Transformation: Unterstützung zulässig
Wenn die sozial-ökologische Transformation gelingen soll, muss der Staat Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern unter die Arme greifen. Das ist europarechtlich kein Problem.
Die EU gilt vielen als ein ausschließlich auf Markt und Wettbewerb ausgerichtetes Konstrukt, in dem sozial motivierte staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsgeschehen keinen Platz haben. Eine Gruppe, Branche oder Region staatlich zu subventionieren, ist nur in ganz bestimmten Fällen und unter strengen Voraussetzungen möglich. Ist ein großflächiger ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, der an vielen Stellen einer sozialen Abfederung bedarf, unter diesen Vorzeichen überhaupt umsetzbar? Das hat Wolfram Cremer, Professor für Europarecht an der Universität Bochum, im Auftrag des HSI untersucht.
Zuwendungen „bedürfen als Beihilfen im Sinne des EU-Beihilfenrechts einer Rechtfertigung nach Maßgabe der einschlägigen Regeln“, so Cremer. Zu rechtfertigen sind sie etwa, wenn das begünstigte Unternehmen soziale Vorgaben erfüllen muss wie Standort-, Arbeitsplatzerhaltungs- oder Tariftreuezusagen. Ein Beispiel ist die Unterstützung von Unternehmen im Rahmen der Preisbremsen für Gas und Strom im Jahr 2021, die an eine Pflicht zum Erhalt von Arbeitsplätzen gebunden wurde.
Um festzustellen, welche Kriterien genau erfüllt sein müssen, ist laut Cremer zunächst eine eingehende Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des EU-Primärrechts nötig. Nach seiner Untersuchung ist der EU keineswegs eine „dezidiert interventionsaverse marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung“ eingeschrieben. Aus den grundlegenden Dokumenten ergebe sich lediglich eine „Absage an eine zentrale Verwaltungswirtschaft“. Im Zeitverlauf hätten soziale Anliegen zudem an Bedeutung gewonnen: Während im Vertrag von Maastricht noch von „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ die Rede war, heißt es im jüngeren Vertrag von Lissabon, das Ziel sei eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“. Die soziale Dimension, der Anspruch, Ausgrenzung und Diskriminierung zu verhindern sowie eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, spielten im Selbstverständnis der EU heute eine wichtige Rolle, wie den Vertragstexten zu entnehmen sei.
Auch die nachgeordneten Ebenen des Europarechts hat der Jurist unter die Lupe genommen. Er betont, dass das Beihilfenverbot durchaus Ausnahmen für „Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher“ und auch für die Förderung von Unternehmen kennt. Legitim ist zudem die „Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“. Als solche kommen Cremer zufolge „gerade transformationsgetriebene Vorhaben“ mit sozialer Stoßrichtung in Betracht.
Schließlich gibt es noch die europäischen Fonds, aus deren Mitteln wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten in der EU entgegengewirkt werden soll. Beispiele dafür sind der Fonds für regionale Entwicklung und der Fonds für einen gerechten Übergang. Letzterer soll Regionen und Menschen dabei unterstützen, die sozialen, beschäftigungsspezifischen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des Übergangs zu den energie- und klimapolitischen Vorgaben sowie zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu bewältigen.
Aber was sagt das EU-Recht zur praktischen Umsetzung? Der festgeschriebene Finanzierungsmodus – nach dem Grundsatz der geteilten Mittelverwaltung zwischen EU und Mitgliedsstaaten – sieht die Einbeziehung der Wirtschafts- und Sozialpartner vor. Das bedeutet, so Cremer, dass nicht zuletzt die Gewerkschaften auf die inhaltliche Planung Einfluss nehmen können.
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Wolfram Cremer: Soziale Kriterien und EU-Beihilfenrecht, HSI-Schriftenreihe Bd. 58, Juli 2025