zurück
Magazin Mitbestimmung

: Einsame Spitze

Ausgabe 04/2010

CHEFETAGE Vorstände sind fast komplett in Männerhand, in den Aufsichtsräten ist nur dank der Arbeitnehmervertreterinnen jedes zehnte Mandat mit einer Frau besetzt. Der deutschen Regierung fehlt der Mut zur Frauenquote. Von Petra Riedel

PETRA RIEDEL ist Journalistin in München.

Es hätte ein großer Auftritt für die neue Bundesfamilienministerin werden können. Kristina Schröder, so hieß es, würde an diesem Tag im März 2010 erstmals genauer erläutern, wie die Bundesregierung den Frauenanteil in Führungspositionen erhöhen will. Die Konferenz "Mehr Frauen in die Aufsichtsräte" in Berlin schien dafür der geeignete Ort zu sein. Doch mit vielen Worten sagte Schröder: nichts. "Ich bin zuversichtlich, dass auch der politische Zug an Fahrt aufnehmen wird", erklärte sie zum Beispiel. Und sie versprach "im Namen der Bundesregierung, dass wir mit unserem Stufenplan das klare Ziel haben, die politischen Voraussetzungen für mehr Frauen in Führungspositionen zu schaffen". Doch wie das funktionieren soll und wann etwas geschehen soll, das verschwieg die CDU-Ministerin.

Als Schröders Rede vorbei war, trat die österreichische Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ans Pult. Sie verkündete in Berlin einen ernstzunehmenden Plan: Freiwillig sollen österreichische Unternehmen bis zum Jahr 2013 mindestens 25 Prozent Frauen in die Aufsichtsräte holen, sonst droht ihnen eine Gesetzesnovelle. Spätestens 2018 solle die Quote dann bei 40 Prozent liegen, kündigte die sozialdemokratische Ministerin an. Zu Hause in Wien war sie noch nie so konkret geworden. Heinisch-Hosek jedenfalls bekam in Berlin viel Beifall, den ihre deutsche Kollegin gar nicht mehr anhören musste: Kristina Schröder verließ während des Vortrags der österreichischen Ministerin den Saal und ging. Zu einem anderen wichtigen Termin.

Das Schweigen der einen Ministerin und das Reden der anderen zeigen, dass es für eine Frauenpolitikerin offenbar leicht ist, konkret zu werden, wenn das eigene Parlament weit weg ist. Doch der Mut zum Bekenntnis scheint mit jedem Kilometer zu sinken, den man den Entscheidungsträgern in der eigenen Hauptstadt näher kommt. (Man wüsste gern, was Kristina Schröder über Feminismus und Frauenpolitik sagen würde, wenn sie eines Tages nach Japan oder nach Namibia reist.)

Immerhin, ein paar Ausnahmen von diesem "Gesetz des sinkenden Mutes" gibt es - das sind jene Quotenbefürworter, die ihre Meinung auch dort vertreten, wo es ernst wird. Thomas Sattelberger, Telekom-Vorstand zum Beispiel. Er kam auf die Berliner Konferenz, um ein Fazit zu ziehen, das wohl kaum eine Frauenpolitikerin schärfer formulieren würde: "Leider haben die moralischen Bekundungen und Absichtserklärungen der deutschen Wirtschaft zur Frauenförderung nicht viel gebracht", sagte Sattelberger. "Auch wir haben mit Ernüchterung festgestellt, dass unsere jahrelangen Maßnahmen zur Frauenförderung zwar redlich und gut gemeint waren, der durchschlagende Erfolg blieb wie in allen großen Unternehmen leider aus." Sattelbergers Konsequenz: Die Telekom will eine Frauenquote für das mittlere und obere Management einführen, als erstes deutsches DAX-Unternehmen. Mindestens 30 Prozent dieser Positionen sollen bis zum Jahr 2015 die Frauen innehaben, derzeit sind es in der mittleren Führungsetage 16 und in der oberen 13 Prozent.

IST DAS EIN ANFANG?_ Nimmt die Wirtschaft nun ihre freiwillige Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2001 ernst, welche die Chancengleichheit in der Privatwirtschaft fördern sollte? "Nein", sagt Heide Pfarr, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. "Es hat auf diesem Gebiet immer einzelne Firmen gegeben, die fortschrittlicher waren als andere." Man solle sich nicht die Hoffnung machen, dass bald viele Unternehmen nachziehen würden, meint Pfarr. Für ihren Pessimismus spricht, dass dem Leser der Ministeriums-Bilanzen zur Chancengleichheit immer wieder die gleichen Firmennamen begegnen. Bei den vielen anderen Unternehmen bewegt sich fast nichts. "Traurig ist, dass die Familienministerin nach wie vor sagt, es ginge freiwillig. Darin aber irrt sie", sagt Pfarr.

