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Magazin Mitbestimmung

: Höheres Tempo erforderlich

Ausgabe 01+02/2009

KONJUNKTURPAKETE Die Konstruktion des Konjunkturprogramms, das späte Inkrafttreten und der hohe Anteil von Steuer- und Abgabensenkungen verhindern, dass die Wirtschaft in Deutschland bereits in diesem Jahr effektiv stabilisiert wird: Ergebnisse einer IMK-Analyse

Von GUSTAV HORN, PETER HOHLFELD, ACHIM TRUGER und RUDOLF ZWIENER, Wissenschaftler am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Seit November 2008 reagiert die Bundesregierung mit finanzpolitischen Maßnahmen auf die dramatische Verschärfung der Wirtschaftslage und -aussichten. Zusammen mit bereits beschlossenen oder geplanten Maßnahmen addieren sie sich insgesamt zu für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich starken antizyklischen fiskalischen Impulsen in den Jahren 2009 und 2010 auf.

KONJUNKTURPAKET I_ Am 5. November 2008 wurde im Bundeskabinett ein "Schutzschirm für Arbeitsplätze" (Konjunkturpaket I) verabschiedet. Dadurch sollen die öffentlichen Investitionen und Investitionen in die energetische Gebäudesanierung gestärkt werden. Die direkte Erhöhung der öffentlichen Investitionen ist 2009 und 2010 mit einer Größenordnung von 1,2 bzw. 1,1 Milliarden Euro zu veranschlagen, während die Aufstockung der KfW-Förderprogramme für den Bund bis 2010 mit maximal 0,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen soll. Außerdem werden die Bürger durch die Aussetzung der Kfz-Steuer für Neuwagen (maximal für zwei Jahre), die bis zum 30.6.2009 zugelassen werden, und die stärkere steuerliche Förderung von Handwerksdienstleistungen entlastet. Die Entlastung soll 2009 0,4 Milliarden Euro betragen, im Jahr 2010 dann 1 Milliarde Euro.
Den fiskalisch größten Anteil am "Schutzschirm" haben steuerliche Unterstützungsmaßnahmen für die Unternehmen, wobei vor allem die Wiedereinführung der degressiven Absetzung für Abnutzung (25 Prozent) und befristete Sonderabschreibungen für kleine und mittlere Unternehmen zu nennen sind. 2009 und 2010 werden die Unternehmen dadurch voraussichtlich um 2,2 bzw. 4,7 Milliarden Euro entlastet. Schließlich soll die Bundesagentur für Arbeit ihre Vermittler um 1000 Personen aufstocken, die Dauer des Kurzarbeitergeldes von maximal 12 auf 18 Monate erhöht sowie die berufsbegleitende Weiterbildung verstärkt werden. Insgesamt ist der fiskalische Impuls durch das Konjunkturpaket I mit 4,2 bzw. 7,7 Milliarden Euro in den Jahren 2009 und 2010 nur gering.

PENDLERPAUSCHALE_ Infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Pendlerpauschale entschloss sich die Bundesregierung aus konjunkturellen Gründen, die bis zum 31.12.2006 gültige Regelung befristet bis zum 31.12.2009 weiter gelten zu lassen. Dadurch werden Pendler für die Jahre 2007 bis 2009 in einem Umfang von insgesamt etwa 7,5 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer entlastet. Die Bundesregierung rechnet damit, Rückzahlungen für das Jahr 2007 in Höhe von bis zu 3 Milliarden Euro bereits im ersten Quartal 2009 realisieren zu können. Der Rest dürfte im Wege der Veranlagung spät im Jahr oder sogar erst 2010 wirksam werden. Insgesamt kann man von einer Steuerentlastung von 5,5 Milliarden Euro (0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) im Jahr 2009 und 1,5 Milliarden Euro (knapp 0,1 Prozent des BIP) 2010 ausgehen.

