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Neues Gutachten von Prof. Dr. Wolfgang Däubler: „Digitale Zugangsrechte“ für Betriebsräte und Gewerkschaften: Studie analysiert Rechtslage und empfiehlt gesetzliche Klarstellung

06.10.2021

Die Kommunikation in vielen Betrieben verlagert sich zunehmend ins Digitale. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, müssen Betriebsräte und Gewerkschaften Zugang zu dieser Sphäre haben. Sonst droht die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit ins Leere zu laufen. Die geltende Gesetzeslage räumt solche „digitalen Zugangsrechte“ bereits ein, ergibt ein neues Rechtsgutachten von Prof. Dr. Wolfgang Däubler für das Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Da die Rechtsanwendung bisher aber kompliziert ist und sich Unternehmen widersetzen, empfiehlt der Rechtswissenschaftler eine gesetzliche Klarstellung. Die Studie wird heute auf einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt, an der neben Professor Däubler auch HSI-Direktorin Dr. Johanna Wenckebach sowie Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), und IGBCE-Vorstandsmitglied Karin Erhard teilnehmen.

Wer wirksam die Interessen von Beschäftigten vertreten will, muss mit ihnen kommunizieren. Dafür gibt es unter anderem Betriebsversammlungen, Sprechstunden beim Betriebsrat, gewerkschaftliche Flugblätter oder Plakate. Das Problem: Die Digitalisierung macht solche traditionellen Formate zum Teil obsolet. Welche gesetzlichen Möglichkeiten Betriebsräte und Gewerkschaften ausschöpfen können, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, hat Däubler in seinem Gutachten analysiert. Der Arbeitsrechtler von der Universität Bremen kommt zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmervertreter auch im digitalen Betrieb Anspruch auf Informationsaustausch und Präsenz haben, also zum Beispiel dienstliche E-Mail-Adressen oder das Intranet nutzen dürfen. Das lässt sich nach Däublers Analyse bereits aus der geltenden Rechtslage ableiten. Eine ergänzende gesetzliche Klarstellung durch ein „digitales Zugangsrecht“ sei trotzdem sinnvoll, erklärt der Rechtsprofessor. Schließlich empfänden offenbar viele Manager die Rechtslage als unklar.

Folge: Unternehmen blockieren digitale Zugangsmöglichkeiten derzeit ganz oder teilweise, es gibt zahlreiche Konflikte mit Betriebsräten und Gewerkschaften, wie der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis und Vorstandsmitglied Erhard bei der Studienvorstellung berichten (siehe auch unten „Zitate zur Pressekonferenz“). Die IGBCE hat in diesem Zusammenhang gegen den Sportartikelhersteller Adidas geklagt.     

Ohne digitale Kommunikation könnte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ins Leere laufen

Dass grundsätzlich nicht nur Betriebsräten, sondern auch Gewerkschaften das Recht zusteht, am Arbeitsplatz mit Beschäftigten in Kontakt zu treten, habe die Rechtsprechung wiederholt bestätigt, betont Däubler in seiner Analyse. Die Begründung: Bestimmte Aufgaben wie das Initiieren von Betriebsratswahlen oder die Beratung von Betriebsräten seien ohne ein solches Zugangsrecht nicht zu bewerkstelligen. Zudem müsse es wegen des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit möglich sein, im Betrieb über gewerkschaftliche Arbeit und Ziele zu informieren und neue Mitglieder zu gewinnen.

Erlaubt sei alles, was diesem Zweck dient, solange überwiegende Rechte des Arbeitgebers dem nicht entgegenstehen. Das heißt: Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dürfen zum Beispiel auch während der Arbeitszeit kurze Gespräche mit Beschäftigten führen oder Werbematerial weitergeben, solange die Arbeitsabläufe nicht gestört werden. Wenn sie in einem Betrieb keine Mitglieder haben, sind Gewerkschaften laut einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) berechtigt, dort zu erscheinen, um zu informieren und Mitglieder zu werben.

Klärungsbedarf ergibt sich dem Gutachten zufolge durch den digitalen Fortschritt. Denn vielen der bewährten Kommunikationskanäle, deren Nutzung Gerichte ausdrücklich ihren Segen erteilt haben, drohe ein Bedeutungsverlust. Besonders gravierend sei das Problem bei permanentem Homeoffice oder in der Plattformökonomie: Wer ausschließlich zu Hause arbeitet, habe wenig Gelegenheit, eine Betriebsratssprechstunde wahrzunehmen. Bei Crowdworkern oder Essenslieferanten, denen online Aufträge vermittelt werden, gebe es überhaupt keine Betriebsräume, die Gewerkschafter aufsuchen könnten. „Ohne ein Ausweichen auf digitale Kommunikation käme die Betriebsratsarbeit und erst recht die gewerkschaftliche Arbeit völlig zum Erliegen“, so Däubler.

Kontakt über dienstliche Mail, Auftritt im Intranet, Link zur Gewerkschaft: Alles gerichtlich bestätigt

Dass Betriebsräte die Belegschaft per dienstlicher E-Mail anschreiben dürfen und Anspruch auf einen eigenen Auftritt im Intranet haben, sei mittlerweile gerichtlich bestätigt, heißt es in dem Gutachten. Grundsätzlich hätten sie auch das Recht, Erklärungen im Internet zu veröffentlichen – auch wenn die innerbetriebliche Konfliktlösung in der Regel vorzuziehen sei. Darüber hinaus gebe es die Möglichkeit, die Kommunikationsbedingungen mithilfe von Betriebsvereinbarungen zu gestalten und beispielsweise festzuschreiben, dass die Anfahrt aus dem Homeoffice für einen Besuch der Betriebsratssprechstunde als Arbeitszeit gilt.

Nach der Rechtsprechung des BAG hat auch jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft das Recht, sich per E-Mail an die Belegschaft zu wenden – zumal dadurch weder betriebliche Kapazitäten blockiert noch Arbeitsabläufe gestört werden, so Däubler. Die Weitergabe der Mail-Adressen sei mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar, weil Gewerkschaften oft keine andere Möglichkeit haben, mit den Beschäftigten in Kontakt zu treten, und daher ein berechtigtes Interesse an der Nutzung besteht. Einen Link zu einer gewerkschaftlichen Website könnten Betriebsräte auf die eigene Homepage setzen, ohne ihre Neutralitätspflicht zu verletzen, da ein solcher Link ein bloßes Informationsangebot darstellt. Mitglieder hätten zudem die Möglichkeit, gewerkschaftliche Informationen im Intranet zu platzieren. Schließlich handele es sich dabei um „nichts anderes als ein digitales Schwarzes Brett“.

Auch wenn es keine Mitglieder im Betrieb gibt, müsse die Gewerkschaft an der digitalen Kommunikation beteiligt sein, erklärt der Rechtswissenschaftler. Denkbar wäre, dass der Arbeitgeber in diesem Fall selbst einen Link zur Gewerkschaft einrichtet – wie dies das neue Personalvertretungsrecht des Bundes ausdrücklich vorschreibt –, ihr einen Auftritt im Intranet ermöglicht oder ihr das Recht einräumt, von Zeit zu Zeit dort Informationen einzustellen.

Alles in allem sieht Däubler vielfältige Handhaben für Betriebsräte und Gewerkschaften, auch im digitalen Betrieb Flagge zu zeigen. Ein „digitales Zugangsrecht“ gesetzlich festzuschreiben, könnte aus seiner Sicht vor allem zur Klarstellung beitragen und so die Rechtsanwendung erleichtern.

Weitere Informationen:

Wolfgang Däubler: Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb, HSI-Schriftenreihe Band Nr. 41, Oktober 2021.

 

Zitate zur Pressekonferenz

Wolfgang Däubler, Universität Bremen:

„Interessenvertretung setzt Kommunikation unter den Beschäftigten und mit ihren Vertretern voraus. Dieser Grundsatz muss auch im digitalen Betrieb realisiert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stehen dem Betriebsrat die notwendigen Mittel zur Verfügung: Er kann alle Beschäftigten im Betrieb digital erreichen und eine Homepage im Intranet installieren. Von dort kann ein Link zur Gewerkschaft geschaltet werden. Will diese selbst aktiv werden, kann sie die Arbeitnehmer im Betrieb per E-Mail erreichen. Denkt man die Rechtsprechung konsequent zu Ende, können jedenfalls ihre Mitglieder auch eine Homepage im Intranet errichten. Doch auch wenn damit aus Sicht des Rechtswissenschaftlers bereits weitgehende digitale Zugangsrechte bestehen: Eine gesetzliche Klarstellung wäre sinnvoll, um überflüssige Auseinandersetzungen zu verhindern.“

Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin HSI:

„Eine neue Bundesregierung, die Mitbestimmung und Tarifautonomie stärken will, muss gerade in der digitalisierten Arbeitswelt den Kontakt zwischen Gewerkschaft und Beschäftigten sicherstellen."

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE:

„Arbeitsorte werden künftig noch flexibler und ein Großteil der Kommunikation wird auch weiterhin im digitalen Raum stattfinden. Dass viele Firmen uns den digitalen Zugang versperren, ist nicht akzeptabel. Wir brauchen deshalb schnelle Fortschritte, um die Zukunft der Arbeitswelt ordentlich zu regeln und zeitgemäße Kommunikation zwischen Gewerkschaften und Beschäftigten sicherzustellen.“

Karin Erhard, im Vorstand der IG BCE für das Thema Mitbestimmung zuständig:

„Sowohl auf juristischer als auch auf tariflicher Ebene tun wir alles, um den digitalen Draht zu den Beschäftigten zu sichern. Die Studie bestärkt uns darin, indem sie zeigt: IT-Sicherheit ist kein Argument gegen den digitalen Zugang.“


Pressemitteilung der IGBCE zur Studienvorstellung


Kontakt:

Dr. Johanna Wenckebach
Wissenschaftliche Direktorin Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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