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Förderung: „Es gibt ein Sicherheitsnetz"

Ausgabe 04/2022

Wer nicht in eine Akademikerfamilie geboren wurde, findet schwerer in ein Studium. Ein Gespräch mit Sarah Winter von der Studienförderung der Hans-Böckler-Stiftung über den Dschungel Hochschule und über die Unterstützung der Stiftung.

Menschen aus Nichtakademikerfamilien studieren immer noch seltener als Akademikerkinder. Woran liegt das?

Sarah Winter: Akademikerkinder gehen viel selbstverständlicher mit Niederlagen um und finden sich mithilfe ihrer Eltern auch leichter in dem System Hochschule zurecht. Dieser Dschungel offenbart sich ja nicht von selbst. Wer da keine Unterstützung bekommt, kann schon am Zugang scheitern. Zudem bedeutet ein Studium, sich finanziell auf unsichere Zeiten einzulassen. Schon das schreckt Menschen ab.

Ist das der Grund, warum Nichtakademiker auch dann seltener studieren, wenn sie eine Hochschulzugangsberechtigung haben?

Ihnen fehlen Vorbilder, und die Herkunftsfamilie ist häufig auch keine Unterstützung, im Gegenteil. Die Eltern sagen oft: „Warum willst du denn studieren? Geh doch erst mal arbeiten. Verdien doch mal Geld.“

Aber es gibt doch auch Eltern, die sich für ihre Kinder mehr Bildung wünschen, als sie selbst hatten?

Klar, die gibt es auch. Sie unterstützen ihre Kinder moralisch, und das ist auch wichtig. Aber was man braucht, um im System Hochschule zu bestehen, bekommen Kinder aus akademischen Familien quasi mit der Muttermilch. Das fehlt den anderen. Mit dem Studium betreten sie eine fremde Welt.

Mit der Böckler-Aktion Bildung will die Stiftung genau diese Menschen auf ihrem Weg zu einem akademischen Abschluss unterstützen. Wie hilft sie ihnen?

Wir sind die Ersten, die zu diesen Menschen sagen: „Was du machst, finden wir gut. Wir unterstützen dich dabei.“ Allein das Wissen: „Da hilft mir jemand“, erleichtert schon einiges. Natürlich spielt das Geld eine wichtige Rolle. Der Hinweis auf ein Stipendium ist für viele erst der Schlüssel zur Uni. Aber spannend finde ich unsere ideelle Förderung. Wir bieten ihnen Anlaufstellen für ihre Fragen an der Uni. In der Stiftung gibt es eine Ansprechperson, die sie begleitet und berät. Wir bieten ihnen Seminare zu gesellschafts- und zu gewerkschaftspolitischen Themen oder zu Schlüsselqualifikationen – Dinge, die sie an der Hochschule nicht bekommen. Und wer im Seminar merkt: „Da sind noch zehn andere mit einer ähnlichen Geschichte wie ich“, geht auch gestärkt aus dem Seminar heraus.

Brechen auch weniger ab, wenn sie unterstützt werden?

Es gibt auch dort Studienabbrecher. Aber Menschen mit Unterstützung brechen seltener ab. Sie haben das Gefühl, es gibt ein Sicherheitsnetz, das sie auffängt.

Das soziale Umfeld, in dem man aufwächst, prägt das eigene Verhalten. Fallen Menschen damit nicht immer auf, wenn sie sich in einem anderen sozialen Umfeld bewegen?

Klar stoßen sie da auf Schwierigkeiten, denn es hat auch immer etwas mit dem Habitus, dem Verhalten der anderen zu tun. Ich glaube, dass Menschen aus akademischen Elternhäusern über den eigenen Habitus gar nicht nachdenken. Dagegen denken Nichtakademikerkinder ständig über ihr eigenes Auftreten nach und fragen sich: „Komme ich in diesen Begegnungen klar? Wie muss ich mich verhalten? Was muss ich anziehen?“ Wir bieten ein Seminar „Business-Etikette“ an, wo es einfach um Knigge geht. Natürlich kann man kritisieren, was dort an Werten und Normen transportiert wird. Auf der anderen Seite ist aber auch klar: Um erst einmal ins Spiel zu kommen, muss ich das Spiel verstehen. Erst dann kann ich es verändern. Kleidung, Verhaltensregeln – das wurde vielen nicht in die Wiege gelegt. Sie kommen in ein System, das ihnen fremd ist, und fühlen sich erst einmal unwohl.

Lassen sich solche ungeschriebenen Regeln aufbrechen?

Es wäre sicher schon ein Anfang, darüber nachzudenken und zu reflektieren, dass es sie gibt.

Was bewirken die Stipendien der Stiftung gesellschaftlich?

Sie lösen sicher keine gesellschaftliche Revolution aus. Dafür sind es zu wenige. Nur ein Prozent der Studierenden bekommt ein Begabtenstipendium. Aber mit der Zielgruppe, die wir als Stiftung und über die Böckler-Aktion Bildung fördern, ist das schon ein wichtiger Beitrag. Zum einen für die Gewerkschaften, weil wir darüber   Leute reinholen, die vorher mit Gewerkschaften nicht direkt etwas am Hut hatten. Es gibt schon eine gewisse Nähe zu den Themen, aber sie waren in der Regel kein Mitglied. Zum anderen für mehr Chancengleichheit, weil wir Menschen ein Studium ermöglichen, die es sich sonst nicht hätten leisten können. „Du studierst, wir zahlen“ ist ja das Motto der Böckler-Aktion Bildung. So können sie Positionen erreichen, in die sie ohne die Förderung vielleicht nicht gekommen wären. An wie vielen Stellen unsere Ehemaligen nun in der Gesellschaft wirken, zeigen ja die Alumni-Portraits in jeder Ausgabe des Magazins.

 

Zur Person

Sarah Winter war von 2014 bis 2021 Referentin im Referat Bewerbung und dort unter anderem zuständig für die Böckler-Aktion Bildung. Aktuell leitet sie das Referat Alumni.

Über die Böckler-Aktion Bildung spricht die Stiftung Menschen an, die größtenteils aus Nichtkademikerfamilien kommen. Formale Voraussetzung für eine Bewerbung ist der Anspruch auf BAföG-Höchstsatz.

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