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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Zeit auf der hohen Kante

Ausgabe 20/2018

Arbeitszeitkonten nützten lange vor allem den Arbeitgebern. Doch das Blatt scheint sich langsam zugunsten der Beschäftigten zu wenden.

Wer profitiert von Arbeitszeitkonten – die Beschäftigten, weil sie private Bedürfnisse und berufliche Pflichten besser unter einen Hut bekommen? Oder die Unternehmen, weil sie den Arbeitseinsatz optimal auf Markterfordernisse abstimmen können? Im günstigsten Fall haben beide Seiten einen Vorteil, weil sich ihre jeweiligen Interessen an vorübergehend kürzerer oder längerer Arbeitszeit decken. Und in mancher Hinsicht ziehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ohnehin an einem Strang, etwa wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit und damit den langfristigen Bestand des Unternehmens geht, so Hermann Groß, Manuela Maschke und Sandra Mierich, die Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeitkonten aus den Jahren 1994 bis 2016 ausgewertet haben. Nach der Analyse des Arbeitszeitforschers und der Expertinnen für Betriebsvereinbarungen der Hans-Böckler-Stiftung ist das „wichtigste Ziel von Arbeitszeitkonten“ die „Bewältigung von Marktforderungen“. Allerdings stellen die Wissenschaftler auch fest: „In den letzten Jahren können Beschäftigte innerhalb der betrieblichen Erfordernisse mehr über ihre Zeit verfügen.“ Arbeitszeitkonten seien „sehr häufig die Voraussetzung, um den Raum für flexible Zeitgestaltung zu nutzen, sofern sie existieren und Beschäftigte und Betriebsräte mitreden können“. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der Vereinbarungen, die in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums abgeschlossen wurden, mit neueren Übereinkünften.

Der Untersuchung liegen 587 Vereinbarungen zu Kurzzeitkonten zugrunde, die den Auf- und Abbau von Zeitguthaben oder -schulden innerhalb eines Jahres erlauben, sowie 83 Vereinbarungen zu Langzeitkonten. Dabei zeigt sich unter anderem, dass „die Schwankungsbreiten für zeitliche Flexibilität“ im produzierenden Gewerbe höher als in der Dienstleistungswirtschaft sind. Das dürfte eine Folge der größeren Konjunkturempfindlichkeit der Industrie sein. Grundsätzlich habe die „relative Zeitautonomie der Beschäftigten“ im Service­sektor ein höheres Gewicht, so Groß, Maschke und Mierich. Bei Kurzzeitkonten stünden meist betriebliche Interessen im Vordergrund, Langzeitkonten dienten auch dazu, Arbeitnehmern längere Auszeiten zu ermöglichen.

Knapp ein Viertel der Kurzzeitkonten sind sogenannte Ampelkonten, bei denen die Arbeitszeitsalden im grünen, gelben oder – kritischen – roten Bereich liegen können. In diesem Fall ist häufig vorgesehen, Betriebs- oder Personalrat hinzuzuziehen, um einen Weg zum Überstundenabbau zu finden.

Bei den weniger verbreiteten Langzeitkonten stellt sich zudem die Frage: Was passiert mit der angesparten Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber pleitegeht? Dann greift eine Insolvenzsicherung, die seit 2009 gesetzlich vorgeschrieben ist. Außerdem können Guthaben auf einen anderen Arbeitgeber oder die Rentenversicherung übertragen werden.

  • Die Zeitsouveränität der Beschäftigten ist gegenüber betriebswirtschaftlichen Zielen wichtiger geworden. Zur Grafik

Hermann Groß, Manuela Maschke, Sandra Mierich: Regelungen von Arbeitszeitkonten, Mitbestimmungspraxis, Dezember 2018

Hermann Groß: Regelungsstrukturen von Arbeitszeitkonten, Study der Hans-Böckler-Stiftung, im Erscheinen

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