zurück
White Mana Diner Magazin Mitbestimmung

WISSENSCHAFT: Burger-Ökonomie

Ausgabe 06/2021

Einer der drei Wirtschaftsnobelpreisträger hat schon vor drei Jahrzehnten nachgewiesen, dass ein Mindestlohn nicht schädlich sein muss. Jetzt wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Von Kay Meiners

In der neoklassischen Theorie ist die Sache ganz einfach: Sinkt der Preis für ein Gut, dann steigt die  Nachfrage. Steigt der Preis, geht sie zurück. Übertragen auf den Arbeitsmarkt heißt das: Steigt der Lohn, sinkt die Nachfrage nach Arbeit. Die Zahl der Arbeitsplätze geht zurück. Wer darauf hinwies, dass die Sache  womöglich komplizierter ist, hatte es lange schwer. In den 2000er Jahren war auch in Deutschland die Mehrheit der Ökonomen davon überzeugt, dass ein gesetzlicher Mindestlohn sich negativ auf die Beschäftigung auswirken musste.

Jetzt wurde mit David Card ein Ökonom mit dem Nobelpreis geehrt, der gezeigt hat, dass Löhne keine reinen Marktpreise sind, sondern dass Arbeit- und Gesetzgeber einen Spielraum haben: Der Professor an der US-Universität Berkeley erhält die Hälfte des Preisgeldes. Die Ökonomen, Joshua Angrist und Guido Imbens teilen sich den Rest.

Ein natürliches Experiment
Im Jahr 1992, Card ist Mitte 30, bietet sich dem jungen Wissenschaftler, der damals in Princeton lehrt, und seinem Kollegen Alan Krueger eine Gelegenheit zur Feldforschung. Im Bundesstaat New Jersey wird der Mindestlohn von 4,25 Dollar auf 5,05 Dollar angehoben, während das Mindestsalär im Nachbarstaat Pennsylvania konstant bleibt. Ökonomen bezeichnen so eine Gelegenheit als „natürliches Experiment“. Card  und Krueger setzen in ihrer Methodik auf solche natürlichen Experimente, um herauszufinden, wie Menschen  sich tatsächlich verhalten. Um festzustellen, ob die Lohnerhöhung tatsächlich Jobs kostet, befragen sie die Manager von 410 Fast-Food-Restaurants. Ihr Schluss ist eindeutig: „Es gibt keinen Nachweis dafür, dass die Erhöhung des Mindestlohns die Beschäftigung reduziert hat.“ Die Fast-Food-Ketten in New Jersey stellen sogar mehr Personal ein als die in Pennsylvania.

Die Wissenschaftler können den Effekt nicht gut erklären. Eine Arbeitshypothese besagt, dass die Fast-Food-Ketten möglicherweise ihre starke Marktposition benutzt haben, um die Löhne für Geringqualifizierte zu rücken. Die Forscher verwerfen die These – und fragen sich, ob vielleicht die Servicequalität schlechter geworden sei. Aber auch dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Der aus der Neoklassik-Denkschule stammende Card habe „mit seinen empirischen Untersuchungen die neoklassische Arbeitsmarkttheorie ganz schön durcheinandergewirbelt“, sagt Thorsten Schulten, der das Referat Arbeits- und Tarifpolitik in Europa am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung leitet. Das WSI hat früh auf Arbeiten hingewiesen, die Zweifel an der klassischen Theorie nährten. „Heute wird kaum mehr bestritten, dass der Lohn als Preis der Arbeit nur ein Faktor unter vielen ist, die über das Ausmaß der Beschäftigung entscheiden“, sagt Schulten.

Die Hälfte aller VWL-Nachwuchswissenschaftler arbeite mit Techniken, die Card maßgeblich mitentwickelt hat, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Cards Methodik spiele für seine eigene Forschung eine "riesige Rolle“, etwa was die Bedeutung firmenspezifischer Lohnkomponenten angehe. Südekum sagt, er habe den „Card’schen Ansatz aus der Perspektive lokaler Arbeitsmärkte in Deutschland erweitert“ und könne sich kaum einen würdigeren Preisträger als den 1956 im kanadischen Guelph geborenen Ökonomen vorstellen.

Argumente für die Demokraten
Schon zu Beginn seiner Karriere untersuchte Card, ob die Ankunft kubanischer Flüchtlinge Lohndruck auf dem Arbeitsmarkt in Miami erzeugte. Während der Mariel-Bootskrise 1980, benannt nach dem Hafen Mariel bei Havanna, reisten rund 125 000 Kubaner mit amerikanischer Hilfe nach Florida aus. Als die Frage aufkam, ob das ein Problem für den Arbeitsmarkt sei, lautete Cards Antwort: Nein. Mehrmals hat Card, wie Südekum sagt,„Mythen entzaubert, die lange Zeit die Diskussion dominiert hatten“. Vor allem für die Demokraten war seine Forschung – besonders die Burger-Studie, über Jahrzehnte Argumentefutter. Als Cards Co-Autor Alan Krueger 2019 starb, würdigte der frühere US-Präsident Barack Obama, der mit Krueger befreundet war und ihn zum Chefökonomen im Weißen Haus gemacht hatte, in einem sehr persönlichen Nachruf auch die „wegweisende, praxisnahe Studie über die positiven Auswirkungen des Mindestlohns“.

Christoph M. Schmidt, der Leiter des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen, gehört zu den Wissenschaftlern, die David Card persönlich kennen. Denn er hat bei ihm promoviert. Schmidt beschreibt ihn so: „Bei seiner Forschung ist er kompromisslos, was die Schärfe der Argumente und die methodische Tiefe angeht. Und er sucht unermüdlich nach einem direkten und unprätentiösen Zugang zu seinem Analysegegenstand.“„Unprätentios“, das ist ein Wort, das perfekt zum Fast Food passt. Die britische Zeitschrift The Economist erkannte allerdings schon ein paar Jahre vor Card den Wert der Burger für die Ökonomie, als sie den Big-Mac-Index erfand. Der Index ist ein grobes Maß für weltweite Kaufkraftparitäten, das misst, wie viel der Burger in verschiedenen Ländern kostet.

Im Jahr 1992, als Card über die Burger-Brater forschte, waren es in den USA im Durchschnitt 2,19 Dollar.  Mindestlohnverdiener aus New Jersey mussten dafür 31 Minuten Arbeitszeit aufwenden. Nach der Erhöhung des Mindestlohns waren es fünf Minuten weniger. Staatliche Regulierung hatte ihre Arbeit wertvoller gemacht.

  • David Card
    Nobelpreisträger David Card

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen