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Magazin Mitbestimmung

Von MARTIN KALUZA: Triumphale Rückkehr

Ausgabe 06/2018

Das politische Lied Es ist das erste Mal seit 25 Jahren, dass der ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann in der DDR auftreten kann. Er hat einen neuen Song mitgebracht, in dem er sich die wichtigsten Verteter des Regimes vornimmt. Während des Konzertes sind einige von ihnen noch im Amt.

Von MARTIN KALUZA

Rund 5000 Menschen stehen in dicken Winterjacken in der Messehalle in Leipzig, weil sie ihn sehen wollen: Wolf Biermann sitzt mit seiner Gitarre auf einer Kiste, sein Hemd verwegen aufgeknöpft. Radio und Fernsehen übertragen das Konzert in Ost und West. Es ist der 1.  Dezember 1989. Drei Wochen zuvor ist die Mauer gefallen, Leipzig war mit seinen Demonstrationen ein wichtiger Schauplatz der friedlichen Revolution. Für Biermann ist es eine triumphale Rückkehr: der erste öffentliche Auftritt in der DDR seit 25 Jahren.

Jetzt hat er einen neuen Song im Gepäck. Schon nach der ersten Zeile, „Hey, Krenz, du fröhlicher kalter Krieger, ich glaube dir nichts, kein einziges Wort!“ bricht das Publikum in Applaus aus. Biermann unterbricht sein Spiel: „Ihr dürft nicht da reinklatschen. Ihr müsst doch davon ausgehen, dass der Genosse Krenz, um den uns nicht alle Völker beneiden, dass der jetzt am Fernsehapparat sitzt. Und dann muss er doch wenigstens den Text verstehen.“

Egon Krenz ist als Honecker-Nachfolger Staatschef der DDR. An ihn adressiert singt Biermann: „Du hast ja die Panzer in Peking bejubelt, ich sah dein Gebiss beim Massenmord.“ Und weiter: „Du bist unsere Stasi-Metastase am kranken Körper der Staatspartei.“ Das Publikum jubelt und lacht. Biermann widmet Politbüromitglied Kurt Hager, Stasi-Chef Erich Mielke, TV-Agitator Karl-Eduard von Schnitzler und – „Na, da fehlt doch noch einer!“ – Erich Honecker jeweils eine Strophe und fordert im Refrain: „Nicht Rache, nein, Rente!“ Krenz muss nur fünf Tage nach Biermanns Konzert abtreten.

Biermann, in Hamburg als Sohn von Kommunisten geboren, war mit 16 Jahren in die DDR übergesiedelt. Bereits ab 1964 – damals hatte er gerade seine ersten Songs geschrieben – durfte Biermann nicht mehr in der DDR auftreten. Platten nahm er heimlich auf und ließ die Aufnahmen in den Westen schmuggeln. In seinen zornigen, beißend-ironischen Liedern teilt er gegen den Kapitalismus ebenso aus wie gegen den korrumpierten Sozialismus. Er wird zum Star der Linken im Westen und zur Schlüsselfigur der DDR-Opposition. In seiner Wohnung in der Chausseestraße 131 in Berlin gehen Intellektuelle ein und aus, DDR-Dissidenten, aber auch Westdeutsche wie Udo Lindenberg.

Sein erstes öffentliches Konzert nach dem Auftrittsverbot spielt Biermann auf Einladung der IG Metall am 13. November 1976 in der Bundesrepublik, in der Kölner Sporthalle. Am 16. November lässt die DDR ihn nicht mehr einreisen und entzieht ihm die Staatsbürgerschaft. Die Ausbürgerung ist ein Schock. Für die DDR-Führung wird sie am Ende zum Eigentor. Sie zieht eine Welle offener Solidarität unter Schriftstellern und anderen Intellektuellen nach sich und gilt manchen als Anfang vom Ende der DDR.

Als Biermann 13 Jahre später in der Messe­halle in Leipzig singt, ist die Mauer zwar gefallen, aber die DDR besteht noch. Mit der Ballade von den verdorbenen alten Männern trifft Biermann den Nerv des Publikums. Doch der Beifall fällt deutlich gedämpfter aus, als er von der Idee eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ singt. Biermann ist damals gegen die Wiedervereinigung, wünscht sich zwei Staaten, die friedlich miteinander konkurrieren. Was die Zukunft bringt, ist noch völlig offen.

Aufmacherfoto:  Brigdeman Images

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