Seit Jahren sind Vorstands- und Aufsichtsratsposten der deutschen Unternehmen fest in Männerhand. Und daran hat auch die Selbstverpflichtung der Unternehmen aus dem Jahr 2001 nichts geändert. Das zeigen die Zahlen des DIW. Das zeigt auch die Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung, die sich 2010 erneut die Geschlechterverteilung in den Unternehmen des DAX, MDAX, TecDAX und SDAX angeschaut hat: Von den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen haben 144 keine Frau im Vorstand; die Männer dominieren die oberste Etage mit 97 Prozent. Dabei gilt: "Je höher die Platzierung im Aktienindex, desto niedriger der Frauenanteil im Vorstand", sagt Marion Weckes, Referatsleiterin in der Abteilung Mitbestimmungsförderung. Im höchsten Börsensegment, dem DAX 30, gibt es nur eine einzige Vorstands-Frau, Barbara Kux bei Siemens.

In den Aufsichtsräten sähe es ohne die deutschen Mitbestimmungsregelungen wohl genauso aus. Doch weil in vielen Kontrollgremien dieser Aktiengesellschaften auch Vertreter der Arbeitnehmerseite ein Mandat haben, ist dort der Frauenanteil inzwischen auf 9,4 Prozent gestiegen. Jedes sechste Aufsichtsratsmandat der Arbeitnehmerseite ist bereits mit einer Frau besetzt; auf der Seite der Anteilseigner ist es eines von 26 - und selbst unter diesen wenigen sind noch Frauen, denen ein Teil des Unternehmens gehört, wie zum Beispiel Susanne Klatten bei BMW.

Bei den Aufsichtsräten nimmt der Frauenanteil zu, je höher das Unternehmen am Aktienmarkt bewertet wird. Der Grund: Die Unternehmen im DAX 30 haben bis auf zwei Ausnahmen alle einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Dagegen sind im MDAX 16 Prozent, im SDAX 62 Prozent und im TecDAX sogar 70 Prozent der Unternehmen ohne Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. "Je mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, desto größer ist der Frauenanteil", sagt Weckes. Keine Mitbestimmung - keine Frauen, bedeutet das.

"Ohne Frauenquote werden wir es nicht schaffen, die Männerphalanx aufzubrechen", sagt Heide Pfarr. In dieser Legislaturperiode wird es damit wohl nichts werden. Seit ihrer ersten gleichstellungspolitischen Rede im Bundestag weiß man von CDU-Ministerin Schröder, dass sie eine gesetzliche Frauenquote für die "Ultima Ratio" hält, der sie eine "Wirkung wie Cortison" zuschreibt: "Die Symptome verschwinden, aber die Ursachen bleiben." Wenn Gleichberechtigung entstehen soll, dann nur mit den Unternehmen, nicht gegen sie, glaubt Schröder. Stärkere Medikamente wird diese Ministerin wohl nicht verordnen.

Vielleicht wagt das die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Sie erstellt ein Regelwerk für gute Unternehmensführung; darin steht seit letztem Jahr eine Diversity-Empfehlung für Vorstände und Aufsichtsräte. Der Grundgedanke: Mehr Frauen und Ausländer in den obersten Etagen der Unternehmen sollen das "Selbstähnlichkeitsprinzip" aufbrechen, nach denen Chefs meist solche Chefs auswählen, die ihnen auf die eine oder andere Art gleichen.

Auf ihrer Sitzung im Mai will die Kommission diese Empfehlung präzisieren: Unternehmen sollen künftig berichten, in welchem Zeitraum sie mehr Frauen in ihre Aufsichtsräte holen wollen. "In dem bevorstehenden Kampf um die besten Talente wäre die mangelnde Berücksichtigung von Frauen nicht nur schlechte Corporate Governance, sondern auch ein gravierender Nachteil im globalen Wettbewerb", sagt der Kommissionsvorsitzende Klaus-Peter Müller.

