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Jan Schneider Magazin Mitbestimmung

Altstipendiat: Der Migrationsforscher

Ausgabe 05/2020

Jan Schneider ist seinen Interessen treu geblieben. Die Themen Flucht, Asyl und Integration bewegen ihn bereits seit seiner Schulzeit. Von Dirk Manten

Jan Schneider weiß, dass seine Leib- und Magenthemen in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Wer sich zur Migrations- und Ausländerpolitik äußert, muss seine Argumente besonders gründlich mit Fakten belegen. Vor ein paar Jahren löste Schneider ein enormes Medienecho aus, als eine breit angelegte Untersuchung unter seiner Federführung nachwies, wie Bewerber um Ausbildungsstellen diskriminiert werden, wenn sie türkisch klingende Namen haben. Ein Tim Schultheiß muss vier Bewerbungen schreiben, um zu einem Vorstellungsgespräch um eine Ausbildungsstelle als Kfz-Mechatroniker eingeladen zu werden, Hakan Yilmaz braucht sieben Anläufe. Abgesehen vom Namen sind die Bewerbungen absolut gleichwertig: Schulnoten deutlich über dem Durchschnitt, einschlägige Praktikumserfahrung, deutsche Staatsangehörigkeit.

Mithilfe fiktiver Bewerbungen, die an Hunderte Unternehmen verschickt wurden, konnte erstmals belegt werden, in welchem Ausmaß Jugendliche mit Migrationshintergrund am Ausbildungsmarkt diskriminiert werden, sagt Jan Schneider. Er hat derartige Untersuchungen zu seinem Beruf gemacht. Der 46 Jahre alte Sozialwissenschaftler leitet den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Seit acht Jahren arbeitet er hier. In seiner Freizeit betreibt er zum Ausgleich gerne Sport, er läuft zwei- bis dreimal die Woche und nimmt an Langstreckenrennen teil. Die Ausdauer, die er dabei gewinnt, helfe ihm auch bei der Arbeit, sagt er.

Themen wie Flucht und Asyl haben Schneider, der im beschaulichen Städtchen Lich in Hessen geboren und in Gießen aufgewachsen ist, früh beschäftigt: In der Schule interessierten ihn Kinder aus kroatischen, türkischen oder polnischen Elternhäusern am meisten. „Das andere, das Fremde hat mich neugierig gemacht.“ Anfang der 90er Jahre, während der Oberstufenzeit am Gymnasium in Gießen, wurde aus dem Interesse für Menschen aus fremden Kulturen Parteinahme und Engagement: Nach dem Angriff auf die Flüchtlingsunterkunft in Rostock-Lichtenhagen, dem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Familie in Solingen und den Einschränkungen des Asylrechts begann Schneider, an Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit und die Asylrechtsverschärfung teilzunehmen.

Nach Abitur und Zivildienst studierte Schneider Sozialpädagogik an der Fachhochschule Wiesbaden und begann nach dem Diplom ein Promotionsstudium der Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Gießen. Der junge Akademiker wurde Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und promovierte bei Claus Leggewie zum Thema: Beratungsregime in der deutschen Migrationspolitik.

Diesem Pfad ist Schneider beruflich stets treu geblieben. Eine Zeit lang war er Redakteur beim Newsletter Migration und Bevölkerung, er arbeitete für die Bundeszentrale für politische Bildung und für das Europäische Migrationsnetzwerk beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Schließlich kam er zum Sachverständigenrat, der sich als Expertengremium für die wissenschaftlich fundierte und handlungsorientierte Politikberatung sowie die kritische Politikbegleitung versteht.

Schneider ist Verdi-Mitglied. Die Leistungen seiner Gewerkschaft in der Antirassismus- und Integrationsarbeit würdigt er; im Kampf gegen prekäre Arbeit, der Migranten besonders oft ausgesetzt sind, sieht er ein wichtiges Thema für die Gewerkschaften. Allerdings wünscht er sich, dass seine Gewerkschaft ihre Stimme in Zukunft noch stärker erhebt, um für eine vielfältige und offene Gesellschaft einzutreten, „auch gegen die Widerstände, die teilweise in der eigenen Mitgliedschaft vorhanden sind“.

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