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HBS Böckler Impuls

Arbeitszeit: Wenige Betriebe bieten längere Auszeiten

Ausgabe 06/2018

Langzeitkonten können zu mehr Vereinbarkeit und Weiterbildung beitragen. Das Potenzial wird allerdings kaum ausgeschöpft.

Nicht für alle außerberuflichen Verpflichtungen reichen Feierabend, Wochenende und Urlaub. Es kommt vor, dass Beschäftigte eine längere Auszeit brauchen – um beispielsweise eine Weiterbildung zu absolvieren oder in schwierigen Phasen mit den Kindern oder pflegebedürftigen Eltern den Rücken frei zu haben. Das bei fortlaufenden Bezügen zu ermöglichen, ist das Prinzip sogenannter Langzeit- oder Zeitwertkonten: Beschäftigte sammeln über Jahre Überstunden oder Teile ihres Entgelts, die sie anschließend für längere Freistellungen nutzen können. Die Politik hat das Potenzial­­ dieses Modells erkannt; es zu fördern, haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. In der betrieblichen Realität hakt es dagegen noch erheblich: Langzeitkonten sind wenig verbreitet, die Zugangschancen ungleich verteilt. Das zeigt Philip Wotschack vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie.

Bescheidenes Angebot

Obwohl vieles für Langzeitkonten spricht, fällt das betriebliche Angebot momentan bescheiden aus: Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2014 zufolge, die Wotschack ausgewertet hat, ermöglichen nur 5,3 Prozent aller Betriebe ihren Beschäftigten längere Freistellungen im Rahmen von Arbeitszeitkonten. Separate Langzeitkonten haben 2,7 Prozent. Etwas besser ist die Situation in Großbetrieben mit mindestens 500 Mitarbeitern. Von ihnen bieten 28 Prozent längere Auszeiten im Rahmen von Arbeitszeitkonten und 21 Prozent separate Langzeitkonten an.

Bei den Nutzungsmöglichkeiten dominieren der Auswertung zufolge Sabbaticals, die 2,2 Prozent aller Betriebe zum Abbau von Zeitguthaben vorsehen, und Familienzeit mit 2,1 Prozent. Weiterbildung bieten 1,6 Prozent als Option an, Vorruhestand 1,2 Prozent. Von den Großbetrieben ermöglichen 19 Prozent ihren Beschäftigten Sabbaticals, 17 Prozent vorzeitigen Ruhestand, 14 Prozent Familienzeit und knapp 12 Prozent Weiterbildung. Wenn ein Betrieb Langzeitkonten anbietet, fällt der Analyse zufolge der Anteil der Männer, die an betrieblich geförderten Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, signifikant höher aus. Für weibliche Beschäftigte ist dieser Zusammenhang nicht nachweisbar.

  • Langzeitkonten gibt es vor allem in Großbetrieben. Zur Grafik
  • Ein Sabbatical ist die häufigste Form des Ausgleichs. Zur Grafik

Wo es Langzeitkonten gibt, gilt das Angebot oft nicht für alle: Dass mindestens 95 Prozent der Beschäftigten Zugang haben, geben nur 1,5 Prozent aller Betriebe und etwa ein Zehntel der Großbetriebe an. Dass das Langzeitkonto tatsächlich von einem Großteil der Belegschaft genutzt wird, trifft auf lediglich 0,4 Prozent aller Firmen und drei Prozent der Betriebe mit mindestens 500 Mitarbeitern zu. Oft könne nur die Kernbelegschaft Zeitguthaben ansparen, während Leiharbeitern und befristet Beschäftigten diese Möglichkeit vorenthalten werde, so der WZB-Forscher.

Geringverdiener haben das Nachsehen

Anhand von Beschäftigtendaten zweier Dienstleistungsbetriebe kann der Soziologe zeigen, dass vor allem Hochqualifizierte Langzeitkonten nutzen. Beschäftigte mit geringer Qualifikation – und damit in der Regel auch wenig Einkommen – seien dagegen auf die Auszahlung von Überstunden angewiesen. Auch Arbeitnehmer mit familiären Verpflichtungen schafften es oft nicht, im nötigen Umfang Mehrarbeit zu leisten. Beschäftigte seien zudem nur dann bereit, Zeitguthaben langfristig anzusparen, wenn sie Vertrauen ins Management und ihre Jobsicherheit haben. Problematisch sei dabei auch, dass ein großer Teil der Firmen ihre Langzeitkonten nicht gegen Insolvenz geschützt hatten, vor allem kleinere Betriebe und diejenigen ohne Betriebsrat.

Darüber hinaus gebe es oft betriebliche Barrieren, die den Abbau von Zeitguthaben erschweren, schreibt Wotschack. Wo eine lebenslange Vollzeitbeschäftigung das normative Leitbild darstellt, könnten Abweichungen zu Benachteiligungen führen. Er verweist auf Studien, denen zufolge Beschäftigte bei längeren Auszeiten Karrierenachteile befürchten. Viele Betriebe gingen zudem von Flexibilitätsverlusten durch die zeitweise Abwesenheit von Beschäftigten aus. Da viele Führungskräfte kaum Erfahrung im Umgang mit Langzeitkonten haben, gebe es oft wenig Unterstützung vonseiten der Vorgesetzten. 

„Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass die Nutzung von Optionszeiten deutlich hinter den politischen Erwartungen einer lebensverlaufsorientierten Arbeitszeitgestaltung zurückbleibt“, stellt der Autor fest. Um daran etwas zu ändern, seien unter anderem verbindliche Nutzungsansprüche nötig. Dazu könnten Tarifparteien und Politik beitragen, indem sie die Verwaltung und den Zugriff auf Langzeitkonten stärker auf überbetrieblicher Ebene regeln. Ein Schritt in diese Richtung könnte das vom Bundesarbeitsministerium im vergangenen Jahr vorgeschlagene „persönliche Erwerbstätigenkonto“ sein, das automatisch zu Beginn des Arbeitslebens mit einem Startguthaben eingerichtet werden und bei Arbeitgeberwechseln erhalten bleibt. Darüber hinaus sei es wichtig, Beschäftigte mit Betreuungs- und Pflegeaufgaben, Geringverdiener und Arbeitnehmer in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen gezielt zu unterstützen. Wotschack empfiehlt auch Schulungen von Vorgesetzten und Betriebsräten. Um einen Wandel der Arbeitszeitkultur und der Verfügbarkeitsnormen und so mehr Akzeptanz für längere Auszeiten zu erreichen, sei ein neues arbeitszeitpolitisches Leitbild gefragt.

Philip Wotschack: Optionszeiten auf Basis von Langzeitkonten – eine kritische Bilanz, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 57, März 2018, im Erscheinen
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