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Lars Buchholz, IG Metall (li.) und Isabelle Gagel, Verdi, im Gespräch Magazin Mitbestimmung

Mitgliederwerbung: „Willst du, dass es besser wird? Mach mit!“

Ausgabe 04/2025

Lars Buchholz betreut bei der IG Metall in Berlin das Handwerk und hat bereits in den 1990er Jahren Jugendarbeit gemacht. Isabelle Gagel ist Verdi-Landesjugendsekretärin in Berlin-Brandenburg. Ein Austausch zwischen den Generationen. Das Gespräch führte Fabienne Melzer

Unterscheidet sich gewerkschaftliche Jugendarbeit heute von der vor 30 Jahren?

ISABELLE GAGEL: Das kann ich als jüngere von uns beiden schwer sagen. Der Ausbildungs- und Studi-Start war sicher schon immer ein zentraler Punkt in der Jugendarbeit. Jedenfalls war es bei mir so, als ich bei Daimler angefangen habe.

Hier in Berlin?

ISABELLE GAGEL: Das war in Mannheim. Im Betrieb waren alle in der Gewerkschaft. Ich habe als Flexi-Arbeiterin und später als Werkstudentin dort gearbeitet, und das war richtig geil, weil ich jeden Tag diesen Zusammenhalt in der Belegschaft gespürt habe. Ich habe erlebt, dass wir Probleme lösen können, weil wir gemeinsam stärker sind als allein. Ich glaube, das zeigt ganz gut, was junge Menschen an Gewerkschaft begeistert und sie auch dabeibleiben lässt.

War das bei Ihnen ähnlich, Herr Buchholz?

LARS BUCHHOLZ: Gar nicht. Als ich 1990 in Brandenburg im Stahlwerk meine Ausbildung angefangen habe, herrschte im Osten ein großes Durcheinander. Betriebsratswahlen hatte es zwar schon gegeben, aber in der Ausbildung kam nichts von Gewerkschaft an. Irgendwann lief dann mal einer bei uns vorbei, und ich fragte meinen Ausbilder, wer das ist. „Der Beauftragte der Gewerkschaft“, war die Antwort. Von meiner Mutter hatte ich mal gehört, dass Gewerkschaft wichtig ist. Also bin ich hinterher und habe zehn Aufnahmeanträge für die Azubis mitgenommen. Das, was du beschrieben hast, dass alle dabei sind, musste sich bei uns erst entwickeln.

Wie erleben Sie junge Menschen heute?

ISABELLE GAGEL: Anders als es in den Medien dargestellt wird. Da heißt es ja, die Jugend ist faul, die wollen alle nicht mehr arbeiten, nur noch Work-Life-Balance. Das ist nicht das, was ich tagtäglich erlebe. Natürlich haben sie Angst angesichts der Krisen und allem, was in der Welt schiefläuft. Aber ihnen sind ein sicherer Arbeitsplatz und eine gute Ausbildung wichtig. Dafür sind sie auch bereit, viel zu tun.

Ich habe erlebt, dass wir Probleme lösen können, weil wir gemeinsam stärker sind als allein.“

ISABELLE GAGEL, Landesjugendsekretärin im Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg

Auch sich in der Gewerkschaft zu engagieren?

ISABELLE GAGEL: Wenn sie merken, Gewerkschaft hat etwas mit meiner Lebensrealität zu tun, dann sind sie dabei. Unabhängig von Generationen. Es hängt aber auch mit dem Standing der Gewerkschaft im Betrieb zusammen. Wo gewerkschaftliche Tradition abbricht, der Organisationsgrad sinkt und die Arbeit im Betrieb zerfasert, wird es schwieriger. Wenn in Vorstellungsrunden Personalleitungen oder Lehrkräfte dabei sind, sagen sie oft zu den Azubis: „Füllt hier bloß nichts aus.“ Da spüre ich schon einen stärkeren Gegenwind.

LARS BUCHHOLZ: Früher haben wir eine Begrüßungsrunde im Betrieb gemacht, erklärt, wie Gewerkschaft funktioniert, Aufnahmescheine ausgeteilt und zack – alle eingetreten. Das funktioniert heute nicht mehr. Es kommen viel mehr kritische Fragen. Das finde ich gut. Wir müssen viel besser argumentieren.

ISABELLE GAGEL: Es gibt Konzepte, die sagen, du musst fünf Mal „Ja“ gedacht haben, bevor du in die Gewerkschaft eintrittst. Das kann ganz schnell gehen. Mancher sagt schon beim ersten Gespräch im Kopf: „Ja, ja, ja, ja, ja, bin dabei.“ Es kann aber auch mehrere Anläufe brauchen.

Wann sagen junge Menschen im Kopf „Ja“ zur Gewerkschaft?

ISABELLE GAGEL: Viele treten bei unseren Jugendstreiktagen ein. Da geht es um ihre Themen wie die unbefristete Übernahme. Auch bei politischen Aktionen gewinnen wir junge Menschen. Wir machen als Verdi-Jugend beim Bündnis „Widersetzen“ mit. Zu einer Aktion in Essen sind viele Studis mitgefahren, die noch kein Gewerkschaftsmitglied waren. Auf der Rückfahrt drückte mir eine Kollegin 40 Beitritte in die Hand. Wichtig sind auch Netzwerke. Mit unserem Mapping erstellen wir eine Art von Landkarte, die Schlüsselpersonen und Themen in einem Betrieb in den Ausbildungsjahrgängen und Berufen erfasst. Wir bieten Ansprachetrainings. Bei betrieblichen und tarifpolitischen Kampagnen können Azubis und Dual Studierende mit Fragebögen, sogenannten Stärketest, beispielsweise die Streikbereitschaft abfragen und messen, wie stark die Unterstützung ist. Dieses strukturierte Vorgehen hat uns im Landesbezirk 2024 ein Mitgliederplus bei den Jungen von 20 Prozent gebracht.

Wie wichtig sind politische Angebote?

LARS BUCHHOLZ: Früher waren wir einer der wenigen Anbieter von politischer Jugendarbeit, von Bildung, von Spaß, von jeder Menge Unsinn, vom politischen Tauziehen über Kisten klettern bis zum Rockkonzert. Damals gab es vier oder fünf Anbieter. Heute gibt es jedes Wochenende Hunderte Festivals. Politisch kann sich jeder überall betätigen – von Fridays for Future über die Letzte Generation bis zur Grünen Jugend – in dieser Gemengelage sind wir einer von vielen. Von diesen Angeboten müssen wir uns unterscheiden.

Grafik zum sozialen und politischen Engagement von Jugendlichen

Was macht den Unterschied?

LARS BUCHHOLZ: Die Qualität der Ausbildung war immer ein Punkt, mit dem wir Jungs und Mädels dazu kriegen, sich politisch zu engagieren. „Willst du, dass es besser wird? Mach mit!“ Mitte der 1990er haben wir mal unsere Auszubildenden gefragt, was ihnen an der Ausbildung nicht gefällt. Die Antworten lauteten: Berufsschulausstattung, zu wenig Lehrer, Unterrichtsausfall.

ISABELLE GAGEL: Wir machen gerade einen Berufsschulcheck. Da beklagen sie genau dasselbe. Diese Themen, da stimme ich dir absolut zu, müssen wir in den Vordergrund stellen. Das macht kein anderer. Ein anderes großes Thema für Auszubildende ist die Wohnungsnot. Sie müssen zum Teil Nebenjobs annehmen, weil sie sich die Miete nicht leisten können. Wenn die Löhne von den Mieten aufgefressen werden, funktioniert das Ganze nicht. Deshalb machen wir hier in Berlin politische Kampagnen zum Azubi-Wohnen.

LARS BUCHHOLZ: Wir haben schon vor mehr als 20 Jahren auf einer Landesjugendkonferenz diskutiert, dass wir eigentlich Azubi-Wohnheime brauchen. Schon damals konnte sich kein Azubi die Mieten leisten.

ISABELLE GAGEL: Ich glaube, viele Themen sind einfach Dauerbrenner. Ich erinnere mich gerade an den Spruch der Jusos: „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt.“ Jetzt stehen wir kurz davor, in Berlin eine Ausbildungsumlage zu bekommen.

LARS BUCHHOLZ: Den hatten sie von uns, das war der Slogan einer Kampagne zur Ausbildungsumlage der IG Metall Jugend Ende der 1990er Jahre.

Für die Gewerkschaft war es immer schwierig, Hochqualifizierte zu gewinnen. Sind Studierende heute offener?

LARS BUCHHOLZ: Früher kam nur eine bestimmte Klientel unter den Studierenden zur Gewerkschaft: Friedensbewegte oder Kommunisten. Heute sind wir an Hochschulen präsent mit eigenen Büros, bieten eigene Studiengänge und Arbeits- und Sozialrechtsberatung an. Studierende haben heute ein anderes Bild von uns.

ISABELLE GAGEL: Als Verdi organisieren wir ja auch die Beschäftigten an den Hochschulen. Wir informieren beim Studi-Start die Studierenden und kämpfen auch für die Einführung eines Tarifvertrags für die studentischen Hilfskräfte und in Berlin für eine Verbesserung. Der TVStud ist ein ganz großer Gamechanger. Damit erreichen wir viele an den Hochschulen.

Es kommen viel mehr kritische Fragen. Das finde ich gut. Wir müssen viel besser argumentieren.“

LARS BUCHHOLZ, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Berlin

Geändert hat sich seit den 1990er Jahren das Medienangebot. Merken Sie das?

LARS BUCHHOLZ: Ja, bei der politischen Bildung. Die war früher einfacher. Da konnten wir Texte lesen, analysieren und das Gelernte mitnehmen. Heute schaut jeder auf dem Handy nach und da steht dann vielleicht was ganz anderes, als der Seminarleiter gerade erzählt.

ISABELLE GAGEL: Fake News sind ein großes Thema. Da machen wir gerade ein Projekt zu. Auf diesen ganzen Social-Media-Kanälen geht es immer nur um das Individuum, nie um das Wir. Es geht immer darum, wie kann ich noch schlanker, noch besser werden, wie kann ich selbst den meisten Nutzen für mich rausbekommen. Dieser neoliberale Gedanke ist ganz tief verankert. Bei der Berufsschultour im Handel meldete sich ein Kollege und sagte: „Das eine Prozent Mitgliedsbeitrag investiere ich in Krypto. Dann werde ich reich und bin selbst der Arbeitgeber.“

Klingt ziemlich ich-bezogen und gar nicht nach Gewerkschaft.

ISABELLE GAGEL: Es sind zum Teil auch Folgen der Coronapandemie, die zu einer krassen Vereinzelung geführt haben. Diejenigen, die damals im Online-Unterricht allein zu Hause saßen, starten jetzt in die Ausbildung. Es ist aber ein menschliches Bedürfnis, dazuzugehören. Das merkt man, sobald sie einmal beim Sommercamp dabei waren. Wenn sie mit dem Herzen verstanden haben, dass Gewerkschaft ihr Mittel ist, um etwas zu erreichen, dann ist das, was man da beim Scrollen sieht, gar nicht mehr so wichtig.

LARS BUCHHOLZ: Diese Individualisierung nehme ich auch wahr. Ich finde es immer ganz faszinierend, dass viele sagen, mache ich allein, krieg ich auch so hin. Auf eine Party gehst du auch allein, machst allein für dich Musik und trinkst allein? Das ist doch totaler Quark.

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