KONJUNKTURPAKET II_ Trotz der skizzierten Maßnahmen blieb die fiskalpolitische Expansion weit hinter den konjunkturpolitischen Notwendigkeiten zurück. Die Bundesregierung sah sich zunehmender Kritik ausgesetzt und reagierte mit dem Konjunkturpaket II. Insgesamt enthält das Paket zum gegenwärtigen Zeitpunkt zusätzliche Maßnahmen im Umfang von 46,5 Milliarden Euro, die sich auf 2009 und 2010 verteilen, wobei mit 25,7 gegenüber 20,8 Milliarden Euro der größere Anteil erst im Jahr 2010 einen Impuls auslösen wird.
Den größten Anteil hat die Aufstockung der öffentlichen Investitionen, die in beiden Jahren zusammen mit 17,3 Milliarden Euro veranschlagt ist. Mindestens die Hälfte davon soll möglichst schon 2009 umgesetzt werden. Insgesamt 4 Milliarden Euro sollen in zusätzliche Bundesinvestitionen fließen; 13,3 Milliarden Euro (10 Milliarden vom Bund und 3,3 Milliarden Euro von den Ländern) sollen möglichst den Kommunen für zusätzliche Investitionen zufließen. Hinzu kommen noch Förderprogramme der KfW aus dem ersten Konjunkturpaket im Umfang von etwa 3 Milliarden Euro. Problematisch ist allerdings, dass die Konjunkturpakete aufgrund der in ihnen enthaltenen Steuersenkungen gleichzeitig zu einer erheblichen Schwächung der kommunalen Einnahmen führen werden. Durch die steuerlichen Entlastungen in den beiden Konjunkturpaketen und die befristete Wiederherstellung der Pendlerpauschale verlieren die Gemeinden über den Gemeindeanteil an den betroffenen Steuern (Gewerbesteuer, Einkommensteuer) direkt 1,9 Milliarden Euro im Jahr 2009 und 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2010. Berücksichtigt man noch den kommunalen Steuerverbund, so erhöht sich die Summe im Jahr 2010 auf 3,4 Milliarden Euro. Damit würden den Gemeinden knapp 25 bzw. 40 Prozent der zusätzlichen Investitionsmittel wieder entzogen. Berücksichtigt man zusätzlich noch die für 2010 geplante steuerliche Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Einkommensteuer, dann würden den Gemeinden 2010 sogar fast 60 Prozent der zusätzlichen Investitionsmittel wieder entzogen.
Für Programme zur Innovationsförderung und Mobilitätsforschung sollen in beiden Jahren 1 Milliarden Euro bzw. 0,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Als Unterstützung für die Autoindustrie ist eine Abwrackprämie von 2500 Euro für die Verschrottung eines Altautos bei gleichzeitigem Kauf eines Neu- oder Jahreswagens (1,5 Milliarden Euro) und eine Neuregelung der Kfz-Steuer vorgesehen.
Unter der Überschrift "Beschäftigungssicherung" verbergen sich mehrere Maßnahmen von zusammen 5,9 Milliarden Euro: Bei Kurzarbeit wird den Arbeitgebern in Zukunft die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge von der Bundesagentur für Arbeit erstattet (2,2 Milliarden Euro). Für Aktivierung und Qualifizierung werden insgesamt 2,6 Milliarden Euro bereitgestellt. Zusätzlich sollen in den Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften 5000 neue Stellen geschaffen werden (0,2 Milliarden Euro). Darüber hinaus will die Bundesregierung die Stabilisierung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung bis Ende 2010 bei 2,8 Prozent garantieren (1 Milliarden Euro).
Zur Entlastung der privaten Haushalte wird der Eingangssteuersatz von 15 auf 14 Prozent gesenkt und der Grundfreibetrag insgesamt um 340 Euro angehoben. Gleichzeitig werden die weiteren Einkommensgrenzen des Tarifs um 730 Euro angehoben. Die Mindereinnahmen durch den ersten Schritt 2009 sind mit 2,9 Milliarden Euro veranschlagt, die der beiden Schritte zusammen im Jahr 2010 mit 6,1 Milliarden Euro. Zur Entlastung von Unternehmen und privaten Hauhalten soll der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung ab dem 1.7.2009 von 15,5 auf 14,9 Prozent gesenkt werden (2009: 3 Milliarden, 2010: 6 Milliarden Euro). Schließlich werden die Sozialtransfers aufgestockt: Bezieher von Kindergeld erhalten eine Einmalzahlung (April 2008) von 100 Euro je Kind (1,8 Milliarden Euro). Dauerhaft wird der Regelsatz für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren im Rahmen von Grundsicherung und Arbeitslosengeld II auf 70 Prozent erhöht (knapp 0,2 bzw. 0,4 Milliarden Euro 2009 bzw. 2010).
Noch nicht sinnvoll quantifizierbar sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Auswirkungen der massiven Ausweitung des Kredit- und Bürgschaftsprogramms, die Ausweitung der Exportförderung, die Breitbandstrategie und die Neuregelung der Kfz-Steuer.

STIMULIERENDE EFFEKTE DER FINANZPOLITIK_ Geht man trotz der Friktionen auf kommunaler Ebene davon aus, dass die geplanten fiskalischen Impulse tatsächlich in vollem Umfang realisiert werden, dann ergeben sich in diesem und im kommenden Jahr unter Berücksichtigung bereits unabhängig von den Konjunkturpaketen verabschiedeter oder geplanter Maßnahmen gegenüber dem Jahr 2008 fiskalische Gesamtimpulse von 35,6 Milliarden Euro (1,4 Prozent des BIP) für 2009 bzw. 42,2 Milliarden Euro (1,7 Prozent des BIP) für 2010. Jeweils gegenüber dem Vorjahr bliebe es bei 35,6 Milliarden Euro im Jahr 2009, während für 2010 ein zusätzlicher Impuls von 6,6 Milliarden Euro (0,3 Prozent des BIP) zu verzeichnen wäre.
Die Effekte des Konjunkturpaketes II in den Jahren 2009 und 2010 wurden mit dem makroökonometrischen Konjunkturmodell des IMK simuliert. Dabei mussten Annahmen über die zeitliche Verteilung der Mittel innerhalb der beiden Jahre getroffen werden. Mit den Maßnahmen in diesem Jahr im Gesamtumfang von über 20 Milliarden Euro wird nur ein um gut 0,6 Prozent höheres BIP erreicht. Die Maßnahmen setzen fast alle zu spät ein. Im nächsten Jahr ist der Impuls mit rund 25 Milliarden Euro zwar deutlich stärker und induziert ein höheres BIP von 0,9 Prozent gegenüber der Basisprognose. Dabei schlagen sich allerdings auch noch positive Folgeeffekte aus diesem Jahr nieder. Die ermittelten Beschäftigungseffekte für die Jahre 2009 und 2010 betragen 150 000 bzw. 450 000 Personen.
Berücksichtigt man die Effekte des Konjunkturpaketes II im Rahmen der IMK-Prognose, wird der konjunkturell angelegte Rückgang um 3,0 Prozent entsprechend abgeschwächt. Die Maßnahmen werden die Prognose in diesem Jahr um 0,6 Prozentpunkte günstiger ausfallen lassen. Infolgedessen verringert sich das BIP 2009 im Jahresdurchschnitt um 2,4 Prozent. Die gewählte Konstruktion des Konjunkturpakets II - das späte Inkrafttreten und der hohe Anteil von Steuer- und Abgabensenkungen - verhindern, dass die Wirtschaft in Deutschland bereits in diesem Jahr effektiv stabilisiert wird.
Es ist somit zu befürchten, dass die Arbeitsmarktpuffer wie der Abbau von Arbeitszeitkonten oder Kurzarbeit nicht bis zum vollen Wirksamwerden des Konjunkturprogramms vorhalten, um das Entstehen von Arbeitslosigkeit zu verhindern. Greift die Krise aber erst in vollem Umfang auf den Arbeitsmarkt über, sind auch alle Hoffnungen auf einen die Konjunktur stabilisierenden Konsum vergebens. Denn dann sinken trotz der nachlassenden Inflationsrate die Realeinkommen deutlich.
Gleichwohl könnte es mit Hilfe des Konjunkturpakets II gelingen, die abschüssige Konjunkturtendenz in eine mehr oder minder stagnierende Entwicklung zu überführen. Dies ist allerdings nur unter optimistischen Voraussetzungen möglich. Zum einen darf der Konjunkturimpuls sich nicht im föderalen Gestrüpp verstricken. Die Kommunen müssen die zusätzlichen Mittel in vollem Umfang für ihre Investitionen nutzen. Zum zweiten muss die derzeit sichtbare globale Abwärtsspirale auch dank internationaler Konjunkturprogramme zum Stillstand kommen. Es ist höchst unsicher, ob die beiden Voraussetzungen erfüllt werden. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Krise noch viel schärfer wird als hier prognostiziert.

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