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Magazin Mitbestimmung

Von JÖRN BOEWE: Böckler-Wissenschaftler: Jede sechste Gründung eines Betriebsrats wird behindert

Ausgabe 07/2017

Wissen Massive Interventionen der Arbeitgeber sind nicht selten, wenn Betriebsräte neu entstehen. Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, wie häufig die Verstöße sind – und dass sie kaum geahndet werden.

Von JÖRN BOEWE

„Ich wollte einfach nicht klein beigeben“, sagt Ulrike Mandel-Gier. „Dass er alles zerstört, was wir uns mühsam aufgebaut haben.“ „Er“ ist Thomas Müller, Geschäftsführer der Flensburger Reinigungsfirma Beyersdorf, in dem Ulrike Mandel-Gier und ihre Kollegen seit 2000 einen Betriebsrat aufgebaut haben. Müller hat jahrelang alle Register gezogen, um die Betriebsratsarbeit bei Beyersdorf zu behindern und die Betriebsratsvorsitzende Ulrike Mandel-Gier aus dem Betrieb zu drängen. Doch er kam damit nicht durch.

Den ersten Eklat hatte es zur Jahrtausendwende gegeben, als Ulrike Mandel-Gier und andere die Initiative zur Betriebsratsgründung ergriffen. Ein Betriebsrat bei dem bis dato immer mitbestimmungsfreien Mittelständler? „Das ging ja gar nicht, das war ein Sakrileg“, erinnert sich Mandel-Gier. Einzeln wurden die frischgewählten Betriebsratsmitglieder in Personalgesprächen bearbeitet: „Da wurde eingeschüchtert, mit Entlassung gedroht.“

Das aggressive Vorgehen hatte zunächst teilweise Erfolg: Bei der nächsten Wahl 2002 wurde Ulrike Mandel-Gier als Betriebsratsvorsitzende abgesetzt. Zwar hatte sie immer noch die meisten Stimmen, aber die Geschäftsführung hatte es mit ihrer Verunsicherungskampagne geschafft, für eine arbeitgebernahe Mehrheit im Gremium zu sorgen. Die Situation änderte sich schlagartig, als bei der Betriebsratswahl 2010 die Liste der IG BAU mit Ulrike Mandel-Gier an der Spitze die Mehrheit bekam.

Jetzt ging der Krieg von Neuem los, nur heftiger: Mit zwei fristlosen Kündigungen versuchte Müller, Ulrike Mandel-Gier unter fadenscheinigen Vorwänden aus dem Betrieb zu werfen. Mitglieder der arbeitgebernahen Liste sammelten vermeintliches Beweismaterial gegen die Betriebsratsvorsitzende. Die Vorwürfe waren abstrus: Mandel-Gier habe ihren Betriebsratskolleginnen „vorgespiegelt“, sie hätten einen Anspruch auf Schulungen und Literatur zum Betriebsverfassungsgesetz, hieß es etwa.

Kein Wunder, dass das Mandel-Gier ziemlich kalt ließ. Daraufhin bot der Geschäftsführer eine sechsstellige Geldsumme, wenn die Betriebsratsvorsitzende freiwillig gehen würde. „Wieder und wieder hat er versucht, mir eine Abfindung schmackhaft zu machen“, erinnert sich Ulrike Mandel Gier. „Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt. Akzeptieren Sie endlich, dass ich Nein gesagt habe. Und Nein heißt Nein.“

Jede sechste Neugründung wird behindert

Noch vor wenigen Jahren galten Fälle wie der von Ulrike Mandel-Gier als exotische Ausnahmen vom ansonsten gut funktionierenden deutschen Mitbestimmungsmodell – als bedauerliche, aber letztlich untypische Einzelfälle von Unternehmerwillkür. Doch dieser Befund stimmt längst nicht mehr, so Martin Behrens vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Gemeinsam mit seinem Kollegen Heiner Dribbusch hat er 250 lokale Gliederungen der Gewerkschaften  IG Metall, IG BCE und NGG nach ihren Erfahrungen mit Betriebsratsbehinderungen und -verhinderungen befragt.

Das Ergebnis: Mitbestimmungsfeindliches Arbeitgeberverhalten ist „mittlerweile in die Kernbereiche der deutschen Arbeitsbeziehungen vorgedrungen“. Jede sechste Betriebsratsgründung wird aktiv behindert – und das allein im Organisationsbereich von IG Metall und IG BCE, also Bereichen, die traditionell als mitbestimmungsstark gelten. Noch alarmierender ist, dass jeder dritte Versuch erfolgreich ist: In 32 Prozent dieser Fälle kam es am Ende nicht zur Wahl eines Betriebsrates.

Die Methoden, die Arbeitgeber dabei anwenden, sind vielfältig: Ganz oben steht die Einschüchterung möglicher Kandidaten bis hin zur tatsächlichen Kündigung. Ein gängiges Szenario: Zunächst versuchen Arbeitgeber, die Bestellung eines Wahlvorstandes zu verhindern. Gelingt das nicht, werden arbeitgebernahe Kandidaten unterstützt, um den künftigen Betriebsrat zu neutralisieren. Gewerkschaftssekretären wird der Zugang zum Betrieb verwehrt, die Herausgabe von Personallisten wird verweigert, auch das „Herauskaufen“ von Kandidaten kommt häufiger vor als man denkt. Unternehmen werden gezielt reorganisiert, aufgespalten und verlagert,  Bereiche werden ausgegründet und ganze Betriebe geschlossen. In jedem zweiten Fall sind dabei Anwaltskanzleien involviert – mitunter spezialisierte Unternehmen, meist jedoch die Hausanwälte der Firmen.