MUTLOSE APPELLE_ Selbst Hans-Olaf Henkel wertet die Männerübermacht als "Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft". Falls sich daran nichts ändere, "muss der Gesetzgeber nach meiner festen Überzeugung auch nachhelfen", sagte der ehemalige BDI-Präsident im März in einem Interview mit dem Sender RBB. Doch Mut braucht der Ex-Manager für solche Sätze nicht mehr: Henkel ist soeben 70 Jahre alt geworden und Aufsichtsrat bei Bayer, Continental, der Daimler Luft- und Raumfahrt Holding, SMS, Ringier und Heliad Equity Partners. Die "Diversity" dort steigt durch seine Präsenz nicht.

Um Henkels Kritik zuzustimmen, muss man nicht einmal Feministin sein - die Ökonomie spricht für Frauen in Führungspositionen. So weist die Untersuchung "Women matter" von McKinsey aus dem Jahr 2007 nach, dass Unternehmen im Schnitt mehr Gewinn erwirtschaften, wenn sie mindestens drei Frauen im Vorstand haben. Auch Telekom-Vorstand Sattelberger zählt an erster Stelle betriebswirtschaftliche Gründe auf: "Unternehmen mit einem hohen Anteil an weiblichen Führungskräften schaffen im Wortsinne Mehrwert", sagte er im März in Berlin.

Wie viel in kurzer Zeit passieren kann, zeigt der Blick ins europäische Ausland: In Finnland fordert der Corporate Governance Kodex seit diesem Jahr, dass in jeden Aufsichtsrat Vertreter beider Geschlechter berufen werden müssen. Seit Jahresbeginn ist der Frauenanteil schon spürbar gestiegen. In Norwegen müssen die Unternehmen seit 2008 in ihren Boards eine Frauenquote von 40 Prozent vorweisen, jetzt liegt sie bei 42 Prozent. Frankreich steht kurz davor, diesem Beispiel zu folgen und eine gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte einzuführen, in den Niederlanden wird sie voraussichtlich sogar für die Vorstände kommen. Auch Spanien, Belgien und Schweden bereiten Gesetze vor oder haben schon welche.

In Deutschland geht es wohl weiter wie bisher: Soeben sind die Grünen im Bundestag mit ihrem schon öfter gestellten Antrag auf eine 40-Prozent-Quote in Aufsichtsräten gescheitert. Diesmal stimmte auch die SPD dafür, obwohl sie in ihrer Regierungszeit in der Großen Koalition den Grünen-Antrag zweimal abgelehnt hatte. Und wer war im Jahr 2001 noch Partner in der Berliner Koalition, als statt dem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft nur eine Selbstverpflichtung der Unternehmen zustande kam? Genau, die Grünen. Je näher man der Macht kommt, umso schwieriger wird der Einsatz für die Frauen.


Mehr Informationen

Die Böckler-Erhebung von Marion Weckes: "Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten" mit Daten aus den Jahren 2010, 2009 und 2008 finden Sie unter www.boeckler.de/pdf/mbf_gender_2010.pdf

Grundlage der Erhebung sind die erstgelisteten 160 börsennotierten Unternehmen des Dax-30, je 50 aus MDax und SDax und 30 aus dem TecDax.

Siehe auch einen Artikel in Böckler-Impuls
www.boeckler.de/32014_95294.html

Die DIW-Studie von Elke Holst/Anita Wiemer, "Frauen in Spitzengremien großer Unternehmen weiterhin massiv unterrepräsentiert", DIW-Wochenbericht 4/2010, finden Sie unter www.diw.de (Publikationen). Elke Holst untersucht die Repräsentation von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten in den 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland (ohne Finanzsektor) sowie den 100 größten Banken und 62 größten Versicherungen. Nur 2,5 Prozent aller Vorstandsmitglieder der 200 größten Unternehmen sind demnach derzeit Frauen. In den Aufsichtsräten nehmen Frauen ihrer Studie zufolge ein Zehntel aller Sitze ein.

Insgesamt sind in den von Elke Holst untersuchten Unternehmen rund drei Viertel der Frauen mit Sitz in einem Aufsichtsrat von Arbeitnehmervertretern entsandt.

In der Untersuchung "Frauen in Führungspositionen" des Instituts für Unternehmensführung der Uni Karlsruhe wurden für das Jahr 2008 die 600 börsennotierten Unternehmen des CDAX (Composite Dax) analysiert. Ergebnis: 2,4 Prozent der Vorstandsmitglieder sind Frauen, im Aufsichtsrat sind es 8,2 Prozent. Mehr unter www.ibu.uni-karlsruhe.de, dann Studie "Frauen in Führungspositionen" anklicken.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen