erreicht hat. Dabei ist der Theil-Index relativ stärker gestiegen als der Palma-Index. Das deutet darauf hin, dass vor allem niedrige Einkommen gegenüber den übrigen zurückgeblieben sind.

Deutlich zugenommen hat seit 2010 auch die Einkommensarmut. Als arm gelten Haushalte mit Einkommen unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens, was beispielsweise einem jährlichen Nettoeinkommen von weniger als 15 439 Euro für eine alleinlebende Person entspricht; Haushalte, die über weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens verfügen, leben in „strenger Armut“. Die Quote armer Haushalte stieg bis 2022, ebenfalls mit einzelnen Schwankungen, von 14,4 auf 17,7 Prozent. Dabei war Fluchtmigration ein bedeutender Faktor, aber der Trend zeigt sich auch unabhängig davon, betont Forscherin Spannagel. Von strenger Armut waren 2010 noch 7,9 Prozent aller Haushalte betroffen, 2022 bereits 11,8 Prozent.

Weniger getan hat sich am oberen Ende der Verteilung. Ab 200 Prozent des Medianeinkommens, aktuell knapp 51 500 Euro netto für einen Single, gilt ein Haushalt als einkommensreich, bei mehr als 300 Prozent als sehr reich. Die Quote der reichen Haushalte stieg von 7,6 Prozent 2010 zwischenzeitlich leicht auf gut 8 Prozent und sank dann, mit einigen Schwankungen, auf 7,2 Prozent im Jahr 2022. Der Anteil der sehr einkommensreichen Haushalte lag 2010 bei 1,9 und 2022 bei 2 Prozent.

Auch bei einem genaueren Blick auf die Mittelschicht, zu der Haushalte mit Einkommen von 60 bis unterhalb von 200 Prozent des Medians zählen, zeigt sich „oben“ mehr Konstanz als „unten“: Ein Einkommen, das dem Median entspricht oder höchstens doppelt so hoch ist, hatten über den gesamten Untersuchungszeitraum rund 42 Prozent der Haushalte. Dagegen sank der Anteil derjenigen mit 60 bis unter 100 Prozent des mittleren Einkommens von 35,6 auf 32,3 Prozent. „Damit legen die Daten nahe, dass sich die untere Mitte vor allem verkleinert hat, weil Menschen in Armut abgerutscht sind, weniger, weil sie in die obere Mitte aufgestiegen sind“, schreibt Verteilungsexpertin Spannagel.

Infografik: Sowohl das Wahlverhalten als auch das Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen hängen mit dem Einkommen zusammen. Arme wählen überdurchschnittlich oft AfD oder Linke und haben tendenziell weniger Vertrauen in Gerichte, Polizei, öffentlich-rechtliche Medien und die Bundesregierung.
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Geldprobleme untergraben Vertrauen

Eine schwierige finanzielle Situation geht häufig einher mit Frustrationen und Verunsicherung. Das spiegelt sich in der Identifikation mit staatlichen und demokratischen Institutionen, in der politischen Beteiligung und bei Wahlentscheidungen wider. Bei allen drei Punkten, für die die Erwerbs­personenbefragung Daten aus dem März 2025 liefert, zeigen sich „deutliche Bruchlinien zwischen den Einkommensgruppen“, so die Forscherin.

Ein klarer Zusammenhang zur wirtschaftlichen Situation zeigt sich etwa beim Misstrauen gegenüber der Polizei: Knapp 24 Prozent der Menschen in Armut misstrauen der Polizei, während es bei den Menschen in einkommensreichen Haushalten nur knapp 9 Prozent sind. Rund 32 Prozent der Armen setzen kein oder nur geringes Vertrauen in Gerichte, unter den Reichen gilt das für gut 11 Prozent. Misstrauisch gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien sind rund die Hälfte der Armen und gut 31 Prozent der Reichen. Kein oder nur wenig Vertrauen in die Bundesregierung hatten im März 61 beziehungsweise 32 Prozent.

Gute Arbeit gegen Ungleichheit

Die Wahlbeteiligung sinkt ebenfalls mit dem Einkommen. Allerdings hat sich die Lücke bei der Bundestagswahl 2025 gegenüber dem Urnengang 2021 deutlich verkleinert. Dabei kam die laut der Erwerbspersonenbefragung erheblich gestiegene Beteiligung von ärmeren Menschen vor allem AfD und Linken zugute. Die beiden Parteien finden bei Personen am unteren Ende der Einkommensverteilung mehr Zuspruch als bei denjenigen am oberen Ende. Ein ähnliches Muster, aber weit weniger deutlich ausgeprägt, lässt sich auch bei SPD und BSW beobachten, während der Zusammenhang bei Union, Grünen und FDP in die andere Richtung geht.

Die Daten zeigten, dass bei beschleunigt wachsender Ungleichheit „gesellschaftliche Spannungslinien stärker hervortreten“, warnt Spannagel. Um Ungleichheit, Armut und politischer Polarisierung entgegenzuwirken, müsse zum einen gute Erwerbsarbeit gestärkt werden. Dazu beitragen könnten mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit Tarifvertrag, eine passgenaue Qualifizierung und maßgeschneiderte Beratung von Menschen an den prekären Rändern des Arbeitsmarktes sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wichtig sei ­zudem, dass Rente und Grundsicherung eine grundlegende gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. In die falsche Richtung führten vor diesem Hintergrund die geplanten Nullrunden bei den Regelbedarfsleistungen und das Vorhaben, den „Vermittlungsvorrang“ – Arbeit vor Weiterbildung – wieder einzuführen. Darüber hinaus em­pfiehlt Spannagel, den Spitzensteuersatz anzuheben und die derzeitige pauschale Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von 25 Prozent in die progressive Einkommenssteuer einzugliedern.

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