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Kein Betriebsrat im digitalen Schnellverfahren Böckler Impuls

Mitbestimmung: Kein Betriebsrat im digitalen Schnellverfahren

Ausgabe 02/2024

Ein Betriebsrat kann nicht per Videokonferenz gegründet werden. Einige formale Regelungen lassen sich modernisieren, betriebliche Mitbestimmung per Klick wird es aber nicht geben.

Stark digitalisierte Betriebe haben seltener einen Betriebsrat als andere – und häufiger eine mobil arbeitende Belegschaft. Eine Interessenvertretung zu gründen ist immer ein langwieriger Prozess und erfordert viel Engagement; wenn die Belegschaft aber selten oder nie an einem Ort zusammenkommt, wird es umso schwieriger. Darauf macht der gewerkschaftliche Branchenexperte für Informations-, Kommunikations- und Nachrichtentechnik Falko Blumenthal in den WSI-Mitteilungen aufmerksam. 

Es beginnt mit der Wahlversammlung. Dass diese nach geltendem Recht in Präsenz stattfinden muss, sei digital arbeitenden Beschäftigten heute nur schwer vermittelbar, schreibt Blumenthal. Gerade wenn dies für viele Kolleginnen und Kolleginnen eine lange Anreise bedeutet, unklar ist, wer die Reisekosten übernimmt, und dafür extra Räumlichkeiten angemietet werden müssen. Zu klären ist außerdem, wer überhaupt eingeladen werden darf, das heißt, wie der Betrieb abzugrenzen ist. „Während beispielsweise das eine Gründungsteam einen in Österreich arbeitenden Kollegen mit deutschem Arbeitsvertrag und vollständiger Integration in den deutschen Betrieb mit auf die Liste der wahlberechtigten Beschäftigten nimmt, sorgt die Existenz einer eigenen Firma nach italienischem Recht mit formal eigenständiger Geschäftsführung dafür, dass die italienischen Kolleginnen von der Wahl ausgeschlossen sind – trotz ihrer vollständigen arbeitstechnischen Integration in den deutschen Betrieb.“ Als ungerecht empfunden werde es, wenn „beispielsweise die Dresdner Kollegin in den Betriebsrat gewählt werden darf, die direkte Teampartnerin mit Standort Amsterdam in der rein pro forma existierenden niederländischen Gesellschaft jedoch nicht“. 

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Zum Hintergrund

Das Betriebsverfassungsgesetz wurde zum letzten Mal vor 50 Jahren grundlegend modernisiert. Jetzt muss das Gesetz angepasst werden.

Wie das geht, zeigt eine Gruppe von Expertinnen und Experten online

Generell müssen Initiatorinnen und Initiatoren sich sehr viel Wissen zum Thema Mitbestimmung erarbeiten und Zeit investieren: für „den Marathon von digitalen Informations- und Mobilisierungsveranstaltungen“, der auf die Wahlversammlung folgt, für – obligatorisch in Präsenz stattfindende – Sitzungen des Wahlvorstands, für den Gang zur Notarin, um die Kündigungsschutzerklärung als Betriebsratsinitiatorin abzugeben, und vieles mehr, das organisiert werden muss. Beispiel Briefwahl: „Bereits die Einrichtung eines Briefkastens des Wahlvorstands gestaltet sich schwierig, wenn der Betrieb keinen physischen Ort hat. Seitdem auch Behörden mehr und mehr ihren Schriftverkehr digitalisieren, geht Gewöhnung an postalische Formalitäten verloren. Der Umgang mit Stimmzettel, Wahlumschlag, persönlicher Erklärung und Rücksendeumschlag muss regelmäßig in Onlineveranstaltungen geübt werden und Erklärvideos müssen zur Verfügung erstellt werden.“

Die vielen formalen Hürden, die der Betriebsratswahl gerade in hochgradig digitalisierten Firmen entgegenstehen, ließen sich zum Teil senken, so Blumenthal. Er verweist dabei etwa auf einen vom DGB vorgeschlagenen Gesetzentwurf, der „der Digitalisierung der Betriebe selbst und der Veränderung des Betriebsbegriffs Rechnung trägt“. Er warnt allerdings vor der Vorstellung, dass Verfahrensvereinfachungen auf einmal überall schlagkräftige Beschäftigtenvertretungen sprießen lassen. Auch wenn der eine oder andere Schritt künftig in die digitale Sphäre verlagert werde, seien korrekte Abläufe, die Rechtssicherheit gewährleisten, unerlässlich. Und ohne gründliche Vorbereitungen durchgeführte Betriebsratswahlen könnten leicht „mehr Anfechtungsgründe hervorbringen“. Praktisch hätten die heutigen Regelungen, so aufwendig und teilweise überholt sie auch seien, doch einen positiven Nebeneffekt: Gerade wegen der Komplexität der Vorgänge setzen Gründungsteams in der Regel auf gewerkschaftliche Unterstützung, was am Ende entscheidend zur Entstehung funktionsfähiger Vertretungsstrukturen und kompetenter Betriebsräte beiträgt.

Mehr Lesen

Der Sammelband Digitalisierung von Gegenmacht – Gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit und Arbeitskampf heute von Martin Oppelt und Falko Blumenthal aus dem Transcript-Verlag beleuchtet, wie sich die Interessen von Beschäftigten in der digitalen Wirtschaft durchsetzen lassen. Kostenloser Download hier.

Falko Blumenthal: Digitale Betriebsratsgründung, WSI-Mitteilungen 1/2024
 

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