Es gibt nur wenige Strafanzeigen

Klaus Ulrich, Mitbestimmungsexperte der IG BAU, war mit vielen Fällen dieser Art konfrontiert. „Manche Arbeitgeber erklären, es gäbe einen Betriebsrat nur über ihre Leiche, oder sie kündigen an, dass sie ein Fass Bier ausgeben, wenn die Wahl nicht zustande kommt“, berichtet der Jurist. Einem Gewerkschaftssekretär sei der Zugang zum Betrieb mit dem Drohung verwehrt worden, gleich die Hunde loszulassen. „Wenn es zur Wahl kommt, hau ich euch auf die Fresse“, mussten sich Beschäftigte einer Baufirma anhören. Betriebsräten werden Schulungen und Büroausstattung verweigert, Aufstiegschancen verbaut. Manche Arbeitgeber würden gar Prämien für Gewerkschaftsaustritte zahlen, erklärt Ulrich.

All das ist nach Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz strafbar, es wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geahndet. Praktisch wird die Behinderung von Betriebsräten jedoch kaum verfolgt. Gewerkschafter aller Branchen berichten seit Jahren über schleppende Verfahren und Staatsanwälte, die weder vom Arbeitsrecht noch von der Mitbestimmung im Betrieb ausreichend Ahnung haben. Dazu kommen Konstruktionsfehler im Gesetz: Betriebsratsbehinderung wird nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag verfolgt und – geradezu absurd: Der Versuch ist nicht strafbar, bestraft wird nur die „erfolgreiche“ Behinderung. Ein Arbeitgeber kann seinen Betriebsrat mit einem Dutzend unbegründeter Kündigungen bombardieren – solange diese vor den Arbeitsgerichten keinen Bestand haben, hat er nichts zu befürchten.

Kein Wunder, dass Betroffene sich überhaupt nur äußerst selten an die Behörden wenden. „Die Staatsanwaltschaft ist nicht unsere Freundin“, so Ulrichs Fazit. Die Studie von Behrens und Dribbusch bestätigt es: Nur in 7,7 Prozent der Fälle sabotierter Betriebsratswahlen wurden Strafanzeigen gestellt. Um Abhilfe zu schaffen, fordert der DGB seit Jahren Schwerpunktstaatsanwaltschaften wie es sie für Wirtschafts- und Internetkriminalität seit langem gibt. Fakt ist: Die „eklatante Nichteffizienz des deutschen Rechtsstaats“ – so Behrens – bei Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz, ist geradezu eine Ermutigung  für gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindliche Arbeitgeber.

Der Mittelstand ist die Problemzone

Die meisten Probleme machen weder die ganz großen noch die ganz kleinen Betriebe. In der Großindustrie gibt es meist funktionierende Betriebsräte, in Kleinunternehmen werden in der Regel nicht mal Versuche gemacht, welche zu wählen – und wo nichts ist, kann auch nicht behindert werden. Die „Zone, in der es brennt“, so WSI-Forscher Behrens, sind mittelgroße Betriebe mit Beschäftigtenzahlen zwischen 50 und 200. Das Risiko steigt, wenn die Unternehmen inhabergeführt sind. Die Diagnose von Dribbusch und Behrens deckt sich mit den Erfahrungen aus den Gewerkschaften. Das wurde jüngst auch auf der DGB-Veranstaltung „Mitbestimmung stärken – Betriebsratsbehinderung stoppen!“ deutlich, die Ende Juni in Berlin stattfand: Die IG Metall macht die meisten Probleme in Betrieben mit zwischen 50 und 500 Beschäftigten aus, die IG BAU spricht von 100 bis 400.

Die Betriebsratsbehinderungen sind nur Teil eines größeren Problems. Behrens nennt es das „Niedergangsszenario der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland“: 1996 arbeiteten noch 51 Prozent der Beschäftigten im Westen und 43 Prozent der Beschäftigten Ost in Betrieben mit Betriebsrat. 20 Jahre später ist der Anteil im Westen auf 42 Prozent gefallen, und im Osten arbeitet nur noch jeder Dritte in einem mitbestimmten Betrieb. 91 Prozent aller Betriebe haben überhaupt keinen Betriebsrat.

„Kritisch sind die weißen Flecken“, so Behrens. „Immer dann, wenn Beschäftigte und ihre Gewerkschaften am Status quo der Betriebsratslosigkeit rütteln, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Problemen kommt.“ Doch die Studie zeigt auch: Sind Betriebsräte erst einmal etabliert, nimmt der Arbeitgeberwiderstand deutlich ab. Maßnahmen gegen bestehende Betriebsräte kommen erheblich seltener vor.

Und so hat sich auch die Reinigungsfirma Beyersdorf in Flensburg mit dem Betriebsrat arrangieren müssen. Funktioniert hat das aber nur, weil Ulrike Mandel-Gier und ihre Kollegen zusammengehalten haben und standhaft geblieben sind. „Leicht war das nicht“, erinnert sich die Flensburgerin, die seit April im Ruhestand ist. „Wir hatten am Anfang ja keine Erfahrung. Ohne Unterstützung der IG BAU hätte ich das nicht geschafft.“

Ohne dieses Engagement würde es vermutlich noch heute bei Beyersdorf keinen Betriebsrat geben, ist sie sich sicher –  jedenfalls keinen, der die Interessen der Beschäftigten vertritt. Für Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen wollen und auf Gegenwind beim Arbeitgeber treffen, hat sie einen Rat: „Mit einer starken Gewerkschaft im Rücken kann man es schaffen.“ Und: „Man muss die Nerven behalten.“

Aufmacherfoto: Uli Baatz

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